Drei

754 72 13
                                    

Erst nach einigen Sekunden bin ich fähig mit zitternden Fingern mein Telefon hervorzukramen. Hektisch tippe ich die Nummer ein, wobei ich drei Anläufe brauche, bis ich es fehlerfrei hinbekomme.
Mittlerweile laufen mir wieder Tränen über die Wangen.
Fast sofort wird abgenommen.
»Miena? Miena verdammt wo bist du? Ist etwas passiert? Bist du verletzt?«,sprudelt sofort die vertraute Stimme meines Bruders aus dem Handy. Er klingt reichlich besorgt, wohl ist es schon nach Mitternacht.
»I-Ich...mir gehts...Bill ist verletzt«,stottere ich wirr und schluchzend in den Hörer.
»Hast du schon den Notruf angerufen?«
Ich schüttele den Kopf, als mir einfällt, dass er mich ja nicht sehen kann.
»Nein«,wimmere ich.
»Verdammt Miena! Wo bist du?«
Im Hintergrund höre ich wie er die Treppen herunter poltert.
In dem Moment wird die Haltestelle in einen wackelnden Lichtkegel getaucht und als ich meinen Kopf drehe sehe ich wie der Linienbus näher kommt.
Ich nutze das Licht und lese an dem Wartehäuschen den Namen der Haltestelle ab.
»Lincoln Street«,gebe ich ihn leise durch den Hörer weiter, während der Bus mit quietschenden Reifen neben uns hält.
»Wir sind gleich da. Und ruf den Krankenwagen!«
Damit hat er schon aufgelegt, als im gleichen Moment der Busfahrer aus der offenen Tür springt.
»Großer Gott im Himmel, was ist den hier passiert?«,stößt er aus und geht sofort zu den drei fremden Jungs, um bei jedem den Puls zu prüfen.
Ich gebe ihm keine Antwort.
Was soll ich auch sagen, wenn ich es selbst nicht weiß?
Stattdessen tippe ich mit mehr als zitternden Fingern die Notruf-Nummer ein und halte mir den Hörer wieder ans Ohr.
Nachdem ich den Beamten am anderen Ende meinen Namen zusammen gestottert habe, nimmt mir der Busfahrer das Telefon aus der Hand, um kurz und knapp mitzuteilen, wie die Lage aussieht.
Ich senke meinen Blick wieder auf Bill, dessen Kopf immer noch in meinem Schoß ruht und streiche ihm sanft die Haare aus der Stirn, während wieder Schluchzer meine Schultern schütteln. Nachdem der Mann aufgelegt hat gibt er mir das Handy zurück und überprüft dann noch einmal den Puls von Conner und den anderen Beiden.
Das ist alles meine Schuld.
Ich hätte Bill aufhalten können, dann wäre es niemals so weit gekommen.
Verstohlen sehe ich zu dem Busfahrer hinüber und als er den Blick bemerkt nickt er leicht.
»Sie leben noch«,informiert er mich und steht dann wieder auf, um seinen Bus weiter vor zu fahren und Platz für die heranrollenden Rettungswagen zu machen.
Plötzlich bin ich von Rettungssanitätern umringt.
Alles geht so schnell, ich bekomme es nur wie durch Watte mit, bin nur wie ein unbeteiligter Beobachter im Mittelpunkt des Geschehens.
Eine Liege neben uns.
Sie nehmen mir Bill aus dem Schoß und hieven ihn darauf, um ihn wegzufahren.
Keine Sekunde später werde auch ich hochgezogen.
Ich höre eine dumpfe Stimme, die mit mir spricht, aber ihre Worte kann ich nicht verstehen.
Das verschwommene Bild eines Rettungsarztes vor meinem Gesicht. Ab da an bekomme ich alles nur noch am Rande mit. Die Worte die die Sanitäter oder die Polizisten mit mir zu wechseln versuchen höre ich, verstehe sie aber nicht. So als kämen sie an, aber ich würde ihren Sinn nicht begreifen. Mein Kopf ist wie leer gefegt, obwohl kurz zuvor noch völliges Durcheinander darin herrschte. Mein Blick führt ins Leere.

Die Fahrt ins Krankenhaus verläuft vollkommen ruhig.
Ich sollte verängstigt, verwirrt oder zumindest aufgewühlt sein, doch ich fühle nichts mehr.
Dieser Zustand verschwindet erst wieder, als ich durch die Krankenhausgänge geführt werde und uns plötzlich mir bekannte Gesichter entgegenkommen.
Ohne Vorwarnung laufe ich los, Yesko entgegen und liege keine Sekunde später schon in seinen Armen.
In diesem Schockzustand hatte ich alles verdrängt, was passiert ist und wie besorgt ich um Bill bin, doch jetzt kommt dies alles mit einmal wieder über mich und stumme Schluchzer beginnen erneut meine Schultern zu schütteln.
Yesko macht beruhigende Geräusche an meinem Ohr, während seine eine Hand sanft über meinen Rücken gleitet und die Andere in meinem Haar vergraben ist.
Ich presse mich stumm an ihn und lege den Kopf in die vertraute Wölbung unter seinem Kinn.
Als ich die Augen, die ich fest zusammen gekniffen hatte, wieder öffne tauchen weitere verschwommene Gestalten in meinem Blickfeld auf. Nachdem ich die Tränen weggeblinzelt habe, sehe ich mich meinen Eltern gegenüber.
Das Gesicht meiner Mum ist von Sorge gezeichnet, weshalb ich mich aus Yeskos Armen ziehe, um mich in ihre zu begeben.
Sie zieht mich deutlich fester an sich als Yesko und ich spüre wie auch sie an meiner Schulter leise schnieft.
Über ihre Schulter sehe ich Dad, doch auf seinem Gesicht ist keine Spur von Sorge oder Erleichterung. Eher wirkt er so als würde es ihn bloß stören, dass er jetzt nicht in seinem Bett liegt und schläft.
Ich versuche es zu ignorieren.
»Es geht mir gut, Mum«,murmele ich mit möglichst fester Stimme, um sie zu beruhigen, denn ich will nicht, dass sie wegen mir weint, auch, wenn ich ihr dafür etwas vorlügen muss.
Sie schiebt mich ein kleines bisschen von sich, um leicht lächelnd mein Gesicht zu mustern, aber ich kann die Tränen in ihren Augenwinkeln glänzen sehen.
»Du weißt nicht was für einen Schrecken ich bekommen habe, als dein Bruder nach unten kam und meinte, dass wir sofort losfahren müssten, weil dir etwas passiert wäre«,sagt sie zu mir, während sie mich unnachgiebig ansieht, ein erschöpftes, aber erleichtertes Lächeln auf den Lippen.
»Tut mir leid«,murmele ich und löse mich langsam von ihr, wobei ich gleich wieder das Gefühl habe, meine Beine könnten mich nicht tragen.
»Du weißt, dass ich dich wahrscheinlich nie wieder auf eine Party gehen lasse?«
»Ich glaube ich hab fürs Erste genug von Pa-«
Bevor ich den Satz zu Ende sprechen kann, werde ich von einer anderen Stimme unterbrochen.
»Miena, würdest du mich begleiten? Du kannst später mit deiner Familie sprechen, du musst untersucht werden«,vernehme ich die Stimme, des Sanitäters, der sich meiner angenommen hat, hinter mir und drehe mich um.

Die Bluthexen I - Denn Blut ist gefährlichWhere stories live. Discover now