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Neben einer gottverlassenen Straße stelle ich die Karre ab und gehe zu Fuß weiter. Muss mir einen neuen Wagen suchen.
Kräftige Baumriesen laden mich ein, einzutreten in den finsteren Forst. Ich husche hinein und fühle mich gleich sicher und geborgen. Nur wenige Sonnenstrahlen durchdringen die Wipfel der Bäume. Es herrscht eine herrliche Totenruhe.
Doch in der Ferne beginnt eine Motorsäge zu kreischen. Waldarbeiter zerlegen einen Baum.

Gut eine Stunde dürfte vergangen sein. Endlich habe ich die Stadt erreicht, wo Sally und ich zu Hause sind.
Hier am Rand des Waldes liegt die schicke Neubausiedlung. In diesem Viertel wohnen die braven Bürger, die Anständigen, die Tag für Tag ins Büro fahren und unterwegs darüber grübeln, wie viele Jahre es noch zur Rente sind. Denn diese Menschen wollen später noch was haben von ihrem Leben. Doch viele schaffen es nicht bis dahin, bleiben mit fünfzig oder sechzig auf der Strecke.
Ich verachte diese Menschen nicht. Nein, ich habe nichts gegen sie. Ihr Leben ist anders als meines: geordnet und gelegentlich von Nutzen.
Ich haste am Waldrand entlang und entdecke einen schön gestalteten Garten. Mit einem Teich, in dem ein Wasserfall monoton vor sich hinplätschert. Buschige Buchsbäume begrenzen das Grundstück. An den Garten schließt sich ein schicker Bungalow an, auf dessen Terrasse gepolsterte Möbel im Schatten eines Markise stehen.
Vor dem Teich räkelt sich auf einem Liegestuhl eine braun gebrannte Schönheit. Der Bikini betont geschickt die Rundungen dieser Lady. Sie liegt mit dem Rücken zu mir und bemerkt mich nicht. Das ist gut.
Still und leise schleiche ich zur Leine, die zwischen zwei Pfosten gespannt ist und nehme einige Klamotten, die dort hängen, herunter.
Flink ziehe ich den weißen Anstaltskittel und die gleichfarbene Unterhose aus.
Verflucht! Die Dame spitzt die Ohren und dreht sich zu mir um.
Als sie mich splitterfasernackt auf dem Rasen sieht, wird ihr hübsches Gesicht auf einmal leichenblass. Zunächst bringt sie kein Wort heraus und scheint mich für einen durchgeknallten Sextäter zu halten.
Mir ist die Situation peinlich, doch um Hilfeschreie der Dame zu vermeiden, werfe ich ihr ein verstohlenes „Pssst!" zu.
Ich nehme noch rasch die Boxershirts von der Leine und ziehe sie an.
Im Augenblick bin ich ratlos, wie ich mich der Dame gegenüber verhalten soll und fahre, da mir nichts Besseres einfällt, mit dem Ankleiden fort. Mühsam zwänge ich meine Fleischmassen in eine Jeans und ein flauschiges Karohemd. Eng, aber es muss gehen.
Schließlich tut die hübsche Lady doch noch ihren Mund auf und beschwert sich, dass ich nicht einfach so, ohne zu fragen, die Sachen von der Leine nehmen könne.
Dann will sie ängstlich von mir wissen, wo ich denn so plötzlich herkäme.
Meine spontane, wenn auch misslungene Antwort, dass ich von drauß' vom Walde käm, scheint die Dame erst richtig in Furcht zu versetzen.
Die Frau beginnt am ganzen Körper zu zittern und wimmert, dass ich bitte verschwinden solle, denn jede Sekunde könne ihr Mann auftauchen.
Ich weiß, dass sich Frauen in großer Not gern dieses Spruchs bedienen und gebe der Dame im sanften Ton zu verstehen, dass sie vor mir keine Angst zu haben brauche. Ich benötigte lediglich neue Klamotten, denn die Lady werde ja wohl einsehen, dass ich nicht ewig mit meinem weißen Ballettkleidchen, das hier auf dem Rasen liege, herumlaufen könne.
Die Dame fragt, ob ich etwa vom Krankenhaus ausgerissen sei.
Dass könne man so sagen, entgegne ich. Und ich müsse sie um einen weiteren Gefallen bitten. Ich brauchte dringend einen Wagen, doch nur leihweise, wie ich verspreche.
Ein fetter Kater schleicht heran und reibt sich elegant und geschmeidig an meinen Beinen. Als ich mich bücke, um das Kätzchen wegzuheben, zeigt es mir die Krallen, die wie Dolche aus seinen weichen Samtpfoten schießen. So mag ich dieses Viech.
Die Dame befürchtet, dass ich ihrem Tigerchen was antun könne.
Doch ich erkläre ihr, ich hielte Katzen für Grund auf ehrlich. Sie zeigten genau, wen sie liebten und wen nicht. Verstellten sich nicht wie die Menschen. Und Katzen seien Jäger. Doch auch ihnen könne passieren, was mit mir geschehen sei: dass der Jäger zum Gejagten werde.
Ich fordere die Dame auf, mich ins Haus zu begleiten, denn Nachbarn, die besorgt die Bullen rufen, kann ich jetzt nicht brauchen.
Über die Terrasse betreten wir das Wohnzimmer.
Das hübsche Geschöpf neben mir, das nun das Allerschlimmste befürchtet, fängt an zu heulen.
Sanft streiche ich der Frau übers Haar und bitte sie, sich zusammenzureißen. Es gebe keinen Grund, wie ein Kind zu flennen. Sie brauche sich auch nicht an meinen vielen Narben zu stören.
Ich bin überwältigt vom Prunk des Wohnzimmers. Der Kronleuchter und dieser Thronsessel erwecken den Eindruck, es könnte sich bei diesem Bungalow um ein getarntes Schloss handeln.
Ich knalle mich auf die Ledercouch und muss der Dame gestehen, dass ich noch nie so bequem gesessen hätte. Kein Vergleich zu meinem hölzernen Drehstuhl in der Zelle, der vor allem durch sein lästiges Gequietsche auffiel.

Ich brauche noch Werkzeug.
Der Bungalow ist unterkellert. Dorthin, eine Etage tiefer, begeben wir uns.
Ich betrachte mich in einem der Luxuspiegel im Flur und bin entsetzt über mein derzeitiges Aussehen.

Wir sind im Hobbyraum.
Die Lady beginnt noch mehr zu zittern. Vielleicht glaubt sie, ich könnte auf den Gedanken kommen, sie mit Zange oder Schlagbohrer zu foltern.
Doch weit gefehlt! Ich grapsche mir lediglich mit ausdrücklicher Zustimmung der Dame ein paar Werkzeuge.

Als wir zurück im Wohnzimmer sind, stelle ich mit Sorge fest, dass die Frau jetzt endgültig am Ende ist. Ihre Nerven liegen blank.
Sie stammelt schluchzend mit Tränen in den Augen, was ich denn nun eigentlich von ihr wolle. Von ihr aus könne ich den ganzen Schmuck und das Bargeld mitnehmen, das sei ihr völlig egal, nur solle ich sie und das Kätzchen verschonen.
Mich macht dieser Gefühlsausbruch traurig. Ich habe bei der Dame keine Spur Vertrauen erweckt. Aber das gelingt mir nie, was wohl an meiner ruppigen Art und dem Aussehen liegt.
Ich sage der Dame, sie solle sich beruhigen, da ich weder Mörder noch Räuber sei und schon gar nicht verrückt. Vorhin hätte ich ihr den Grund für meinen Besuch mitgeteilt. Ich müsse mir nur ihren Wagen leihen, mehr nicht. Dankbar wäre ich auch für ein bisschen Bölkstoff, Alk, Sprit oder wie auch immer sie es nenne.
Die Dame führt mich zur Bar und meint, ich solle mich bedienen.
Auf dem Flaschenbord entdecke ich eine Reihe erlesener Kostbarkeiten. Auch meinen heiß geliebten Whisky.
Meine Leber macht sich bemerkbar und giert nach einem Schluck.
Prompt stelle ich sie zufrieden.
Die Pullen verstaue ich, zusammen mit dem Werkzeug, in einem großen Korb, den mir die Lady freundlicherweise zur Verfügung stellt.
Allmählich kommen wir beide doch noch miteinander aus. Allerdings vermute ich, dass sie mittlerweile ihr Urteil über mich geändert hat und mich nun für einen alkoholkranken Penner hält. Doch auch damit hat sie sich geirrt.
Alles klar, sage ich zur Dame, das wär's. Ich wünschte ihr alles Gute und wenn sie mir jetzt noch den Autoschlüssel gäbe, wäre ich auch schon wieder weg.

Mit dem feschen Mercedes brause ich los. Nehme versehentlich die Mülltonnen am Straßenrand mit, was ganz schön poltert. Doch so einen kleinen Bums steckt diese Nobelkarosse locker weg, das gibt nicht mal 'ne Beule.
Im Rückspiegel erkenne ich die schleimige Grütze, die sich aus den Mülleimern auf die Straße ergießt.
Die Nachbarn, die sich mit Gartenarbeit die Zeit vertreiben, haben den Krach gehört und schauen mir entgeistert hinterher.
Es war ein Fehler, den CD-Player anzumachen, denn von diesem Gejodel wird mir übel. Mal sehen, was die Sender für mich spielen. Schon besser: „Stairway to heaven", Led Zeppelin.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now