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Eine laue Sommernacht. Über die Berggipfel, die als majestätische Schatten imponieren, hat sich eine erhabene Ruhe gelegt. Nur das gleichförmige Zirpen der Grillen ist zu hören.
Ich nehme im Liegestuhl, der hier auf dem Balkon steht, Platz, mache einen kräftigen Zug aus der Pulle und betrachte den Nachthimmel. Entspannt lasse ich meinen Blick zum Horizont gleiten und sehe unten im Tal einige Häuschen, die etwas Licht zu mir heraufschicken.
Hin und wieder drehe ich meinen Kopf zur Balkontür, um meine Sally im Zimmer sanft schlummern zu sehen. Hübsch liegt sie da, ihr Haar glänzt golden im Schein des Mondes.
Ich schließe die Augen und genieße die Zufriedenheit in mir. Meinen Gedanken lasse ich freien Lauf, hätte sie aber lieber an die Kette legen sollen. Denn plötzlich kommt mir mein Brüderchen in den Sinn, was meine Stimmung auf den Nullpunkt bringt.

Mein Bruder Max war zwei Jahre jünger als ich und eigentlich - natürlich neben Sally - der einzige Freund, den ich je hatte.
Und dann kam diese verfluchte Nacht, in dem er mit seinem Golf den Unfall hatte. Ein Besoffener hatte Max die Vorfahrt genommen, er hatte keine Chance.
Die Bullen informierten mich, ich war der einzige Angehörige.
Als ich zum Unfallort kam, sah ich nur noch die erbärmlichen Reste, die von meinem Bruder übrig waren.
Damals bin ich zusammengeklappt. Ich hätte nie geglaubt, dass mir das passieren könnte.
Von klein auf hab ich über mein Brüderchen gewacht, hab ihn oft gegen die anderen Kinder verteidigen müssen, was für mich ein Leichtes war. Doch in dieser Schicksalsnacht konnte ich nichts für ihn tun.
Dem besoffenen Mistkerl, der für den Unfall verantwortlich war, habe ich einige Wochen später, als der Typ aus dem Krankenhaus entlassen wurde, eine gehörige Abreibung verpasst. Dieser Drecksack hatte sie verdient. Vor Gericht brachte ich kein Wort der Reue über die Lippen.

Ich spüre, dass ich den Whisky viel zu schnell hinuntergespült hab. Whisky ist meine Lieblingsbrühe. Am liebsten mag ich den Scotch Whisky. Wegen seines Rauchgeschmacks.
Gedankenverloren schaue ich in den Himmel. Die Sterne scheinen wieder und schimmern sogar heller denn je. Auf euer Wohl, ihr treuen Gesellen dort oben.
Der Alkohol zeigt erste Wirkung. Ich sehe das, was jedes Kind schon weiß: Der Mond dreht sich um die Erde.
Dort oben ist der Große Wagen. Ich hätte große Lust, mit Sally einzusteigen und die Milchstraße entlangzudüsen. Vorbei an Schwarzen Löchern und dem Sirius.  Am besten zu einem andern Planeten, denn hier auf die Erde passen wir nicht.

Mit leichter Schlagseite wippe ich rhythmisch auf dem Stuhl, als mich plötzlich ein Pochen an die Zimmertür aus meinen Träumen reißt.
Ich schrecke auf und versuche mich aus dem Liegestuhl zu winden, was gar nicht so einfach ist. Immer wieder klappt er zu.
Schließlich knalle ich nach rechts auf den harten Boden. Ich fasse mir an den Hinterkopf. Der hat was abbekommen.

Etwas benommen torkle ich - so schnell es in meinem Zustand geht - zur Tür.
Ich zögere zu öffnen.
Sally wurde durch das Pochen geweckt und hat sich - noch völlig verschlafen - im Bett aufgesetzt. Sie scheint nicht zu realisieren, was hier vor sich geht.
Mit einem schnellen Ruck reiße ich die Tür auf, um mich auf mögliche Angreifer zu stürzen.
Doch es ist nur der Wirt, der erschrocken einen Satz nach hinten macht.
Auf meine Bitte betritt der Wirt das Zimmer.

Völlig außer Puste stammelt der Mann, dass unser Mercedes draußen vor der Herberge entdeckt worden sei. Man habe ihn ja schon den ganzen Tag in den Nachrichten gesucht. Mittlerweile habe sich die halbe Kneipe um den Wagen versammelt. Einer von den Deppen habe sogar vorgeschlagen, die Reifen aufzuschlitzen, damit wir nicht flüchten könnten. Und der Hacklhuber, dieses Rindvieh, habe gerade die Polizei alarmiert.

Das sind schlechte Nachrichten.
Dankbar für die Warnung klopfe ich dem Wirt auf die Schulter. Von seiner Sorte Mensch gibt es nicht mehr viel.
Der Wirt meint, dass er uns verraten werde, über welche Schleichwege man von hier wegkomme. So hätten wir einen ordentlichen Vorsprung vor den Polizisten. Mit denen habe der Wirt eh noch ein Hühnchen zu rupfen.

Nach der guten Wegbeschreibung gibt Sally dem Wirt dankbar einen Kuss.
Ich will dem sympathischen Kerl ein Scheinchen rüberwandern lassen, doch er nimmt den Zaster nicht, weil wir uns nur kurz, nicht einmal zwei Stunden, in der Herberge aufgehalten hätten.
Dann verlässt der Wirt das Zimmer.
Wir suchen flink unsere wenigen Habseligkeiten zusammen.

Mit dem Gepäck in der Hand flitzen wir hinaus zum Mercedes, der von mehreren Zechbrüdern umringt wird.
Als sie uns den Weg versperren, zersprenge ich die lausige Meute mit einigen gezielten Faustschlägen. Das macht Eindruck.
Sally und ich hopsen in den Wagen, werfen das Gespäck nach hinten und schmeißen die Kiste an.
Wutentbrannt lasse ich den Motor aufheulen. Wie ein wilder Stier stürmt der Wagen in die finstere Nacht.
Die letzten Kneipen-Toreros, die sich ihm in den Weg stellen, springen wie Frösche zur Seite.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now