44. Vergangenheit

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Es war so weit. Sie stiegen ein. Erstmal hörte man nur ein höfliches Lachen der drei, so ein "Haha ja, das war der schlechteste Witz den ich je gehört hab, aber aus Höflichkeit lache ich trotzdem".

Dann hörte man das Auto anspringen, die Fahrt ging los! Erst hörte ich nichts, weshalb ich einfach mal meinen Kopf neben mich auf die Schulter von Yuu legte. Man hörte es lachen.

"Sie liebt dich wirklich, nicht wahr?", fragte Mama, man spürte ihr Lächeln auf uns ruhen. "Ja, ich liebe sie wirklich sehr." Auch sein Lächeln spürte ich, gefolgt von seinen Fingern, die sanft durch mein Haar streichen und einzelne Strähnen umwickelten, um sie gleich darauf wieder zu entlocken.

"Na, dann bin ich ja froh, dass sie nicht mehr einen Arsch als Freund hat wie diesen Typen damals..." Kurz musste ich mich unter Kontrolle halten, nicht laut "Mama!" zu rufen, um sie vom Weiterreden abzuhalten. Das wollte ich ihm erzählen, wenn es sein musste!

"Mhm? Was war das denn für einer?", fragte Yuu, scheinbar kein bisschen sauer, dass ich ihm meine vorherige Beziehung verheimlicht hatte.

"Oh man, hat sie dir davon nicht erzählt? Er war so ein Arschloch! Ich weiß nicht genau, was er alles gemacht hat, aber jedes Mal wenn sie von ihren Treffen nach Hause kam, hat sie erstmal geweint." Kurz blieb es still.

"Ich sagte ihr so oft, mach endlich Schluss! Ich bitte dich darum!" Aber jedes Mal kam nur ein schwaches Lächeln zurück und sie selber sagte "Nein Mama. Dann wird er erkennen wie schwach ich bin. Und das bin ich nicht. Deshalb wird er mein schwaches Ich niemals zu Gesicht bekommen."

Wieder wurde es still, diesmal länger und gereizter. Ja, das stimmte. Ich wusste, ich wäre nicht mehr stark, wenn er sah wie schwach ich bin. Und das wollte ich nicht. Dennoch hat es so weh. Bis er es endlich tat. Er machte Schluss. Denn er hatte eine bessere. Die ihm auf Schritt und Tritt folgt. Wie ein Hund.

"Sie ist so stur... Und dennoch so stark...", murmelte Yuu vor sich hin, was von Mama ein kurzes Lachen entlockte. "Wenn sie wach wäre, sie würde sich freuen, das zu hören."

Ich musste echt gegen das Lächeln ankämpfen. Denn es freute mich wirklich.

Eine Zeit lang war es wieder ruhig, weshalb ich die Augen öffnete und zu Yuu schaute. Sein Blick war ans Fenster gerichtet, in seinen Ohren steckten seine blauen Kopfhörer, so klein, dass man sie fast über sah.

Ich wurde neugierig, was hörte er wohl für Musik? Frech wie ich war, zog ich ihm einfach einen Ohrstöpsel heraus und steckte es in mein eigenes, das genervte "Hey!" von Yuu ignorierend.

Kurze Zeit verging, in der ich die Melodie zu zu ordnen versuchte. Dann lächelte ich. Es war das Lied, das wir am letzten Abend zu Hause gemeinsam auf dem Klavier gespielt haben.

"Unsere Melodie, nicht wahr?", fragte er lächelnd, während er seinen Kopf auf meiner Schulter ablegte und wir gemeinsam dem Klavierspiel lauschten.

Ich nickte nur stumm, um die Atmosphäre nicht zu unterbrechen.

So blieben wir lange, schauten der Straße zu, wie sie vorbei zog und unterm Auto verschwand. Das ging eine Zeit lang so weiter, bis wir plötzlich zum Stehen kamen. Ich schaute mich um. Wir waren ja schon da!

Sofort erkannte ich das Haus wieder, ich war als Kind schon oft darin, als immer wir Yukie besuchten. Yukie war meine Tante, das habe ich ja noch gar nicht erwähnt, mein Fehler.

Yukie Murase, eine Frau, auf unbestimmte Zeit krank geschrieben, aufgrund von Arbeitsunfähigkeit. Krebs, ein Krebs, der sie langsam von innen heraus zerstört. Genau wie mich. Und die aufmerksamen unter euch werden sich jetzt vermutlich denken "Ihre Mutter heißt Murase? Das heißt ihr Vater hat ihren Namen angenommen?"

Ja genau so ist es. Das ist jedoch eine längere Geschichte, die ich nicht genau weiß. Es war schon immer ein Geheimnis meiner Eltern. Wobei ich ja immer geglaubt habe, dass es sich irgendwie um Stärke handelt. So was wie "Meine Frau hat eine so starke Persönlichkeit, darum ist es mir eine Ehre ihren Namen zu tragen!" oder so. Also mega der Kitsch.

Na ja, wir stiegen jedenfalls aus. Fast wie automatisch nahm ich meinen Rucksack von meinem Sitz, ging zum Kofferraum, machte ihn auf und stellte alle Koffer auf den Asphalt.

"Wie einstudiert was?", lachte Mum darauf, die dieses Schauspiel anscheinend auch erkannte. Ich lachte als Antwort schlicht darauf und rollte dann meinen schwarzen Koffer an die Haustür, positionierte mich dort.

Zwar sah ich nun aus wie bestellt und nicht abgeholt, aber das legte sich natürlich gleich wieder, als die anderen folgten.

Yuu lachte mich an und nahm gleich meine Hand, während seine Lippen auf meiner Wange landeten. "Musstest du lange warten?", fragte er lächelnd. "Ach nein, ich bin auch eben erst genommen", gab ich mit einem sarkastischen Zwinkert zurück.

Als dann auch Mum und Dad sich zur Tür begnückten, wurde diese endlich geöffnet und wir konnten in die warme Wohnung. Drinnen hörte man einige Zeit nichts. Darum lief Mum erstmal durch die Wohnung, auf der Suche nach Yukie. Doch diese kam kaum einen Moment später durch die Wohnzimmertür spaziert.

"Ja hallo Ayumi Schatz!", lachte sie mich mit ihrem typisch übertriebenen Lächeln an und rollte mit ihrem total modern ausgestatteten Rollstuhl zu mir. "Beug dich mal etwas runter, damit ich dich auch ordentlich knuddeln kann!"

Mir wurde in genau diesem Moment schlecht. Und zwar sehr. Ihr Anblick, widerte mich einfach an. Nicht, dass sie hässlig war, nein, es war etwas anderes.

Zerzauste, ungepflegte Haare, Falten im Gesicht, Augenringe, an denen man die schlaflosen Nächste förmlich abzählen konnte, ein Aussehen wie 70 Jahre alt. Und das mit Anfang 30.

Die Auswirkungen von Krankheiten sind immer wieder erschreckend. Zwar lächelt sie immer alle an, als wäre sie das Glück in Person, aber das stimmt nicht. Sie ist genau das Gegenteil.

Weint sich jeden Tag in den Schlaf.

Muss jedem Tag damit rechnen, am nächsten Morgen, wenn überhaupt, im Krankenhaus aufzuwachen.

Kann sich nicht mal alleine waschen.

Und das wird irgendwann aus mir. Entweder das, oder der Tod.

"J-Ja...", murmelte ich unsicher und beugte mich zu ihr runter, ließ mich von ihr durchkneten. Wie lange das gehen würde, lag zu diesem Moment noch in der Zukunft...

Der Abend und die Schönheit (Nishinoya x Oc❤)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt