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Sally und ich sind mit dem Mercedes unterwegs und mittlerweile außerhalb der Stadt.
Gerade habe ich Sally erzählt, wie es zu dem Unfall mit der Spritze gekommen sei und woher ich die Klamotten und den Mercedes hätte.
Sally steht wie immer bedingungslos hinter mir.
Dass ich sie in die Sache mit reingezogen habe, tut mir leid.
Sally hat ihre Ersparnisse, die sie klassisch unter der Matratze aufbewahrt hat, bei sich. Weit kommen wir mit dem Zaster nicht, aber für einige Tage wird's reichen.
Ziellos sind wir unterwegs, fahren einfach so drauflos.
Sally meint, wir müssten uns überlegen, wohin die Reise eigentlich gehen solle, und schlägt auch gleich die Berge vor.
Am besten ein abgelegenes Bergkaff, rege ich an, wo nur Sennerinnen und Murmeltiere zu Hause seien.
Sally findet den Vorschlag gut.
Wir düsen Richtung Süden.
Sally erzählt von ihrer Nachbarin Lola, einer Nutte, die seit Jahren mit Sally befreundet ist. Lola verdiene einen schönen Batzen Geld und habe sich jetzt auf ältere Freier spezialisiert. Mit denen sei es weniger anstrengend und es gebe mehr Kohle.
Ich höre mir die Geschichten über Lola an, bin aber schockiert, dass meine Sally in einem Hurenhaus leben muss. Es ist wirklich das Beste, an irgendeinem Ort noch mal ganz von vorn zu beginnen.

Am späten Abend erreichen wir die Berge, die um diese Zeit aussehen wie ein glühender Hochofen.
Wir kommen durch ein Nest und sehen einen Imbisswagen, der um diese Zeit noch offen hat.
Etwas abseits bleiben wir stehen.
Ein pfiffiges Kerlchen mit Milchgesicht preist seinen Hotdog nach Art des Hauses an. Er sei der Beste im ganzen Land, behauptet der Junge auf nicht gerade bescheidene Weise.
Wir nehmen dieses ultimative Gericht, schon aus Neugier.
Ich stelle fest, dass er für ein solches Geschäft noch recht jung sei.
Der flaumbärtige Kerl entgegnet, dass er erst vor drei Monaten die Schule verlassen, aber keine Lehrstelle gefunden habe. Da sei ihm, als er eines Morgens auf dem Klo gesessen habe, die Idee gekommen, einen Imbisswagen zu pachten. Erst mal für ein Jahr, denn niemand könne wissen, wie das Geschäft gehe.
Aus dem Radio, das der Spund nebenher laufen hat, erklingt eine Suchmeldung der Polizei. Tatsächlich meint der Sprecher mit der Beschreibung eines mutmaßlichen Mörders mich. Selbst das Kennzeichen des Mercedes sagt der Heini durch und bringt uns in eine saudumme Situation.
Ich versuche, den Imbissverkäufer während der Radiomeldung abzulenken, doch will dieses Täuschungsmanöver nicht so recht gelingen.
Aus dem veränderten Tonfall des Jungen merke ich, dass er im Bilde ist. Dennoch tut er unbedarft, als hätte er die Durchsage nicht gehört.
Ich bemerke, dass er ab und zu verstohlen auf das Kennzeichen unserer Nobelkarosse blickt, jedoch dabei unvermindert im Gespräch mit mir bleibt.
Mein Eindruck ist, dass der Kerl nicht unbedingt scharf drauf ist, uns zu verpfeifen. Ihm scheint es egal zu sein, wer wir sind.
Ob er mir die Geschichte abnimmt, dass wir auf dem Weg nach Ungarn seien, um dort mit alten Freunden einen Geburtstag zu feiern, weiß ich nicht.
Wir loben die gute Küche des Burschen, was er gern hört. Ich verspreche ihm, den Stand auf jeden Fall weiterzuempfehlen.
Dann steigen Sally und ich in den Wagen und düsen ab.
Wie ein Rohrspatz schimpfe ich auf den dämlichen Radiofritzen.

Am Ortsende, kurz bevor die Straße hoch in die Berge führt, legen wir einen Tankstopp ein.
An meine Kippe, die ich mir angesteckt habe und die nun achtlos im Mundwinkel hängt, habe ich nicht gedacht, als ein Tankwart auf mich zukommt und mich zynisch fragt, ob ich denn an Tankstellen immer qualmte, ob ich nicht schon mal in der Glotze 'ne schöne Explosion gesehen hätte, wo alles in die Luft fliege und danach nur angekohlte Leichen rumlägen.
Der Kerl bringt mein Blut in Wallung. Leider bin ich wie ein Vulkan, in dem die Magma in Sekundenschnelle hochsteigt, um Vernichtung über alle zu bringen, die mich mit Worten oder Fäusten attackieren.
Daher stehe ich kurz zuvor, den Stummel an der Stirn dieses Idioten auszudrücken, als Sally, die das Ganze vom Wagen aus beobachtet hat, auf uns zukommt. Beruhigend redet sie auf mich ein und schiebt mich zur Seite.
Wir dürften hier kein Aufsehen erregen und ich sollte dran denken, was letztes Jahr passiert sei, flüstert mir Sally zu.
Sie hat wie immer recht. Ich verkneife mir, dem Tankwart einen bleibenden Denkzettel zu verpassen.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now