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Jungkook

Wieder einmal sitzen wir in dem kalten, leeren Flur. Wir reden nicht, wie sonst manchmal, diesmal schweigen wir einfach. Dabei würde ich eigentlich gerne ein Gespräch anfangen.

Aber Yoongi scheint heute so.... zurückweisend. Er schien schon genervt, als er mich nur auf sich zukommen gesehen hat, also habe ich es gelassen, ein Wort zu sagen und habe mich stattdessen nur still neben ihn gesetzt. Seither hat er bereits zwei Zigaretten geraucht, oft geseufzt und nun senkt der den Kopf, bis sein Kinn seine Brust berührt. Offensichtlich geht es ihm gar nicht gut und das gefällt mir nicht. Ich will nicht, dass er sich schlecht fühlt, das sollte er nicht.

"Hyung?", versuche ich es leise und zaghaft, "Was ist los?"

Ich warte seine Antwort ab, doch auch nach einigen Minuten erhalte ich keine. Ich unterdrücke ein Seufzen und drehe den Kopf wieder, um wie zuvor an die gegenüberliegende Wand zu starren. Offensichtlich will er echt kein Gespräch und vermutlich auch keine Gesellschaft, aber gehen werde ich erst, wenn er mich dazu auffordert.

"Hast dich jemals alleine gefühlt?", fragt er auf einmal. Seine Stimme klingt heiser und zerbrechlich, er wirkt nicht so selbstsicher, wie die letzten Tage. Als er spricht, sehe ich augenblicklich wieder in seine Richtung, erkenne aber nicht viel mehr, als die Seite seines blassen, tätowierten Gesichtes. Er sieht stur die Wand an, doch ich erkenne die nasse Spur auf seiner Wange und die Träne, die gerade sein Kinn hinunter auf seine Hände tropft. Er sieht so... verloren aus.

So hilflos und zerstört. Es tut mir weh. Das ist nicht der Yoongi, den ich kennengelernt habe, das ist jemand völlig anderes.

"Ja", antworte ich leise auf seine Frage, doch er lacht nur abschätzig auf und schüttelt den Kopf. "Nicht dieses normale 'Einsam sein', wenn man auch alleine irgendwo ist. Wenn man alleine in seinem Zimmer ist. Nein, nicht diese Art von allein sein."

Ich runzle die Stirn und lege den Kopf etwas schräg. Nun sieht Yoongi mich langsam an, ich sehe in seine Tränengefüllten, schwarzen Augen, erkenne die dichten, nassen Wimpern und seine bebenden Lippen. Er sieht so verzweifelt aus, dass es mir beinahe das Herz bricht. Er hat immer so stark und unnahbar in den letzten Tagen gewirkt, doch nun erkenne ich, dass er eigentlich völlig anders ist. Das von zuvor ist nur die Fassade, eine Schale, um nicht verletzt zu werden.

Innerlich ist er aber schon längst zerbrochen, in tausend kleine Scherben.

Und wer versucht, hinter die Fassade zu schauen, diese Scherben wieder zusammenzusetzen, schneidet sich gnadenlos an den scharfen Kanten, bis er es von selbst aufgibt und diesen verkümmerten Menschen ebenso.

"Welche Art von allein sein meinst du dann?", frage ich leise nach und höre ihn seufzen. Er hält den Augenkontakt weiterhin aufrecht, als er leise erwidert: "Wenn du von Menschen umgeben bist, aber dich immer noch alleine fühlst. Diese Art. Kennst du sie?"

Es dauert eine Weile, bis ich schliesslich den Kopf schüttle. Er lächelt traurig. "Gut so", flüstert er und wendet den Blick ab, "Hoffentlich wirst du es nie erfahren müssen."

"Was ist nur mit dir geschehen, Hyung? Was hat man dir angetan?", möchte ich wissen, was er mit einem Schulterzucken beantwortet. "Ich lebe hier. In diesem kalten, grauen Drecksloch, ohne Liebe, ohne Freude. Ich bin ihr Experiment, mehr nicht. Ich bin so wertvoll wie eine Geldnote, die durch eine völlig neue ersetzt wird. Erst reisst man sich um die Note, doch dann ist die neue besser. Sie haben mich zu etwas gemacht, was ich nie sein wollte. Ich erinnere mich an nichts aus dieser Welt, nur an diese hässlichen Wände, doch ich weiss, dass es etwas besseres gäbe, als das hier. Und dass ich etwas anderes hätte sein wollen, als... als das Monster, das ich bin."

"Hyung, denk nicht so. Du bist kein Monster. Du bist wertvoll!"

Er schüttelt nur den Kopf und lächelt bitter, bevor er den Blick abwendet und seine Arme um die angezogenen Beine schlingt. "Komm mir nicht zu nahe, Jungkook - du wirst unglücklich werden."

"Wieso sollte ich das?", frage ich verwirrt. Er seufzt ein weiteres Mal. Vermutlich bin ich noch unwissend und er hält mich für kindlich und naiv, doch ich möchte wissen, was mit ihm los ist, ich will ihm helfen, selbst wenn das vermutlich unmöglich scheint.

Aber ich bin sehr wohl bereit, mich tausende Male an seinen Scherben zu schneiden, wenn ich sie am Ende zusammensetzen kann. Er scheint zu leiden, dieses Leiden möchte ich ihm nehmen, denn verdient hat er es nicht. Auf keinen Fall.

"Hyung, was ist los mit dir?", bohre ich weiter, als er mir nicht auf meine letzte Frage antwortet. "Ich bin krank, Jungkook", murmelt er leise und sieht mich dabei nicht an, "Sehr krank sogar. Man könnte es auch als Todkrank bezeichnen."

Das Entsetzen packt mich und krallt sich in mein Herz, wie eine kalte, hässliche Hand, um es dann zu zerquetschen. "Was?", flüstere ich leise und spüre, wie Tränen in mir aufsteigen. Ich kenne Yoongi nicht lange, aber dafür habe ich ihn jetzt schon in mein Herz geschlossen, denn obwohl sein erster Auftritt angsteinflössend war, ist er doch ein sehr netter Mensch. "Hyung, kann ich etwas für dich tun?"

Er lacht leicht und schüttelt dann den Kopf. "Nein, leider nicht...", seufzt er, "Es ist eine Krankheit, die nur ich allein bekämpfen kann. Weisst du, sie ist nicht körperlich. Sie ist psychisch. Sie macht mich wahnsinnig, sie lässt mich nach dem Tod sehnen - man nennt es auch Depressionen. Sie kurbelt Selbsthass an, lässt nichts mehr schön wirken - es ist eine Krankheit voller Trauer. Wie ein dunkles, dunkles Tal, dass man durchwandert, aber ohne irgendein Licht am Ende. Und du bist allein, so, so allein."

Ich schlucke leer. Es hört sich grauenhaft an, was er mir erzählt und bloss die Vorstellung, dass ich mal in dieselbe Situation geraten könnte, macht mir Angst.

"Gibt es denn wirklich nichts, was dich glücklich macht?", möchte ich leise wissen. Er öffnet bereits den Mund, um mir wohl ein "Nein" zukommen zu lassen, doch er schliesst ihn dann auch wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Ich weiss nicht so genau, ob er mir noch antwortet oder nicht, doch ich warte die vielen Minuten, die sich wie Stunden anfühlen, ab, selbst wenn es mächtig meine Geduld auf die Probe stellt.

Schliesslich erlöst er mich aber. "Doch", flüstert Yoongi, "Es gibt etwas - jemanden."

"Dann geh zu dieser Person!", ermutige ich ihn sofort, "Bitte lass dich nicht so fallen."

Ein kleines Schmunzeln umspielt seine Lippen, selbst wenn seine dunklen Augen noch immer diesen Schmerz ausstrahlen. "Du bist niedlich", stellt er fest, steht dann aber tatsächlich auf. "Komm mit", fordert der Ältere mich auf, "Es wird Zeit, dass du den wahrhaftigen Engel dieser Welt kennen lernst."

Phoenix [Vkook]Where stories live. Discover now