🔥6🔥

3.7K 554 115
                                    

Jungkook

Sagte ich nicht etwa eine Stunde zuvor noch, der Schnee hätte dafür gesorgt, dass der Wald in eine unheimliche Stille getaucht ist und das diese Stille nichts durchbrechen kann, ausser mein Atem und meine Schritte?

Tja, das ist dann wohl falsch gewesen. 

Seit einigen Minuten renne ich wieder durch den tiefen Schnee, diesmal jedoch mit genau denselben Gefühlen wie gestern. Absolute, pure Todesangst.

Zuvor bin ich mühselig durch die weiche Schicht gestapft, doch nun renne und stolpere ich durch die weisse Decke als hinge mein Leben davon ab, so weit wie möglich zu kommen - was es auch tut. Mein Atem geht rasselnd, meine Beine schmerzen wieder und wärmer ist mir in der Zwischenzeit auch nicht geworden. Dazu kommt mein knurrender, leerer Magen, der es mir schwer macht, wirklich Tempo zu kriegen, genauso wie mich auch der Schnee am Rennen behindert.

Doch ans langsamer werden denke ich gar nicht erst. Ich kann nicht, ich darf nicht langsamer werden. Nicht jetzt, wo sie die Hunder hinter mir hergeschickt haben.

Das laute Bellen, der vielen Köter dringt in meine Ohren, wie ein schauerlicher, unheilvoller Gesang. Die Töne klingen furchteinflössend und treiben mich noch viel mehr an, denn ich weiss, diese Hunde wurden nicht nur dazu ausgebildet auf ein 'Sitz', 'Beifuss' und 'Rolle' zu hören, sondern auch dazu, zu treiben und zu jagen.

Ich habe mich früher oft gefragt, wieso sie grosse Hunde hatten. Wieso keine kleinen, niedlichen Flauschbälle? Die Antwort ist mir nun mehr als klar: Kleine Malteser können noch lange weder eine solche Angst, noch so viel Schaden anrichten, wie grosse Schäferhunde. 

Diese Hunde sind keine Kuscheltiere, wie ich als Kind immer dachte, wenn ich mit ein paaren gespielt habe. Diese Hunde sind zu willenlosen Maschinen gemacht worden. Ein Wort und sie sind hinter dir her, ganz egal, ob sie dich kennen und mögen oder nicht.

Ein Befehl und sie beissen dich zu Tode.

Und letzteres wird ganz bestimmt der heutige Befehl sein. 

Verängstigt den Jüngsten. Jagt Jungkook. Tötet den Phönix.

Ich habe das Gefühl, dass das Bellen näher gekommen ist und ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht nur so ein Gefühl, sondern auch mit Sicherheit so ist. Diese Tiere sind besser darin, sich in diesem Schnee und der Kälte zu bewegen, für sie ist es ein leichtes, zu mir aufzuholen und es ist nur eine Frage der Zeit, bis mich einer dann auch hat oder bis meine Kräfte mich gänzlich verlassen.

Eines ist sicher, eine solche Strecke wie gestern Abend schaffe ich ganz bestimmt kein zweites Mal. Dazu bin ich zu ausgelaugt und schwach. Keuchend stolpere ich weiter, drehe wimmernd den Kopf zur Seite, als mir Zweige der Bäume ins Gesicht peitschen und einer ganz besonders schmerzt. 

Ich kann die Stelle brennen spüren, als ich weiter renne und berühre sie deshalb mit meinen eiskalten Fingern, nur um an deren Fingerspitzen dann das Blut zu erkennen. Scheisse.

Damit können sie mich noch viel, viel besser riechen und mir folgen, als es jetzt schon der Fall ist. 

Tatsächlich wird das Bellen in diesem Moment wirklich um einiges lauter, insbesondere eines und ich unterdrücke ein Aufschluchzen. Ich weiss, sie werden sich nicht darum kümmern, ob sie mich kennen. Sie werden sich nicht dafür interessieren, dass ich immer gut zu ihnen war, in die Küche der Kantine geschlichen bin und aus der Vorratskammer Taschen voll Leckerlis für sie geklaut habe, damit auch sie etwas hatten, worüber sie sich am Weihnachtsabend freuen konnten.

Es wird den einen auch nicht interessieren, dass ich ihm einmal einen Holzsplitter aus der Pfote gezogen habe.

Sie haben ihren Befehl und den werden sie ausführen, egal, wer ich bin. Sie werden mich töten, egal wie gut ich immer zu ihnen war.

Plötzlich spüre ich, wie einer der vielen Hunde an meinem Hosenbein zerrt und durch diesen Stop, komme ich ins Stolpern. Mit einem lauten Schrei falle ich, spüre dabei, wie sich die scharfen Lefzen in meine Wade graben und schreie ein zweites Mal, durch den Schmerz. Kaum komme ich im Schnee auf, drehe ich mich um, sodass ich den Hund sehen kann, der mich doch noch erwischt hat, bevor ich das Ende des Waldes je hätte erreichen können.

Als ich ihn erkenne, bricht mein Herz. Mit jedem hätte ich gerechnet, aber nicht mit ihm.

"Aus!", schluchze ich unter Schmerzen und vor Verzweiflung, schüttle mein Bein, in der Hoffnung, er lockert seinen Biss oder lässt gar von mir ab, doch nichts geschieht - wie ich es vorhergesagt habe.

"Seven!", schreie ich den schwarz-braunen Hund heiser an, "Seven, hör auf!"

Ich weiss, dass diese Hunde darauf aus sind, mich zu töten, ich hätte auch wissen müssen, dass sie ihn mit auf mich hetzen werden, dennoch fühlt es sich an, wie ein Verrat, wenn ich meinen engsten, tierischen Freund so wild und darauf aus, mich umzubringen oder immerhin zu verletzen, sehe.

Ich liebe diesen Hund wie keinen anderen. An dem Tag, an dem Yoongi ihn mir vorgestellt hat, habe ich ihn direkt ins Herz geschlossen und ich habe versucht, ihn jeden Tag zu sehen und ihm wann immer möglich ein Leckerli zugesteckt. Er mag mich, ich weiss, dass er mich mag - oder es zumindest getan hat.

Ich weiss noch, wie er lauthals gebellt hat, als ich wieder aus der Krankenstation konnte und er mich entdeckt hat, wie er auf mich zugerannt ist, sich auf die Hinterpfoten gestellt und mich umgestossen hat, nur um mir über mein ganzes Gesicht zu lecken.

Wie sehr haben sie diese Hunde gequält, dass sogar Seven nicht darauf achtet, wer ich bin?

Zu meiner Überraschung lässt der Schäferhund wirklich von mir ab, jedoch nur, um seine Zähne dann ein zweites Mal in meiner Wade zu vergraben. Ich schreie wieder auf, will mein Bein wegziehen, doch er kommt einfach mit, knurrt dabei laut und aggressiv, festigt seinen Biss nur noch. Tränen laufen über mein Gesicht, als ich mit meinem gesunden Bein nach dem Tier trete. Ich will ihm nicht wehtun, aber wenn ich nicht sterben will, bleibt mir keine andere Wahl, als ihn mir so vom leib zu halten.

"Verschwinde! Aus! Hör auf! Ich bin es, Seven!", weine ich unkontrolliert und versuche die restlichen Hunde, die sich langsam einen Weg auf mich zubahnen zu ignorieren.

Der Hund hört nicht auf mich. Geistesgegenwärtig trete ich wieder nach ihm, treffe ihn am Kopf und sorge so dafür, dass er zurück in den Schnee fällt und von meinem Bein ablässt. Ich blicke den Hund verzweifelt an, der mich nun ebenfalls aus seinen sonst so treuherzigen Knopfaugen anstarrt. Früher hat er dabei gehechelt, nun fletscht er nur seine Zähne, während der Speichel beinahe über sein Kinn hinabtropft. 

"Hör auf", wispere ich verzweifelt, als er wieder auf mich zukommt. Ich robbe gar nicht erst weg. Wenn er wieder zubeisst, bin ich ohnehin nicht schnell genug. Es wäre nur eine Verschwendung meiner Kräfte.

Er duckt sich, setzt zum Sprung an und ist wohl bereit, mich diesmal weitaus schlimmer mit seinen zu verletzen. Doch bevor er es tatsächlich tut, schreie ich wieder: "Hör auf!" 

Als hätten seine Worte Angst in mir ausgelöst, beginnt der Hund zu winseln und duckt sich tiefer, aber eher aus Ehrfurcht. Aus dem gequälten Winseln wird ein lautstarkes Jaulen und ich sehe zu, wie er sich vor Schmerzen zu winden beginnt. Mein Blick liegt weiterhin auf dem Schäferhund, bis ich ein halblautes Knacken vernehme und dazu sehe, wie sich ein schmales Loch direkt über seinem Herzen in der Brust auftut, wie das einer Einschussstelle. 

Seven kippt zur Seite und regt sich nicht mehr, während das Blut aus der plötzlichen, unerklärlichen Wunde heraussprudelt und den Schnee teils verdampfen und rot färben lässt, um den Körper herum.

Erst als ich die tiefrote Farbe sehe, realisiere ich, was gerade geschehen ist. 

  "Seven...", hauche ich paralysiert und starre den Kadaver an, nicht in der Lage zu begreifen, dass er wirklich tot ist. Das leise Winseln der restlichen Hunde nehme ich nicht mehr wahr und auch nicht, wie sie umkehren und zurück zur Station rennen.   

Selbst meine Schmerzen sind nicht mehr von Belang, meine Aufmerksamkeit gilt nur dem toten Schäferhund vor mit.

Phoenix [Vkook]Where stories live. Discover now