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Die Harakiri-Fahrweise rächt sich. Nach einer Viertelstunde auf der Autobahn rast der Bus in einer lang gezogenen Linkskurve in ein Stauende.
Die Fahrgäste rüttelt's tüchtig durcheinander.
Doch niemand ist verletzt, am Bus und dem Wagen vor uns nur Blechschaden.
Allerdings steigen aus diesem Fahrzeug zwei nicht gerade harmlos aussehende Typen. Der eine mit langem dunkelblondem Haar trägt eine fransige Jeansjacke mit der Aufschrift „Napalm Death" und Stiefel aus Schlangenleder. Für die Kaninchenzüchter ein ungewohnter Anblick.
Der zweite Typ, ein Glatzkopf mit langem schwarzem Bart, wirkt auch nicht viel vertrauenswürdiger. Wütend zeigt der Kerl den Stinkefinger, kommt auf uns zu und gebietet drohend, die Tür zu öffnen.
Der Rocker zerrt unseren Fahrer trotz Protests der Reisegesellschaft nach draußen. Was dort auf der Straße passiert, bekommen wir zum Glück nicht mit. Es lässt sich nur aus den verstörten Gesichtern der Gaffer erahnen.
Das sei die Strafe für die wüste Raserei, urteilt der Messerwerfer.

Als Minuten später Polente aufkreuzt, lassen die Rocker vom Busfahrer ab.
Die Bullen sichern zunächst die Unfallstelle - es kam hier zu mehreren Auffahrunfällen - mit Blinklicht ab.
Der Stau hinter dem Bus wird unterdessen immer länger.
Wir werden aufgefordert, ihn zu verlassen und uns hinter die Leitplanken zu begeben.

Die Busgesellschaft steht sich die Füße in den Bauch und schimpft auf den leichtsinnigen Fahrer, der noch benommen mit einem schönen Veilchen auf der Wiese liegt und ärztlich versorgt wird.
Mir fällt auf, dass einer der Sheriffs mich ständig mustert, als hegte er einen schlimmen Verdacht.
Dann begibt sich der Kerl zu einem der Bullenwagen, beginnt, am Computer zu hantieren und lässt mich dabei nicht mehr aus den Augen. Irgendwas ist hier faul.
Ich flüstere Sally zu, dass wir möglicherweise aufgeflogen seien. Es wäre das Beste, von hier zu verschwinden. Einfach über die Autobahn - da sei eh gerade Stau - und dann wie immer ab durch die Mitte.
Ich greife mir die Tasche und als der Polizist durch das Gespräch mit einem Fahrgast abgelenkt ist, verkrümeln wir uns zum Erstaunen der Mitreisenden hinter den Bus.
Dann flitzen wir über die Autobahn.
Der Wildschutzzaun auf der anderen Seite ist kein Hindernis. Mittlerweile beherrschen wir das Türmen mit hoher Perfektion.

Nach gut einer Stunde, in der wir immer wieder vor Bullenwagen in Deckung gehen mussten, kommen wir auf eine große Wiese und sind erstaunt über das Spektakel, das hier abgeht.
Sally hält es für ein Ballon-Festival, denn überall sind Heißluftballons zu sehen, einer bunte als der andere. Manche Hüllen liegen noch im Gras, andere beginnen schon, sich aufzurichten. Auf ihnen sind lustige Motive wie Snoopy und die Panzerknacker zu erkennen. Einer der Ballons hat sogar die Form einer Teekanne.
Hier wimmelt und wuselt es geradezu vor fröhlichen Menschen, was uns wie gerufen kommt.
Dass wir ständig zum rechten Zeitpunkt am rechten Ort seien, sei vorherbestimmt, mutmaßt Sally.

Einen der Ballonfahrer handeln wir für den Flug nach Norden von 200 auf 120 Kröten runter.
Der sportlich aussehende Typ meint, dass er bis vor die Tore Hamburgs fliege, falls der Wind mitspiele.
Das klingt gut und Ehrensache, dass wir dem Kerl und seiner Freundin bei den Vorbereitungen behilflich sind. Dazu befestigen wir die Ballonhülle an dem Korb mit dem Gasbrenner. Dann wird die Luft in der Hülle durch den Brenner erhitzt, wodurch sich der Ballon langsam wölbt und wie ein Vogel, der behutsam seine Schwingen ausbreitet, nach oben hebt.
Am Ende steht der Ballon senkrecht.

Nun geht's los.
Mit vier Mann an Bord gleiten wir in die Höhe. Der Brenner schießt laut und mächtig die Flammen heraus.
Die Welt wird von Sekunde zu Sekunde kleiner, Sally und mir immer mulmiger. Wir schweben dem blauen Himmel entgegen, ein grandioses und doch unbehagliches Gefühl.
Bald können wir das weite Land dort unten überblicken und bemerken, dass wir uns wieder unserem Ausgangsort, der Autobahn, nähern. Sogar unseren Bus entdecken wir inmitten von Polizeiautos. 
Unbeschreiblich, wir fliegen einfach über die Bullen hinweg.
Sally strahlt übers ganze Gesicht und winkt in ihrem Übermut hinunter.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now