Kapitel 36 - Tragweite

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Kaum bin ich zu Hause angekommen, entscheide ich mich dazu, doch wieder zu gehen. Und so führen mich meine Füße zurück zum Strand, von wo ich vor einer halben Stunde noch geflüchtet bin. Ich spinkse durch den Zaun und sehe auf den ersten Blick niemanden. Also schließe ich das Tor auf und gehe zu meinem altbekannten Platz. Doch da sehe ich, dass ich doch nicht so alleine bin. Der Junge – Jungkook – sitzt auf dem Felsen, wie sonst auch. Ich höre, wie leise Schluchzer seinen Mund verlassen und bis hier hin kann ich sehen, wie sein Körper durchgeschüttelt wird. Es tut mir weh, verdammt weh. Er soll nicht weinen, besonders nicht wegen mir, aber ist er nicht trotzdem irgendwie selbst Schuld. Jetzt, wo ich herausgefunden habe, wer er wirklich ist, was er wirklich ist, ergibt so vieles Sinn. Wieso Yoongi ihn immer abgeholt hat, damit er abends nicht zu lange draußen ist. Vielleicht hat er Familie dort im Meer? Yoongi hatte gesagt, dass er im Meer leben würde... Oder hat er doch nicht gelogen, als er von dem Tod seiner Eltern sprach? Ich bin mir bei nichts mehr sicher.

Fast schon muss ich auflachen, als ich daran denke, wie dumm ich doch war. Alles war so klar, doch naiv wie ich bin, habe ich Jungkook vertraut, während er mir ein falsches Leben vorgespielt hat. Ich denke an so viele Situationen zurück, in denen es mir hätte klarwerden sollen. Und an so viele Situationen, die die Tragweite dieser Lüge klar machen. Zum Beispiel, als wir darüber geredet haben, wie gerne ich den Sturm und die ungezähmte See liebe und Jungkook mich nur mit großen Augen angeschaut hat. „Tae, das Meer ist ein ungezähmtes Wunder, das nur darauf wartet, dich in Qualen ertrinken zu lassen. Es ist verdammt nochmal gefährlich, komm dem nicht zu Nahe. Hörst du, Tae Hyung?" Ich lächelte und küsste seine Wange.„Natürlich Jungkook-ah, ich passe auf, vor allem darauf, dass mich keine tollwütigen Meerjungfrauen oder verrückte Sirenen verspeisen." Er nickte nur und lehnte sich traurig seufzend an mich, was im Nachhinein Sinn macht. Ich war einfach blind. Und jetzt sitzt er dort auf dem Felsen und weint.

Zu Recht, oder nicht? Er hat mir so viel verschwiegen und mir etwas falsches vorgespielt, da ist es nur verständlich, dass ich sauer bin. Aber auf der anderen Seite bedeutet er mir viel zu viel und ich denke immer an das Gute, bestimmt hatte all das einen Grund. Es erinnert mich daran, als ich meine erste Beziehung hatte. Sie war keineswegs so tiefgründig wie die mit Jungkook. Dennoch war es meine erste Beziehung, die man als solche bezeichnen konnte. Im Endeffekt ist sie dadurch gescheitert, dass er mir Dinge verheimlicht hatte. Es waren nicht einmal schlimme Dinge, dass er raucht, konnte man sowieso riechen, mir machte es nicht wirklich etwas aus. Doch dass er es jedes Mal abstritt, ließ mein Herz jedes Mal mehr brechen. Und es wurden mehr und mehr Lügen, die er sich aufbaute. Ich war wütend auf ihn, schrie ihn an und wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben, ließ ihm keine Chance, auszureden. Erst viel später fand ich heraus, dass er gelogen hatte, um perfekt für mich zu sein, weil er dabei war, sich zu ändern. Er wollte der perfekte Freund für mich sein, ein Prinz, der mich auf Händen trägt. Diesen Fehler werde ich nicht noch einmal machen.

Ich werde diese Beziehung nicht einfach den Bach runter gehen lassen, nur weil er mir etwas verheimlicht hat. Ich werde ihm zuhören, das habe ich mir vorgenommen. Aber nicht jetzt, nicht heute Nacht; ich muss es erst einmal selbst verarbeiten. Und das will ich ihm mitteilen, doch wollen mir keine gescheiten Sätze einfallen. Doch dann erinnere ich mich an die Melodie, die ich Jungkook vor einiger Zeit hab summen hören, als er darauf gewartet hatte, das sich von der Toilette wiederkomme. Also erhebe ich meine Stimme etwas. „I will not make the same mistakes that I did; I will not let myself cause my heart so much misery", ich nehme wahr, wie Jungkooks Schluchzen etwas leiser wird und schließlich ganz stoppt. „Won't break again the way I did, I fell so hard... I've learned the hard way to never let it get that far", seine Silhouette wendet sich auf dem Felsen mir zu. Ich fixiere ihn, während er mir zu hört, wie ich ihm mein Herz ausschütte.

„Because of you, I never stray too far from the beachside." Ich denke an die ganzen Abende, die ich am Strand saß und an ihn dedacht habe. „Because of you, I learned to surf on the safe side so I don't get hurt." Wie er mir immer wieder gesagt hat, wie ungeheuer wichtig es ihm ist, dass ich auf mich aufpasse. „Because of you, I find it hard to trust not only you, but everyone around me.
Because of you, I am afraid." Ich beende meinen Part und schaue ihn an. Wie schon gestern, scheinen wir durch die Musik auf eine andere Art und Weise verständigen zu können. Wie gestern schlägt sein Fischschwanz leicht in einem gleichmäßigen Takt gegen den Felsen. Und wie gestern, öffnet er seinen Mund, um wunderschönen Gesang von sich zu geben, welcher auf meinen antwortet.

„I lose my way and it's not too long before you point it out; I should not cry because I know all that was my fault. It wasn't forced: the smile; not a play pretend everyday. How could I break your heart when I know how much it will hurt you?" Er klingt so unglaublich ehrlich, als würde er jedes einzelne Wort genauso meinen, wie er es sagt. Und ich glaube ihm. Trotz allem glaube ich hm, dass er diese Worte erst meint. „Because of you I never stray too far from the beachside." Unsere unzähligen Dates am Strand. „Because of you I learned to swim on the safe side so I don't get hurt." Ich habe ihm immer scherzhaft gesagt, er solle mir nur ja nicht wegschwimmen, falls er mit Yoongi ins Wasser gehen würde und er immer schön auf ihn hören soll damit ihm nichts passiert. „Because of me you find it hard to trust not only me, but everyone around you. Because of me you are afraid." Er weiß es und er versteht es.

„I watched you lie", begann ich und sogleich ergänzte er mich: „You heard me sing every night in your dreams." Und damit hat er verdammt nochmal recht. Doch für mich ist auch noch etwas anderes wahr: „I'm such a fool." Und erneut erkennt er selbst, dass er Schuld trägt: „I should have told..." Als würden wir genau wissen, was der andere sagen will, singen wir auf einmal zusammen weitere Zeilen. „Better than to lean on you; I never thought of anyone else, I just felt your love... And now we cry in the middle of the night for the same damn love!" „Because of you I never stray too far from the beachside", erinnere ich ihn. „Because of you I learned to swim on the safe side so I don't get hurt", doch als ich etwas sagen will, singt er nur weiter, „Because of you I try my hardest to break out of everything." Woraus will er ausbrechen? Seinem Leben?

„Because of you I don't know how to let anyone else in", gebe ich ehrlich zu und mit einem erneuten Schluchzen fügt Jungkook hinzu: „Because of you I'm ashamed of my life", obwohl das gar nicht das ist, was ich erreichen wollte. Er soll sich nicht für sich selbst schämen, er ist immer noch wundervoll und er kann nichts dafür, dass er nun mal kein Mensch ist. Doch in einem Punkt scheinen wir uns definitiv einig zu sein, wenn man unserem synchronen Gesang zuhört. „Because I'm empty. Because of you, I am... alone." „Because of you", schließe ich und kurz danach schließt er ebenfalls mit „Because of you." Wir schauen uns an und ich kann nicht verhindern, dass die Tränen erneut über meine Wangen fließen, als ich mich von dem Felsen abwende und nach Hause gehe. Ich werde ihm zuhören. Aber nicht heute.


Under The Sea ♛ TaeKook [completed; Hobby Award, Fishriver Award]Waar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu