Kapitel 30 - Killian

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Nachdem Kira uns eröffnet hat, dass ausgerechnet Onkel Remo hinter dem Verrat steht, brauche ich Zeit für mich. Doch als erstes hole ich den Kommunikator aus meiner Tasche und kontaktiere meinen Vater.

»Kilian, wie geht es euch?«, fragt mein Vater sofort, nachdem sein Gesicht auf dem Glas erscheint.

»Lethe ist gestorben«, informiere ich ihn so sachlich wie möglich. »Sie wurde von einem Stachelrochen erstochen.«

Bestürzt sieht mein Vater mich an. Doch ehe er etwas erwidern kann, fahre ich fort: »Sie hat uns sabotiert. Sie wollte, dass wir die Artefakte nicht finden. Und wir wissen, dass Onkel Remo hinter dem ganzen steckt. Er hat Kira alles erzählt, weil er glaubt, dass sie ihm hilft. Er will, dass die Städte zerstört werden um dann die Atlanter in einer großen Stadt zu vereinen. Er will dass wir als eigenständiges Land der Oberwelt angehören.«

Zuerst starrt mein Vater mich sprachlos an, bevor er sagt: »Das ist doch Wahnsinn. Wie will er so ein Schutzschild herstellen? Und so eine große Stadt zu bauen dauert Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte. Es gibt knapp zwanzig Millionen Atlanter, wie will er eine Stadt von dieser Größe bauen und es dann noch erleben?«

»Ich weiß auch nicht, was in seinem Kopf vor sich geht, Vater«, antworte ich besorgt, denn er hat Recht. Remo kann es gar nicht schaffen so eine Stadt in kurzer Zeit zu bauen. Er wird die Atlanter versklaven um sein Ziel zu erreichen und selbst dann ist es noch nahezu unmöglich.

»Ihr müsst erfolgreich sein, Kilian«, sagt Vater eindringlich, als wüsste ich das nicht selbst. »Wie geht es Toni?«, fügt er dann hinzu und seine Stimme klingt besorgt.

»Sie macht sich sehr gut«, antworte ich leise. »Sie zwingt die Gruppe zusammenzuhalten und scheut auch nicht davor zurück, mal laut zu werden. Sie hat die anderen schon einmal zurechtgestutzt. Sie wäre eine fantastische Königin geworden.«

»Wenn sie nur ein bisschen nach ihrem Vater kommt, dann stand das von Anfang an außer Frage«, meint mein Vater ungewöhnlich einfühlsam. »Sie könnte es sich immer noch überlegen, Kilian. Vielleicht bleibt sie doch bei dir. Jeder Blinde sieht, dass ihr zusammengehört. Sie hat Feuer im Hintern und kann dir Paroli bieten und du brauchst eine starke Frau an deiner Seite. Denn das Königreich welches ich dir hinterlasse, wird nicht einfach zu regieren sein.«

Ich wünschte ich könnte seinen Worten glauben, aber ich sehe Toni jeden Tag mit Helios. Ich sehe wie sie wieder anfängt zu leuchten und ihre innere Stärke langsam zurückkehrt und das hat sie nicht mir zu verdanken. Helios sorgt dafür, dass sie wieder erblüht. Das kann ich ihr nicht weg nehmen.

»Diese Frau wird nicht Toni sein«, antworte ich verzögert und kann einen traurigen Unterton nicht verhindern.

»Die Hoffnung stirbt zuletzt«, erwidert mein Vater und ich bin mir nicht sicher ob er damit mich oder sich selbst meint. Wir beenden das Gespräch und ich lege den Kommunikator wieder in meine Tasche.

Wenige Minuten später setzt sich jemand neben mir in den Sand und ich muss nicht aufschauen, um zu wissen, dass es Toni ist. Ich spüre ihre Gegenwart und erkenne sie an ihrem erdigen Geruch, der mich immer an die Oberfläche erinnert, wenn sie in der Nähe ist. Sie sitzt einfach nur schweigend da, ohne etwas zu sagen und das fühlt sich tröstlich an.

Nach einer Weile fange ich an zu sprechen ohne zu wissen, warum ich mich ihr anvertraue: »Remo war immer ein Vertrauter. Er war immer für uns da, wenn unsere Eltern uns mal wieder bestraft haben. Meistens durften wir dann den Familienflügel im Palast nicht verlassen, also auch nicht raus gehen zum Spielen und Remo hat uns dann Geheimgänge gezeigt oder uns anders aus dem Palast geschmuggelt. Mit ihm konnte man immer Pferde stehlen und er hat oft für uns Partei ergriffen. Das ausgerechnet er uns verrät, ist einfach unbegreiflich und fühlt sich doppelt so schlimm an, als wenn es irgendein anderer aus dem Rat gewesen wäre.«

»Das kann ich gut nachvollziehen. Als meine Tante mich damals aufnahm und mich wie den letzten Dreck behandelte, fühlte ich mich auch so verraten«, erwidert Toni leise und blickt dabei hinaus aufs Meer. Dann schaut sie mich mit ihren blauen Augen an, die schon so viel Leid erfahren haben. »Aber eins kann ich dir versichern, Kilian: Man kommt darüber hinweg und es macht einen stärker.« Die Überzeugung in ihrem Blick bohrt sich tief in mein Herz. Die Frau ist alles was ich je wollte, ohne zu wissen, dass ich es brauchte. Und nun da mir bewusst wird, wie viel sie mir bedeutet, entgleitet sie mir.

Seufzend wende ich mich ab, als die Bilder von Toni und Helios, wie sie miteinander lachen, wie er sie im Arm hält um sie zu trösten, wie er ihr folgt, als sie mit geröteten Augen aber voller Stolz mit dem dritten Artefakt zurück kamen, nachdem ich sie einfach allein gelassen habe, sich vor meinem inneren Auge schieben und mich daran erinnern, dass Toni nicht mehr mir gehört. Sie verdient jemanden der sie glücklich machen und auffangen kann. Und ich habe bisher nur alles schlimmer gemacht. Man kann Toni die Zuneigung, die sie für Helios empfindet, am Gesicht ablesen. Jedes Mal, wenn sie ihn anschaut. Es verletzt mich ungemein und mein Stolz verbietet es mir, weiter darüber nachzudenken. Das Einzige was mich etwas tröstet ist die Tatsache, dass Toni nach der Mission geht und ich sie nie wieder sehen werde. Dann kann ich nach vorne schauen und sie vergessen. Ich werde der König sein, den mein Volk braucht. Und wenn Helios Toni folgen will, soll er es tun. Dann wird auch er seine Stadt nie wieder sehen, denn die Gesetze sind eindeutig.

Obwohl alles in mir danach schreit, Toni in den Arm zu nehmen und sie besinnungslos zu küssen, so lange bis sie weiß, dass sie mir gehört und keinem anderen, ziehe ich mich zurück, denn das ist nur Wunschdenken. Jetzt brauche ich einfach einen klaren Cut, damit jeder von uns sein Leben weiterleben kann. Und ich fasse den Entschluss, Toni zu unterstützen so gut es geht und sie dann ziehen zu lassen. Meine Gefühle verschließe ich. Ich werde sie nicht mehr zulassen. Toni soll mit jemandem glücklich werden der sie verdient. Und in Atlantis wäre sie auf Dauer sowieso nicht glücklich. Irgendwann würde sie mich dafür hassen, wenn sie meinetwegen bleiben würde. Also tue ich das einzig Richtige und lasse sie los.

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