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Regungslos liegt er da. Die Spritze steckt in seinem Bauch. Blut pulsiert aus der Einstichstelle. Der Typ hat die Augen geschlossen, röchelt, ringt mit dem Tod, der schon ungeduldig auf ihn wartet.
Ich wundere mich. Selbst beim Sterben hat der Kerl sein festgefrorenes Grinsen aufgesetzt.
Du hast mich als den hoffnungslosen Fall aus Zelle 23 gesehen, jetzt bist du selbst ein hoffnungsloser Fall.
Eine große Lache Blut hat den Boden bedeckt.
Die weiße Unschuldskleidung des Typen hat sich rot getränkt. Das passt besser, denn der Kerl, der da liegt, ist kein Unschuldiger.
Vorhin hat er noch ein wenig gezappelt, doch nun rührt sich nichts mehr. Jetzt liegt da nur noch ein toter Klumpen Fleisch.
Dieser Mensch hatte seine Chance gehabt, doch er hat sein beschissenes Leben verwirkt. Er war ein Bluthund, grob zu jedem. Liebte es, anderen Schmerzen zuzufügen, besonders wenn man wehrlos, zugedröhnt von Medikamenten war.
Einmal hat er sich mit verschränkten Armen und einem dreckigen Grinsen vor mich hingestellt, sich lustig gemacht. Hat gespottet, er wolle mir ein Brandzeichen auf die Wange drücken: ein V für verrückt, denn was ich getan hätte, das könne nur ein Verrückter tun.
Vorne am Gang, im Raum, wo die medizinischen Apparate stehen, habe ich diesen Dreckskerl beim Vögeln erwischt, mit dem schwarz gelockten Luder, das hier arbeitet. Dabei spielte er immer den biederen Familienvater. Du hast alle verraten, sogar die eigene Familie, brauchst dich über deinen Tod nicht zu beklagen.
Ich war's nicht, der dieses Scheusal umgebracht hat. Ich hab mich nur gegen die Spritze gewehrt, die der Typ mir verpassen wollte. Die hat mich jedes Mal für Stunden lahmgelegt und ich fühlte mich, als wäre eine Dampfwalze über mich hinweggerollt. Es kam zu einem wilden Gerangel und plötzlich steckte das Ding in seinem Wanst.
Stumm hat der Kerl auf die Spritze gestarrt, dann in mein Gesicht, bevor er mit dem Schädel auf die Fliesen knallte.
Junge, ich bin nicht irr. Da hast du dich getäuscht. Und ich lass mich nicht wegsperren. Von niemandem.
Fixiert mit Gurten haben die Kerle mich, mir mit Gewalt das Maul aufgerissen, um bittere Arznei hineinzuflößen. Besonders dieses Schwein da. Nein, ich spiel nicht länger euer Versuchskaninchen, werde hier nicht vor die Hunde gehen. Ich will nur eins: die FREIHEIT!

Die Zellentür geht auf. Ein Wärter kommt herein.
Verdammt, gerade der mit dem schwarzen Schnauzer, der Beste von allen.
Der Pfleger erstarrt beim Blick auf das blutige Szenario.
Jetzt muss ich reagieren. Geistesgegenwärtig ziehe ich die Spritze aus dem toten Körper und halte sie dem Wärter an den Hals. An die Schlagader, dort, wo das Leben pocht.
Den anderen Arm schlinge ich fest um den Kerl und hauche ihm ins Ohr, dass ich nur eins wolle: hier raus und zwar schnell. Er selbst habe es in Händen: Tod oder Leben! Wenn der Typ irgendwelche Mätzchen mache, würde ich keine Sekunde zögern und ihm die Spritze durch den Hals jagen.
Der Wärter hat Panik, verdreht die Augen, winselt um sein Leben. Er fleht mich an, ich solle die Nerven behalten.

Mit der Spritze an seiner Kehle treten wir hinaus in den Gang.
Die anderen Pfleger hasten herbei, starren uns mit Entsetzen an.  Auf meinen Befehl weichen sie einen Schritt zurück.
Langsam schreiten wir durch die Menschentraube. Ich mache den Wärtern, die schockiert um uns stehen, klar, dass ich diese Anstalt nun verließe, und zwar für immer. Wie ein gefangener Hund seinen Käfig.
Meine Geisel fordere ich auf, die Schlüssel fürs Auto herauszurücken.
Die holen wir aus dem Spind vorne am Gang.
Nun soll mich der Wärter, dessen Angstschweiß mir in die Nase sticht, zum Wagen lotsen. Doch nur mit Worten, keine Hampeleien mit den Armen machen.
Der Pfleger stammelt, sein Auto stehe in der Tiefgarage.
Ein weiter Weg, den wir uns an Gaffern vorbei bahnen. Ich halte die Spritze immer dicht an den Hals meines Begleiters.
Der weiße Kittel, den ich trage, stört: er sieht aus wie mein Totenhemd.

Die Tiefgarage ist nicht ungefährlich. Ich muss aufpassen wie ein Schießhund. Hinter jedem Pfeiler, neben jeder Blechkiste kann ein Hohlkopf stecken, der den Helden spielen will.
Der Wärter stammelt, er habe Familie, eine Frau und sechs Kinder. Ich solle ihm nichts tun.
Sein Flehen hallt laut in diesem Bunkerkomplex, kann uns leicht verraten.
Ich flüstere dem Wärter zu, er solle jetzt die Schnauze halten, hier sei nicht der richtige Ort für sein Gewinsel.
Wir erreichen die rostige Karre des Pflegers. Ich öffne die Beifahrertür, befehle dem Wärter einzusteigen.
Das tut er.
Dann springe ich hinters Steuer. Mit quietschenden Reifen schieße ich davon.
An der Ausfahrt zur Tiefgarage halte ich, drehe mich hinüber zum Wärter und fordere ihn auf zu verschwinden.
Er reißt die Tür auf und rennt davon.
Nun ist die Bahn frei. Ich drücke aufs Gaspedal.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now