Kapitel 48 - Fotoalbum

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Nachdem ich einen Moment sitzen geblieben bin, mir alles mögliche im Kopf zusammengespinnt habe, entschließe ich mich dazu, meinen Großvater einfach zu konfrontieren.
Langsam tapse ich also zurück ins Wohnzimmer, wo dieser gerade meine Geschwister beim Durchblättern eines alten Fotoalbums beobachtet.
„Großvater, kann ich kurz mit dir reden, bitte?"
Er schaut mich an.
„Alleine", füge ich noch mit Blick auf meine Eonjin und Jeonggyu hinzu.

Er scheint zu ahnen, was ich will, und er nickt.
Zusammen stehen wir auf und gehen in sein Schlafzimmer, ein Ort, in dem ich früher oft war, habe mit meinen Großeltern in einem Bett geschlafen, wenn ich hier war.
Nun hängen viele Bilder an den Wänden, sie alle zeigen, wie wunderschön die Beziehung meiner Großeltern war.
Fotos von gemeinsamen Ausflügen, familiäre Geburtstage, eine traumhafte Hochzeit und süße Momente.
„Vermisst du sie?", frage ich leise, als mein Großvater lange Zeit auf das Hochzeitsbild der beiden schaut.

„Jeden Tag, mein Enkel, jeden Tag", antwortet er leise und lässt sich ans Fußende des Bettes sinken.
„Ich bin mir sicher, wo immer sie auch ist, denkt sie genauso viel an dich, wie du an sie", versuche ich, ihn aufzumuntern und lege meine Arme um ihn, als ich mich neben ihn setze.
„Warum wolltest du jetzt eigentlich mit mir so dringend alleine sprechen?", fragt er mich nach einer Weile, in der wir gekuschelt haben und ich hole tief Luft.
„Ich mag nicht nur Mädchen."

Als ich das sage, schließe ich kurz die Augen und öffne sie erst wieder, als er leicht lacht und mit der Hand durch meine Haare fährt.
„Dachtest du ich habe etwas dagegen?"
Ganz leicht nicke ich, will ihn nicht verletzen.
„Weißt du, Taehyung", fängt er an und richtet den Blick wieder auf das Bild, „früher, da hatte ich mal was dagegen.
Ich habe nicht verstanden, wie man sich zu dem selben oder sogar zu mehreren Geschlechtern hingezogen fühlen kann.
Es gab sogar eine Zeit, da war ich nahezu homophob und rassistisch, so war ich erzogen worden.
Doch deine Großmutter hat mir die Augen geöffnet."

Ich schaue ihn aus großen Augen an.
„Sie hat mir erklärt, dass die Menschen nichts dafürkönnen, erklärte mir, dass es da, wo sie herkam, normal war.
Wir hatten Streit darüber, ich war ein ziemlicher Sturkopf damals.
Doch dann hat sie es mit unserer eigenen Liebe verglichen, zwei Wesen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können."
Er hat Wesen gesagt, nicht Menschen, fährt mir sofort durch den Kopf, weshalb ich mich minimal von ihm entferne.

„Was ist damals wirklich mit Großmutter geschehen?", frage ich vorsichtig und er lächelt leicht traurig.
„Weißt du, die ganzen Geschichten, die ich euch erzähle–"
„–sind wahr, ich weiß", hauche ich und mein Großvater lächelt ein wenig.
„Es war nur eine Frage der Zeit, bis du es herausfinden würdest, mein Junge", er klang fast schon stolz, „du hast Recht, alles ist wahr.
Die Königreiche, die Wesen, die Kriege.
Du hast damit selbst Bekanntschaft gemacht, nicht wahr?"

Ich nicke sofort, will, dass er weitererzählt.
„Deine Großmutter war ein Teil davon, ein Teil des Meeres.
Sie war eine Sirene, mein Junge, eine wunderschöne Seirína, mit der schönsten Stimme die diese Welt jemals gehört hat."
Obwohl ich ja irgendetwas in diese Richtung vermutet habe, verschlägt mir diese Realität den Atem.
„Es ist kein Zufall, dass ihr nach Sokcho gezogen seid, mein Junge, zumindest nicht in dieses Haus", erklärt mein Großvater und ich weite die Augen, in meinem Kopf fügen sich einige Dinge zusammen.

„Ihr habt früher dort gewohnt, habe ich Recht?
In Sokcho, in diesem Haus", schließe ich, „Großmutter musste wohl nah am Wasser sein, du hast mal erzählt, dass du dort eine Ausbildung am Hafen gemacht hast.
Du hast sie singen gehört, nicht wahr?"
Mein Großvater nickt und holt ein Bild aus der Nachttischschublade.
Es zeigt Großmutter auf einem Felsen, ihre langen, schwarzen Haare verdecken ihren Oberkörper und sie sitzt auf einem Felsen, Großvater daneben.
„Das ist Großmutter?", ich bin verwirrt darüber, dass sie so anders aussieht, als auf den anderen Fotos, allerdings erkenne ich das ja bei Jungkook auch, wenn auch nur kleinere Veränderungen.

„Oh ja, das ist deine Großmutter, meine Frau.
Und du hast Recht, wir haben in diesem Haus gewohnt und eines Nachts habe ich sie singen gehört.
Sie hatte Angst vor mir, sprach unsere Sprache nicht gut.
Doch in langsamen Schritten, innerhalb vieler Nächte haben wir uns kennengelernt, verliebt.
Ich habe ihr unsere Welt gezeigt und sie mir einen winzigen Teil ihrer.
Wir bekamen ein Baby zusammen, deine Mutter."
Sie weiß also davon, deswegen liebt sie das Wasser so sehr wie ich.

„Als der Krieg begann, also du noch jung warst, musste sie zurück nach Sokcho.
Doch kam sie nie wieder zurück", erzählte er mir dann.
„Der Tag, an dem sie in den Zug nach Sokcho gestiegen ist, war der letzte Tag, an dem ich meine geliebte Frau sah.
Und später fand ich heraus, das sie keineswegs gestorben, sondern gefangengenommen und eingesperrt wurde."

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Kimchi_Real

Under The Sea ♛ TaeKook [completed; Hobby Award, Fishriver Award]Where stories live. Discover now