46. Spaziergang mit Folgen

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Genervt stöhnte ich auf, zog jedoch Yuu mit einer Hand hoch und ließ diese auch nicht los, bis wir am Essenstisch saßen. Natürlich wurden wir von drei grinsenden Gesichtern empfangen. Jedoch war jeder still.

"Ihr seid einfach süß!", platzte es dennoch nach einer Weile aus Mama heraus. "Wie ihr Händchen haltet und oh maaan!" Sie quitschte förmlich, während sie da so schwärmte.

"Na ja, lasst uns anfangen!", bat ich und so machten wir es auch. Es gab Ramen. "Ich wollte eigentlich was australisches kochen, aber da dachte ich ich versuche mal das!", lachte Yukie und wir begannen zu essen.

Wir erzählten uns einiges über die vergangenen Jahre, wie denn nun das mit Yuu genau begonnen hat, wie es in der Schule läuft, in Papas Firma und so weiter.

Bis mich plötzlich Yuu an schaute und nicht mehr wegzuschauen schien. "Ähm, alles okay?", fragte ich und hielt für einen Moment inne. "Du hast da was!", rief er plötzlich und kam mit seinem Gesicht näher, mit den Lippen immer näher an meine. Dann schien er eine Ramennudel, die mir am Mundwinkel herab hing, in den Mund zu nehmen und langsam aufzuessen, dabei kam er immer näher.

Auch wenn ich in diesem Moment nichts verstand, dass Mama halb am Sterben war erkannte ich sogar hier. Kurz bevor er jedoch meine Lippen mit seinen berührte, grinste er nur und zog mir die Nudel vollends weg und aß sie auf. "Gewonnen!", lachte er und widmete sich einfach wieder seinem Teller.

Was genau das war verstand ich natürlich nicht. Aber rot geworden bin ich alle mal. Auch meine Eltern fanden die Aktion bravourös. "Jaa weiter so Nishinoya-san!", rief mein Vater begeistert und auch meine Mum feuerte ihn fleißig an, worauf Yuu eine Verbeugung andeutete.

Das Abendessen verging, wir lachten viel und unterhielten uns lange, auch nach dem wir alle fertig waren, immerhin hatten wir uns seit etwa drei Jahren nicht mehr gesehen. Nachdem ich aber keine große Lust mehr empfand, mich am Gespräch zu beteiligen, stand ich auf und stellte wieder auf den Garten heraus, um die Sterne zu beobachten.

Es waren schöne Sterne, im nachtblauen Himmel klar zu erkennen, klar wie mein früher Tod. Eine pessimistische Vorstellung, ich weiß, aber dieses Denken zählt schon lange zu meinem Alltag dazu. Und es wird nicht besser.

Die Glastür wurde wieder aufgeschoben, eine Gestalt trat neben mich, ich erkannte sofort wer es war, immer hin musste ich meinen Freund erkennen, er erkannte mich ja auch. Mein "Freund". Das klang immer noch zu schön um war zu sein.

"Was ein schöner Abend", fing ich an, spürte sein warmes Lächeln, wie sich sein Kopf zu Boden senkte. "Und du bist die Schönheit", fügte ich hinzu, sein Lächeln richtete sich auf mich. Also hatte er die Andeutung verstanden. Kluger Junge. Das waren unsere Namen. "Mi" von Ayumi, geschrieben mit dem Schriftzeichen von "Schönheit" und "Yuu", geschrieben mit dem Schriftzeichen für "Abend". Ich fand diese Namen sehr schön.

"Der Abend und die Schönheit" so könnte man fast schon eine Geschichte nennen!

Mein Blick war noch immer auf einen einzelnen, hell leuchtenden Stern gerichtet, während sich einige Finger zwischen meine schoben. "Ich liebe dich wirklich sehr", flüsterte er in die unruhige Stille, ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. "Ich liebe dich auch sehr." Wir genossen die Stille, die uns umgab, die unersättigte Stille. Dass die Stille später noch zu Krankenwagensirenen werden würden, ahnte ich in diesem Moment noch nicht.

Ein Schicksalsschlag kommt wie eine Bombe, sie kündigt sich nicht an, sie landet einfach und zerstört alles um dich herum. Und wenn du Pech hast, auch dich.

"Lass uns doch ein bisschen laufen. Die australischen Nächte sind schön!", schlug ich vor, während ich ihn breit anlächelte. Doofe Idee, doch natürlich wusste ich das zu diesem Zeitpunkt nicht. Yuu gab mir ein schlichtes Lächeln zurück, gefolgt von einem Nicken. "Wieso nicht? Du musst es ja wissen."

Also liefen wir zu dem kleinen Gartentörchen, an dem ich bereits öfter in meiner Kindheit herumgespielt hatte. Einmal hatte ich das Tor sogar aus seiner Angel ausgehängt, natürlich waren meine Eltern nicht gerade erfreut. Aber was sollte ich machen? Ich war doch auch nur ein Kind! Ich wünschte wirklich ich wäre wieder eines...

Einige Sekunden später liefen wir dann auch schon auf dem kleinen Feldweg, auf dem als Kind bereits oft genug mit dem Fahrrad hin und her gerast bin. Damals hätte ich auch nie gedacht, dass ich in zehn Jahren hier nochmal bin. Oder dass ich überhaupt bin. Und dann auch noch mit der Liebe meines Lebens.

Und nun begann es wieder. Mein Leben meldete sich wieder. Die Wahrheit meldete sich. Als ein stechender Schmerz einmal quer durch meinen Körper durchzog, riss es mich förmlich von meinen Beinen. Es zog mir wortwörtlich den Boden unter den Füßen davon. Während ich auf dem Boden saß, keuchte ich, mir blieb die Luft zum Atmen weg, ich bekam keine Luft in meine Lungen. Neben mir vernahm ich Yuus besorgten Rufe, er versuchte mich sanft zu rütteln, was ich sofort unterband, indem ich ihm den Arm weg schlug. Ich musste still halten, um irgendwie Luft in meine Kehle zu bekommen. Langsam verschwamm die Gegend um mich, ich sah Yuus Gesicht nun direkt vor mir, ich war auf den Rücken gefallen. Ich vernahm Yuus panischen Griffe, seine zitternden Hände wie er nach seinem Handy griff und den Notruf wählte. Er versuchte meine Situation zu erklären, doch er wurde anscheinend unterbrochen, da er abrupt aufhörte zu sprechen. Er konnte ja nicht mal englisch sprechen.

So lag ich da, vermutlich war mein Gesicht bereits angelaufen wie das einer Wasserleiche, und meine Arme zitterten wie Espenlaub um die Wette. "Nein! Mach kein Scheiß Ayu! Ich kann doch kein englisch man!" Er klang echt fertig, ich denke das, was ihn jetzt so beunruhigte war, dass er mir nicht helfen konnte, obwohl es seine Aufgabe war. Er schaute sich immer noch unter Tränen um, bis ich plötzlich eine weitere Gestalt vernahm. Sie sprachen etwas miteinander. Sie sprachen! Wir trafen tatsächlich auf eine japanisch-australische Frau! Sie sprachen miteinander, während die Frau ihr Handy heraus zog und telefonierte. Ich war gerettet. Ich konnte es gar nicht glauben. "Keine Sorge Ayu. Es dauert nicht lange. Hilfe kommt bald!", flüsterte mir Noya zu, er versuchte mich zu beruhigen.

Den Rest bekam ich nicht mehr mit. Es fühlte sich alles nur noch wie ein böser Traum an... Ein böser Traum...

Ein Traum...

"Ayumi, wach auf!", rief plötzlich eine Gestalt in meine Ruhe, worauf ich die Augen aufschlug und mich umsah. Sofort verzog ich das Gesicht, da meine Nase von einem nassen Etwas gestrichen wurde. Als sich meine Sicht aufklarte erkannte ich das Etwas. Gras. "Was ist das... denn?", fragte ich, während ich den Kopf weiter bewegte, bis zwei Personen erkannte. "Mama? Papa? Wo bin ich? Ich war doch...", versuchte ich zu erklären, doch komischer Weise wusste ich es nicht mehr. Was genau versuchte ich zu erklären? Wo war ich bis eben?

"Keine Sorge Schatz. Du hast das Gartentor mal wieder ausgehängt und dabei hast du dir wohl den Kopf eingeklemmt und bist deshalb weggetreten", erklärte mir die männliche Gestalt über mir, während sich starke, geborgene Arme um meinen zarten Körper legten und ich in die Höhe gehoben wurde. "Aber... Wo ist Yuu? Und die Frau?", fragte ich, doch ich erntete nur verwirrte Blicke. "Ich denke du hast dir den Kopf ziemlich gestoßen Schatz", lachte mein Vater, während er mich ins Haus trug. Er hatte Recht. Wer war überhaupt diese Frau von der ich redete? Und wer war Yuu?

Der Abend und die Schönheit (Nishinoya x Oc❤)Where stories live. Discover now