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Das Sportcoupé des Blenders ist Totalschaden.
Auf dieser Straße wird es lange dauern, bis ein Wagen aufkreuzt. Deshalb heißt es für uns wieder mal: ab durch die Mitte und zwar zu Fuß.
Für unsere Flucht muss die Tasche mit dem Allernötigsten reichen. Alles andere lassen wir zurück.
Sally fällt ein, dass sie die Christopherus-Plakette im Käfer liegen gelassen hat und ist sich sicher, dass sonst dieser Mist hier nicht passiert wäre.

Schnell geht's hinein in die Pampa. Nur weg von hier.
Sally hat wegen der Rippenprellung Schmerzen beim Atmen. Daher müssen wir das Tempo langsamer angehen lassen.
Unser Weg führt uns über Felder und Wiesen, und wir begegnen alten Baumveteranen, die uns raten, in ihren Reihen Schutz zu suchen.
Das tun wir. Die Luft riecht erdig hier. Buchen, gut 30 Meter hoch, und Eichen mit stattlichen Kronen legen ein dichtes Blätterwerk über uns.

Als wir gerade einen endlos scheinenden Flurweg entlangmarschieren, bemerken wir, dass nach und nach graue Wolken aufziehen. Wir sollten so schnell wie möglich einen Unterschlupf suchen, was auf dieser weiten Ebene gar nicht so einfach ist.
Allmählich verdichten sich die Wolken zu einer finsteren, furchterregenden Wand. Das Ganze wirkt bedrohlich. Ich vermute, dass es bald aus Millionen Eimern schütten wird.
Sally ergreift wie immer die Initiative und rät, hinüber zu dem Wald, den man in der Ferne erkennen könne, zu spurten. Dort gäbe es bestimmt eine Möglichkeit, sich unterzustellen.
Während ich noch über diesen Vorschlag nachdenke, rennt Sally auch schon los. Mir bleibt nichts anderes übrig als ihr hinterherzusprinten.
Der Donner, der eben noch von Ferne grollte, gewinnt deutlich an Lautstärke.
Sally blickt sich zu mir um. Sie will offenbar sichergehen, dass ich lahme Ente mit ihr Schritt halte.
Blitze zucken vom Himmel und lassen uns das Tempo erhöhen.
Minuten später beginnt es zu regnen. Der Himmel öffnet seine Schleusen.
Doch wir haben den Wald rechtzeitig erreicht und suchen uns eine Stelle, wo das Blattwerk besonders dicht ist.
Die Naturgewalten toben und demonstrieren eindrucksvoll ihre Macht.
Sally meint, Thor, dieser grimmige Kerl, könne sich langsam wieder abreagieren.
Klar, die ausgedorrte Natur hat den Regen dringend gebraucht, wir aber nicht.
Dann plötzlich aus heiterem Himmel ein alles durchdringendes Krachen, eine ohrenbetäubende Detonation, die unser Trommelfelll zu zerreißen droht.
In Panik sind wir zusammengezuckt und kauern - vor Schreck erstarrt und die Hände übern Kopf - am Boden.
Vorsichtig blicke ich hoch und nehme den Geruch von verbranntem Holz wahr.
Ein Blitz hat die Eiche, die gerade noch so erhaben neben uns thronte, gespalten. Der Baum bietet nun ein klägliches Bild.
Langsam richte ich mich auf und tippe Sally, die noch wie festgefroren am Boden hockt und das Gesicht zwischen die Knie genommen hat, auf die Schulter.
So habe ich meine Sally noch nie gesehen: Sie zittert wie Espenlaub.
Ich helfe ihr auf und nehme sie fest in den Arm.

Als der Regen nachlässt, setzen wir unseren Marsch fort.
Doch Fortuna scheint es heute nicht gut mit uns zu meinen, denn kurze Zeit später kommen wir zu einem Bach, den der Gewitterregen in einen reißenden Fluss verwandelt hat.
Doch wir müssen da rüber. Wieder umzukehren oder am schlammigen Bachufer entlangzulaufen, um auf eine Brücke zu hoffen, raubt uns wertvolle Zeit.
Ich werde die Tiefe des überfluteten Bachs und seine Strömung erkunden und wate vorsichtig hinein. Die Tasche halte ich zum Schutz vor Nässe über meinem Kopf.
Ich stelle fest, dass mir das Wasser an der tiefsten Stelle bis über den Nabel geht. Sally wird es bis zu den Schultern reichen.
Sekunden später bin ich am anderen Ufer und rufe Sally zu, sie könne jetzt rüberkommen, solle aber gut aufpassen.
Doch weil sie die Strömung unterschätzt und viel zu schnell unterwegs ist, rutscht Sally auf den glitschigen Steinen aus und wird von den Wasserfluten mitgerissen.
Zwar gelingt es ihr, nach einigen Metern das Ufer zu erreichen, doch findet sie an der schlammigen Böschung keinen Halt und wird zusammen mit einem Tierkadaver davongetrieben.
Schnell schnappe ich mir einen kräftigen Ast aus dem Unterholz und halte ihn Sally, nachdem ich sie eingeholt habe, entgegen. Ich muss vorsichtig sein, weil ich mich bei dieser Aktion gefährlich weit über die Uferböschung beugen muss. Wenn ich jetzt den Halt verliere und in das Wasser purzle, haben wir beide ein ernsthaftes Problem.
Zum Glück erweise ich mich als standsicher, und Sally gelingt es, den Ast zu umklammern, sodass ich sie an Land ziehen kann.
Erschöpft falle ich nach hinten in den Schlamm.
Auch Sally liegt erst mal am Boden und müht sich ab, das verschluckte Wasser auszuhusten.
Ich zerre ein Handtuch aus der Tasche und trockne Sallys Haut.
Dann krame ich zwei Shirts hervor, Ersatzhosen haben wir keine.

Es geht weiter.
Wir kommen nur schleppend voran, denn der Regen hat den Boden in einen sumpfigen Morast verwandelt. Mit jedem Schritt sinken wir knöcheltief ein, was das Laufen mühsam macht.

Allmählich beginnt es zu dämmern.
Ein Herr mit schmalem Oberlippenbart und dem strengen Blick eines Schakals kommt uns entgegen.
Mit dem Trachtenanzug und dem Hut mit Gamsbart sieht der Kerl aus wie ein Oberförster, zumal ein Jagdhund, vermutlich Deutsch Drahthaar, neben ihm herschwänzelt.
Der Mann grüßt freundlich und lädt uns nach kurzer Unterhaltung ein, bei diesem Sauwetter, von dem auch er überrascht worden sei und das wahrscheinlich noch stundenlang anhalte, mit ihm zu kommen. Außerdem werde es gleich dunkel. Er wohne gleich dort droben auf dem Hügel, übrigens das einzige Gebäude in einem Umkreis von sieben Kilometern.
Wir sind erstaunt, denn offensichtlich meint der Kerl das kleine Schloss auf dem hohen Felskegel, das wirkt, als wäre es den Niederungen dieser Welt entrückt. Ein Gemäuer, wie man es aus Märchenfilmen kennt. Doch neben allem Glanz strahlt das Schloss - gerade bei diesem Unwetter - auch etwas Gruseliges aus und wäre im Moment der passende Drehort für einen schaurigen Vampirfilm.
Wir folgen dem Schlossherrn und berichten, dass wir vorhin fast vom Blitz erschlagen und in einem reißenden Bach ertrunken wären.
Der Kerl lacht und meint, dass es häufiger vorkomme, dass Menschen, die den Weg hierher zum Schloss fänden, von gefährlichen Vorfällen erzählten. Warum das so sei, wisse der Mann nicht, finde es aber merkwürdig. Der Wald gehöre übrigens ihm und sei das Jagdrevier der Familie.

Der Entfloheneحيث تعيش القصص. اكتشف الآن