Kapitel 9 - Esther

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Es öffnet der gleiche Diener wie beim letzten Mal. Offenbar scheint er dieses Mal besser unterrichtet worden zu sein, denn er fragt nicht, wer ich bin und was ich will, sondern lässt mich mit einem freundlichen Nicken eintreten.

„Willkommen, Fräulein Griffel", begrüßt er mich warmherzig, als ich in der Eingangshalle stehe und er hinter mir die Tür geschlossen hat. Offenbar ist der Botenjunge, der mich im Gasthaus abgeholt hat, mit meinem spärlichen Gepäck über einen Hintereingang ins Haus gelangt.

„Ich danke Ihnen für den Empfang", sage ich freundlich und meine es auch so. Es ist seltsam, in ein großes Haus zu kommen und nicht Gast, sondern Angestellte zu sein. Andererseits kann ich tiefer als zu der Zeit im Gockel nicht mehr sinken. Der Diener lächelt. „Ich weiß nicht genau, welchen gesellschaftlichen Rang Sie bekleiden, Fräulein, aber wenn es Ihnen recht ist, würde ich unser Verhältnis so angenehm wie möglich gestalten. Ich werde Ihnen freie Hand lassen in allen Entscheidungen, die Baroness Annalies betreffen und erwarte im Gegenzug Ihr Vertrauen für alles, was das Haus betrifft." Ich nicke. „Das wäre mir sehr recht, Herr..." Ich sehe ihn fragend an. Er beeilt sich, zu ergänzen: „Ernst. Einfach Ernst. So nennen mich alle hier. Wir sind unter den Bediensteten fast wie eine Familie und sehr vertraut miteinander. Wenngleich Sie, das ist uns bewusst, eine gewisse Sonderrolle unter uns haben, sollen Sie sich nie scheuen, Fragen zu stellen oder Gesellschaft zu suchen. Wenn Sie mögen, stelle ich Sie den anderen gleich vor."

Ich nicke, etwas unsicher und überwältigt. Ich weiß nicht so ganz, wie ich mich verhalten soll. In meiner Zeit im Palast habe ich nie sonderlich Umgang mit der Dienerschaft gepflegt, habe mich nie gefragt, wie es hinter den Kulissen eines adligen Haushalts zugeht. Selbst meine Zofe war nie viel mehr als die Frau, die mir meine Wünsche erfüllt hat. Ich weiß von Martha, dass es bei ihr anders ist. Dass sie ihre Zofe tatsächlich bei vielen Fragen ins Vertrauen zieht und in ihr eine Freundin gefunden hat. Aber ich, misstrauisch wie ich immer schon war, hatte immer viel zu viel Angst davor, dass meine Geheimnisse oder Sorgen irgendwann zum Tratsch der Dienerschaft werden könnten.

Ich folge Ernst durch die Halle und hinter eine Tür, die den Blick auf eine Dienstbotentreppe freigibt. Sosehr ich es auch begrüße, dass mich hier scheinbar alle freundlich aufnehmen wollen und wie eine große Familie sind – ich weiß nicht, ob ich so schnell aus meiner Haut kann. Ich glaube nicht, dass es möglich für mich ist, mich mit all den unbekannten Menschen zu sozialisieren, über den Hausherrn zu sprechen und Geheimnisse über die Baroness preiszugeben. Ich möchte meinen Platz finden, das möchte ich wirklich. Doch ich glaube nicht, dass ich in diese sogenannte Familie gehöre, wie Ernst die Dienerschaft bezeichnet hat. Ich bin kein vertrauensvoller, unbeschwerter Mensch. Und ich glaube, ich werde es auch nicht so schnell sein.

Mittlerweile sind wir in einer geräumigen Küche angekommen. Es herrscht Betriebsamkeit, doch sie wird unterbrochen, sobald Ernst und ich auftauchen. Nacheinander werde ich allen vorgestellt.

„Sie haben Glück, Fräulein Griffel. Wir sind alle in der Küche versammelt. Das kommt selten vor, da wir gerade genug Personal haben, um solch ein Haus zu bewirtschaften. Das ist Regina, unsere Köchin." Er deutet auf eine erstaunlicherweise gertenschlanke und junge Frau, die ihre schwarzen Haare in einem ordentlichen Dutt frisiert und mit einer Haube bedeckt hat. Ihre Schürze ist von Spritzern bedeckt und doch strahlt sie mit ihrer aufrechten Haltung eine Autorität aus. Die meisten Neuankömmlinge würden sich von ihrem strengen Blick wohl eingeschüchtert fühlen, doch mich beruhigt ihre Art. Sie gehört zu den Menschen, die nach festen Regeln und Prinzipien leben und das gefällt mir, denn es vereinfacht das Zusammenleben.

Tatsächlich nickt sie mir knapp zu und meint dann: „Wenn Sie etwas brauchen, dann fragen Sie. Wenn Sie nicht fragen, erwarte ich, dass Sie die Finger von allem lassen, was sich in der Küche befindet." Ernst sieht sie stirnrunzelnd an, vielleicht, weil sie nicht besonders freundlich zu mir ist. Aber mir entlockt ihr Ton ein Lächeln. Es bestätigt, dass ich sie richtig eingeschätzt habe. „Verstanden", sage ich nur und wende mich den beiden mondgesichtigen Mädchen zu, die gerade dabei sind, Gemüse zu putzen. Sie sehen sich wirklich unglaublich ähnlich.

Die GouvernanteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt