Kapitel 17 - Fels

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Wie so oft schon, sitze ich auf einem Felsen und betrachte, wie die Sonne aufgeht. Es ist Wochenende, gerade einmal sechs Uhr in der Früh. Ich konnte nicht mehr schlafen, also bin ich aus dem Haus geschlichen und an den Strand gekommen. So früh war hier natürlich noch niemand, daher bin ich zunächst noch etwas im Mondlicht auf den Wellen geritten, bevor der Mond am Himmel langsam verblasste und ich mir einen Platz auf diesem Felsen suchte. Es ist der Felsen, von welchem ich vor knapp einer Woche das Leuchten gesehen habe. Der Felsen, von welchem ich gesprungen bin, um einer alten Taschenlampe hinterher zu schwimmen. Der Felsen, ohne den ich Yoongi und Jungkook nicht kennengelernt hätte. Und der Felsen, auf dem damals dieser Junge mit der wunderschönen Stimme saß und so herzzerreißend gesungen hat.

Ich weiß immer noch nicht, wie er genau aussah, er war viel zu weit weg gewesen. Doch man hat ihm angesehen, dass er nur so vor Schönheit strahlte. Und seine Stimme war so wunderschön, es war, als hätte ich einen Engel singen hören können. Ach was würde ich nur dafür geben, ihn noch einmal zu hören. Außerdem war der Text, welchen er gesungen hat, so berührend, ich wollte ihn einfach nur in den Arm nehmen und ihm sagen, dass alles wieder gut werden würde.

Ich schließe meine Augen einen Moment, um mich wieder zu erinnern. Mit einem Lächeln spiele ich seinen Gesang erneut in meinem Kopf ab. Und erneut klingt es wunderschön. „Maybe there's a god above, but all I ever learned from love was how to shoot at someone who outdrew you." Er schien so unendlich traurig wegen etwas zu sein, weswegen dieser Text noch einmal trauriger klang. „It's not a cry you can hear at night, it's not somebody who has seen the light, it's a cold and it's a broken hallelujah." Ich öffne meine Augen wieder und seufze einmal auf. Wie gerne würde ich diesen Jungen doch jetzt sehen. Doch glaube ich nicht, dass ich ihn noch einmal treffen werde, geschweige denn, dass er noch einmal hier auf diesem Felsen singen wird.Ich widme der Sonne wieder meine volle Aufmerksamkeit, zumindest versuche ich es, denn meine Gedanken hängen immer noch an diesem Fremden.

Ich überlege mir, wie er wohl so ist. Was für eine Persönlichkeit hätte jemand, der etwas so trauriges mit so einem Gefühl singen kann? Wie würde jemand wie er in Situationen handeln, in denen bei mir lediglich das Lächeln erstirbt? Würde er weinen? Plötzlich, mit einem Schlag, kommt mir die Erkenntnis.Meine Augen weiten sich und ich sehe in Richtung der Sonne. Es scheint, als würde sie mich anlächeln, als würde sie mir gratulieren wollen. Gratulieren, zu meiner Erkenntnis. Denn endlich habe ich das fehlende Puzzleteil gefunden. Was keinen Sinn gemacht hat, liegt nun kristallklar auf der Hand.

Wie hatte er so schnell wegkommen können?
Wie hatte er so einfach verschwinden können?
Und wie hat sich die Taschenlampe bewegt?

Hier gibt es nichts außer Wasser und ein paar Felsen, er muss also geschwommen sein. Doch, wohin? Er war von einer auf die nächste Sekunde verschwunden. Er muss die Taschenlampe gehalten haben. Und er muss mit ihr getaucht sein. Immer und immer tiefer. Ein Mensch hätte so etwas nicht ohne Weiteres geschafft. Es sei denn...

Es sei denn, er war nur zur Hälfte Mensch. Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen?
Jemand wie Yoongi oder Hoseok, hätte es wahrscheinlich leicht hinbekommen, so weit und tief zu tauchen. Und Yoongi meinte ja, es gäbe viele wie ihn und darüber hinaus auch noch volle Fischmenschen. Da liegt es natürlich nahe, dass solch ein Fischmensch dieses wunderschöne Lied gesungen hat. Ich stelle mir vor, wie der Sänger aussehen könnte und meine Augen schließen sich. Langsam erstellt sich ein Bild vor meinen Augen. Ich lächle bei dem Gedanken an diesen wunderschönen jungen Mann. Die braunen Haare fallen ihm ins Gesicht, während die Wellen an den Felsen schlagen. Seine Augen hat er geschlossen, die langen, dunklen Wimpern schmiegen sich an seine Wangen. Seine Nase wird vom Mondlicht beleuchtet und bewegt sich leicht. Seine runden, rosanen Lippen bewegen sich, während die wunderschönen Klänge seinen Mund verlassen.

Ich öffne meine Augen wieder und bemerke, dass die Sonne bereits voll aufgegangen ist. Kurz weiten sich meine Augen, bevor ich schnell mit einem Kopfsprung ins Wasser springe und dem Ufer entgegen schwimme. Plötzlich legt sich ein Arm um meine Taille und ich bewege mich schneller. Als ich zur Seite schaue, sehe ich, dass Yoongi derjenige ist, dem der Arm gehört. Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, als ich dieses auch auf seinem entdecke. Als wir kurz vor dem Ufer sind, sage ich: „Danke fürs Bringen, Hyung", was ihm ein Lachen entlockt. „Kein Problem, Tagträumer", erwidert er lediglich. Das heißt dann wohl, dass er mich beobachtet hat. Ich beobachte Yoongi von der Seite. Könnte er vielleicht der Fischmensch vom Felsen sein? Ich bin mir sicher, dass mir sein Fischschwanz nicht aufgefallen wäre. Denn es war schon recht dunkel, auch wenn der Mond geschienen hat. Dadurch war natürlich der Felsen auch nur noch ein schwarzer Fleck auf dem Wasser.

Mein Blick gleitet noch auf Yoongis Fischteil, bevor er wegschwimmt und mich mit meinen Gedanken alleine lässt. Die Sonne reflektiert sich in seine dunklen Schuppen. Sein Fischschwanz ist so anders als der von Hoseok, aber dennoch so wunderschön. Statt zwei, schmücken drei filigrane Flossen das Ende des Schwanzes. Auf der Rückseite seiner „Oberschenkel" befindet sich eine weitere kleine Flosse, welche ein wenig ausgefranst wirkt. Sein Fischschwanz geht nahtlos über in seine Haut, wodurch diese ebenfalls im Lenden-Bereich etwas dunkler erscheint. Was aber das besondere an seinem Fischteil ist, ist dass man nie genau sagen kann, welche Farbe er genau hat. Je nachdem wie die Sonne fällt, sieht es Mal aus wie ein Violett, welches unter einer dünnen Schicht Kohle versteckt ist, oder wie ein helles Schwarz, aus gemahlenen Steinen. Unter Wasser jedoch, entfaltet sich das volle Farbspiel. Über Yoongis Schwanz laufen dann Farbschauer aus violetten, blauen, schwarzen und silbernen Pigmenten. Es scheint dann so, als wenn er jede Sekunde die Farbe ändert. Ich denke also, dass es schon möglich wäre, dass Yoongi dort gesessen hätte. Das würde auch erklären, warum er so schnell bei mir war, als ich getaucht bin. Während ich mich bereits auf den Weg zurück mache, werde ich mir in meinemEntschluss sehr sicher. Auch wenn seine Stimme tief klingt, bin ich mir sehr sicher, dass er solcheTöne von sich geben kann. Es ist mir also endlich klar.

Yoongi saß dort auf dem Felsen.    

Under The Sea ♛ TaeKook [completed; Hobby Award, Fishriver Award]Where stories live. Discover now