Ausklang

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Es war verdammt schwül hier. Nur die Wipfel zweier Araukarien spendeten ein wenig Schatten. Kein Wunder, es war Januar, der wärmste Monat im Jahr.
Der Whisky, ein Blended Scotch, hatte mich müde gemacht. Den einheimischen Whisky konnte man vergessen, der schmeckte wie Rattenpisse. Alkohol ließ sich übrigens in diesem Land nicht nur die Kehle hinunterspülen - nein, man kippte ihn auch in den Tank des Wagens.
Die eine Stunde am Abend hier auf der Veranda nahm ich mir, trank dann einen über den Durst und genoss die untergehende Sonne.

Mit gefälschten Dokumenten bin ich selbst zum Bullen geworden, vom Gejagten zum Jäger. Doch in Brasilien gab es für die Polente keinen Stress.  Hier passierte so viel, dass man schnell den Überblick verlor und über das meiste hinwegsah. Außerdem lief sowieso alles über Schmiergelder. Die Drogenbosse bezahlten uns und wir ließen sie in Ruh. Wir waren nur ein bedeutungsloses Blatt in einem großen Machtpokerspiel.
Schon aus diesem Grund mochte ich meinen Beruf nicht besonders.
Wie daheim gab es auch hier ein Oktoberfest, das unserem Kleinen gut gefallen hat. Und trotzdem war dieses Fest anders. Eine seltsame Mischung aus Samba und Blasmusik. Skurril, eben nur ein billiges Plagiat.
Beim Anblick der vielen VW Käfer, die hier noch knatternd die Straßen bevölkerten, kam Wehmut in mir auf. Schon oft habe ich an die alte Bäuerin denken müssen und mich gefragt, was wohl aus ihr geworden ist.
Was ich aber am meisten vermisste, war der Wald, wie ich ihn kannte. Und das Grab meines Bruders. Ich hatte mir geschworen, es für immer zu pflegen und war diesem Versprechen untreu geworden.
Den Kontakt zum Käpt'n hielten wir aufrecht, bis er eines Nachts mit seinem Schiff in der Nähe der Azoren unterging und seitdem als verschollen galt.
Sally und ich hatten gleich nach der Einreise Papiere fälschen lassen und eine neue Identität angenommen. Deshalb hatten wir jetzt andere Namen und eine fiktive Lebensgeschichte.
Weil das Fälschen von Urkunden und Ausweisen Zeit in Anspruch nahm, konnten wir erst sieben Monate nach meinem legendären Antrag im Bus heiraten. Zu dem Zeitpunkt war Sally schwanger. Die Hochzeit war fröhlich und farbenprächtig. Wie in Brasilien üblich, wurde das Fest mit den Nachbarn im Freien gefeiert. Ich konnte sogar original schottische Dudelsackpfeifer auftreiben. Eine Überraschung für Sally, die auf einer der Bagpipes spielen durfte.
Im Sommer darauf kam das Kind auf die Welt. Trotz der neuen Mutterrolle verlor Sally nie ihre Kriegernatur, die ich so an ihr liebte.
Die ersten Monate hatte Sally stark unter Heimweh gelitten. Eines Abends sprach sie es aus und erklärte, wir hätten einen Fehler gemacht, hätten damals mit Jacques nach Italien fliehen oder  - besser noch - auf dem Hof der Bäuerin bleiben sollen. Manchmal - wenn ich auf der Arbeit sei - nehme Sally den Bus an die Küste, blicke dort aufs weite Meer hinaus und spüre in solchen Momenten, dass das Leben in der Heimat für immer verloren sei.

Unser Dasein war nicht mehr wie früher, als wir unbekümmert voller Abenteuerlust durchs Leben zogen. Ich trug jetzt Verantwortung für Frau und Kind, musste die Raten für die Finca zahlen und wurde zu einem ganz gewöhnlichen Menschen, einem gezähmten Tier. Das Leben erwies sich als ein guter Dompteur. In meinem Dasein, diesem gleichförmigen Einerlei, war es eng geworden. Ich hatte das Gefühl, mich wie in einem Schraubstock zu befinden, den eine fremde Macht immer mehr zudrehte, um mich irgendwann zu zermalmen.
Wo war unsere viel beschworene Freiheit? Sie war bloße Utopie. Die einzige Freiheit, die ich mir nahm, indem ich mich weigerte, nach gesellschaftlichen Zwängen zu leben, forderte den Preis, überall ein Außenseiter zu sein.

Langsam hob ich meine schweißnasse Hand und betrachtete meinen Silberring, der in der untergehenden Sonne noch einmal aufglänzte. Diesen Ring hatte ich damals an der Burgruine durch eine seltsame Fügung gefunden und seither am linken Mittelfinger getragen. Die Gravur „perfer et obdura" auf der Innenseite des Rings machte mir Mut; denn der Priester hier am Ort hatte mir mitgeteilt, dass diese lateinischen Worte „ertrage und halte aus" bedeuteten. Und wie unser verloren gegangener Freund, der Hippie, habe auch ich mir geschworen, das Leben zu ertragen und auszuhalten.

Weil ich mir nicht noch weiter den Kopf zerbrechen wollte, bewegte ich mich schleppend mit der leeren Flasche ins Haus.
Eva, so hieß Sally nun offiziell, hatte zu Abend gekocht. Es duftete nach Maniok. Doch ich hatte keinen Hunger.
Auch hier drinnen wimmelte es vor Moskitos.
Ich strich meinem kleinen Mario, der lieb zu mir hochblickte, über den Kopf. Vielleicht würde ich ihm die wahre Geschichte von Sally und mir nie erzählen.
Matt trottete ich durch den Raum und knallte mich aufs Sofa.
Eva strich mir über den Unterarm, gab mir einen Kuss und riet, ich solle nicht so viel trinken.

Ich schloss die Augen und mir kam das Lebensmotto der Einheimischen in den Sinn: Sempre dá um jeito - es gibt immer eine Lösung. Ja, egal wie hart dieser Weg auch wäre und wohin er letztlich führte, ich war gewillt, ihn zu gehen.
Dann schlief ich ein.

THE END

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now