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Jungkook

Neugierig und dennoch mit einer Spur Nervosität folge ich Yoongi durch Trakt B. Einen wahren Engel, hat er gesagt, wird er mir vorstellen. Aber, wieso ist dieser Mensch ein Engel? Kein Mensch ist so rein und selbstlos, wie ein echter Engel, selbst wenn man das gerne hätte.

In jedem steckt irgendwo, und sei es nur ein winziges bisschen, Egoismus. Jeder hat irgendeinen Flecken auf der reinen, weissen Weste. Keiner ist vollkommen unschuldig. Wie kann diese Person dann also ein wahrer Engel sein?

Obwohl mir also bewusst ist, dass er gar kein wahrer Engel sein kann, zweifle ich dennoch nicht an den Worten meines Hyungs. Yoongi sagt Dinge nicht einfach so. Er weiss, wovon er spricht, dafür macht er den Mund auch nicht allzu oft auf. Wenn er spricht, dann meint er es auch genauso und selbst wenn es absolut absurd wirkt und eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sein muss, glaube ich ihm, dass er mir einen wahren, unverfälschten Engel präsentieren wird.

Natürlich denke ich nicht, dass diese Person einen Heiligenschein und Schneeweisse Flügel haben wird, aber von der Persönlichkeit her... wenn Yoongi sagt, dieser Mensch ist ein Engel, dann muss daran etwas sein und das stelle ich erstmal nicht in Frage. Ich kann mir mein eigenes Urteil dann ja immer noch bilden, wenn ich ihn kenne.

"Wohin gehen wir?", frage ich neugierig und gebe mein Bestes, mit dem Älteren Schritt zu halten, denn seine Beine sind doch länger als meine, selbst wenn Yoongi jetzt nicht der Allergrösste ist. Der Angesprochene wirft mir ein verschmitztes Grinsen zu, welches seine Augen erreicht und ihn sehr sanft und harmlos erscheinen lässt. Das völlige Gegenteil, von dem, wie er sich sieht. Ein Monster.

Das ist er nicht und wird er niemals sein. Dafür hat er zu viel Menschlichkeit in sich, egal wie sehr man an ihm herum getüfelt und ihn praktisch zu einer Mutation herangezüchtet hat. Trotz all den Experimenten und all dem Leid, dass diesem jungen Mann widerfahren sein muss, hat er doch immer das wichtigste behalten, was ihn ausmacht: Seine Menschlichkeit, seine Gefühle, sein ganzes Ich. Wenn er ein Monster sein soll, dann sind Monster nicht grausam, böse oder hässlich. Sie sind sogar ziemlich attraktiv und verdienen den Namen, den man ihnen gegeben hat nicht, denn für den sind sie zu nett - Manche auf jeden Fall. 

"Nicht alle Monster tuen monströse Dinge, Hyung", lächle ich leise, nach meinem Gedankengang. Yoongi schenkt mir einen erst irritierten Blick, bevor er sich ein kleines Lächeln in einer Mischung aus Trauer und Belustigung abringt. Er hält mich wohl wirklich für naiv, aber das ist okay. Jeder hat seine eigenen Meinung. "Red noch mehr solches Zeug, dann wirst du bald sein Zwilling", erwidert der Schwarzhaarige nun, geht aber nicht weiter auf meinen Satz ein. 

Sein Zwilling? Redet er von diesem Engel?

Ich beschliesse, nicht weiter zu fragen, sondern folge ihm wieder stumm durch die vielen Flure, bis wir vor der Glastür stehen, die mit einem dicken, fetten 'C' versehen worden ist. Ohne zu zögern, passiert Yoongi die Tür und läuft auch dann weiter, ohne überhaupt darüber nachzudenken, wie es scheint.

Ich dagegen bleibe erstmal stehen. Er führt mich in Trakt C. Seit dem ersten Aufeinandertreffen mit Yoongi bin ich doch etwas skeptisch, was das betreten neuer, unbekannter Trakte angeht. Um ehrlich zu sein, habe ich nicht vor, wieder jemand so furchteinflössenden zu begegnen, denn ein zweites Mal macht mein Herz das sicherlich nicht mit. 

"Keien Angst, in dem Trakt wartet kein aggressiver, depressiver Typ auf dich", ruft Yoongi mir zu, der bemerkt hat, dass ich ihm nicht mehr folge und sich dementsprechend zu mir umgedreht hat. Ich schlucke leer und mustere den Älteren, bevor ich zaghaft nicht und tatsächlich Trakt C mit klopfendem Herzen betrete.

Etwas mulmig ist mir schon, aber andererseits habe ich ja Yoongi bei mir, ich bin sicher, sollte mein Leben in Gefahr sein, ist seines das genauso und dann wird er sich bestimmt verteidigen und mich gut beschützen können. 

"Wie heisst dieser Engel?", möchte ich wissen, kaum habe ich zu ihm aufgeschlossen. 

"Hoseok."

Hoseok... ein schöner Name, finde ich. Yoongi führt mich durch das verwirrende Labyrinth der Flure. Anders als in A und B sind die Wände hier in einem sanften Pastellblau gestrichen, was mich innerlich etwas schmollen lässt. Wieso ist dieser Trakt in dieser hübschen Farbe, aber Yoongis und meiner so hässlich weiss. Na gut, Yoongi hat sein Graffito, aber mein Trakt ist ja nun wirklich eine trostlose Einöde aus weiss.

Was auch aussergewöhnlich ist, sind die vielen Pflanzen, die die Flure hier schmücken. Ein Bonsai ist zu sehen, viele kleine Bäumchen, einige Blumen und sie alle sehen so gesund aus, nicht wie die hässliche eingegangene Zimmerpflanze in Yoongis Trakt.

"Hyung?", frage ich leise nach, "Wieso ist dieser Flur so hübsch gestaltet?"

Yoongi schmunzelt nur und wirft mir einen kurzen Blick zu. "Jeder darf seinen Trakt nach seinen Vorstellungen gestalten - falls diese nicht zu krass sind. Wieso du das noch nicht darfst liegt daran, dass du noch nicht vollständig entwickelt bist und meine Wände sind weiss, weil sie alle dagegen waren, dass ich sie schwarz streiche. Aber Hoseoks Trakt ist der schönste Teil der ganzen Station."

Ich nicke als Zeichen für mein Verständnis, bevor wir vor einer weissen Tür endlich Halt machen. Yoongi klopft zwar an, wartet aber nicht darauf, dass man uns herein bittet, sondern drückt direkt die Türklinke hinunter und betritt den Raum. Ich folge ihm eher unsicher in den hellen, genauso hübsch eingerichteten und dekorierten Raum, wie die Flure und sehe mich staunend um.

"Hallo Yoongi. Ich sehe, du hast jemanden mitgebracht." Auf der Stelle wirble ich herum und betrachte den grossen, schlanken Mann, mit einem tatsächlich engelsgleichen Lächeln auf seinen Lippen.

Yoongi hat nicht gelogen. Dieser Mensch wirkt tatsächlich wie ein wahrer Engel.

Phoenix [Vkook]Where stories live. Discover now