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Es ist soweit: unsere ersten Schritte auf brasilianischem Boden.
Doch die Freude wird getrübt, als der Käpt'n uns mit ernster Miene mitteilt, dass zwei Hafenpolizisten uns beim Aussteigen aus dem Schiff beoabachtet und von ihm eine Erklärung dafür verlangt hätten. Die Bullen hielten uns offenbar für blinde Passagiere.
Auf Anraten des Käpt'ns schmieren wir die Kerle mit ein paar Scheinchen.
Das zeigt Wirkung, denn sie schleichen sich davon.
An solche Gepflogenheiten werden wir uns gewöhnen müssen.

Der Käpt'n legt mir seinen Arm um die Schulter und ist froh, endlich wieder zu Hause zu sein.
Ausgelassen und vergnügt lädt uns der Kommodore zum Essen in seine Stammkneipe ein.
Es sind nur wenige Meter dorthin.
Als wir die Schenke betreten, wird der Käpt'n sofort aus allen Richtungen lautstark begrüßt. Er brüllt einige Worte auf Portugiesisch durchs Lokal, woraufhin sich die Blicke der anwesenden Gäste auf uns richten und plötzlich, wie zu einem Willkommensgruß, ein fröhliches Geschrei ausbricht.
Sally und ich nicken den Gästen wohlwollend zu und nehmen mit dem Käpt'n an einem Ecktisch Platz.
Auf Anraten unseres Begleiters bestellen wir Feijoada, das Nationalgericht.
Bald steht es dampfend auf dem Tisch. Ein dunkler, dickflüssiger Brei, in dem vor allem die schwarzen Bohnen auffallen.
Mit dem Käpt'n als Dolmetscher kommen wir mit dem Wirt ins Gespräch.
Als der Name Blumenau fällt, dreht sich der Wirt um und grölt unseren Zielort lachend durch die Kneipe. Unter den Gästen bricht lebhaftes Geplapper aus, was der Käpt'n damit erklärt, dass diese Stadt beliebt sei, weil sie auf die Einheimischen so fremd wirke. Der Baustil der Häuser etwa.
Der Caipirinha lässt den Käpt'n allmählich in einen langen Monolog verfallen und berauscht kommt der Kerl vom Hundertsten ins Tausendste.

Endlich konnten wir den Käpt'n dazu bewegen, aufzubrechen.
Er führt uns torkelnd zu einer Bushaltestelle zwei Straßen weiter, an der bereits einige Frauen mit Körben und überquellenden Plastiktüten warten.
Unser Bus werde bald eintreffen, erklärt uns der Käpt'n, dann gehe es zunächst nach São Paulo, wo wir auf einem großen Busbahnhof umsteigen müssten. Doch wir fänden uns garantiert zurecht. Allein das Wort Blumenau reiche aus, um von den Einheimischen in den richtigen Bus geschoben zu werden.
Der Abschied vom Käpt'n fällt nicht leicht. Betrübt gibt er uns seine Visitenkarte und schlägt vor, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren dürften.
Dann macht der Käpt'n kehrt und schwankt zurück zu seinem Schiff.
Während wir geduldig auf den Bus warten, fällt uns auf, wie farbenfroh dieses Land doch ist. Überall sind bunte Pflanzen, bunte Kleidung, bunte Autos zu sehen.

Eine knappe Stunde später kreuzt der Bus auf. Mächtig verspätet, doch das scheint die Menschen nicht zu stören.
Obwohl er schon gerammelt voll ist und einige Männer sich sogar auf dem Dach tummeln, zwängen sich alle Wartenden irgendwie hinein.
Mit Karacho düst der Fahrer los, will anscheinend die Verspätung aufholen.
Wir stehen im Gang, wo die Menschen so eng zusammengepfercht sind, dass man kaum atmen kann.
Sally scherzt, sie fühle sich jetzt wie ein Schweinchen im Viehtransporter. Aber die Sache habe einen Vorteil. Trotz holpriger Straßen könnten wir niemals umkippen.
Amüsiert beobachte ich Sally, die beharrlich mit drehenden Kopfbewegungen versucht, etwas von der vorüberziehenden Landschaft zu erspähen, was bei Sallys Körpergröße und den vielen Köpfen im Bus so gut wie unmöglich ist. Dieser Klassefrau zuzusehen, macht Spaß.
Plötzlich schießt mir beim Anblick eines älteren Ehepaars ein Gedanke durch den Kopf. Spontan beuge ich mich zu Sally hinunter, gebe ihr einen dicken Kuss und frage sie, ob sie Lust habe, mich zu heiraten.
Erschrocken zuckt sie zusammen, blickt mich mit funkelnden Augen an und sagt gar nichts. Dann nimmt sie meinen großen Schädel in ihre kleinen Hände und verpasst mir einen langen, süßen Kuss, was ich als ein eindeutiges Ja interpretiere.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now