Kapitel 21 - Esther

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Ich wische gerade mit dem Staubtuch über die Kommode in meinem Zimmer, als es klopft. Ich richte mich auf. „Komm rein, Annalies!", rufe ich. Die Tür wird geöffnet und ich wende mich um. Doch zu meiner Überraschung steht nicht mein Schützling im Türrahmen, sondern der Baron. Ich knickse nervös. „Entschuldigen Sie, Durchlaucht. Ich wusste nicht, dass Sie es sind. Normalerweise fragt Annalies mich um diese Zeit immer, was sie zum Dinner tragen soll."

Er lächelt, ebenfalls unsicher und ich frage mich, was er von mir will. Solange ich hier wohne, hat er nie diesen Raum betreten. „Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich Sie störe", beginnt er zögerlich. „Ich wollte Sie nur etwas fragen." Ich nicke. „Aber natürlich, jederzeit."

Er räuspert sich. „Sie sind schon einige Zeit hier und ich merke, dass Ihre Gesellschaft Annalies sehr guttut. Und auch ich schätze Ihre Anwesenheit. Ich würde mich freuen, wenn Sie ein wenig mehr Teil unseres Alltags werden, natürlich nur, wenn Sie das gerne möchten. Konkret wollte ich Sie fragen, ob Sie in Zukunft gerne die Mahlzeiten mit uns gemeinsam einnehmen möchten. Ich würde mich darüber freuen und Annalies mit Sicherheit auch."

Einen kleinen Moment lang bin ich sprachlos. Beim Essen kommt die Familie zusammen und der Baron fragt mich tatsächlich gerade, ob ich Teil dieser privaten Zeit sein möchte, die er mit seiner Nichte verbringt. Das ist ein unglaubliches Zeichen seiner Anerkennung, das mich überrascht. Obwohl unser Umgang in letzter Zeit freundlich und vertraut geworden ist, hätte ich nicht mit solch einer großen Geste gerechnet.

Doch innerlich bin ich unsicher, ob ich diese Einladung annehmen kann. Bei Hofe hat man mich dazu erzogen, dass ich mich in meine Rolle füge. Mit allen Rechten, Pflichten und Grenzen. Ich habe ein wenig das Gefühl, als könne ich fehl am Platz sein. Als würde ich mir etwas anmaßen, das mir nicht zusteht. Ich habe furchtbare Angst, erneut irgendeinen Fehler zu begehen. Und je mehr ich Teil dieser kleinen Familie werde, desto größer ist die Gefahr, dass dies passiert.

Baron von Mailinger merkt, dass ich zögere und wird verlegen. „Es tut mir leid, ich habe Sie damit überrannt. Es liegt mir fern, Ihre Pläne und Ihren Tagesablauf durcheinander zu bringen, Fräulein Griffel. Diese Einladung ist als Vorschlag gemeint und es steht Ihnen frei, sie anzunehmen oder abzulehnen."

Ich spüre ein Ziehen in der Brust. Es wäre so schön, nicht mehr allein zu sein, allein zu essen und sich nirgendwo zugehörig zu fühlen. Aus irgendeinem Grund öffnet der Baron mir ein Stück seines Lebens und ich kann nicht anders, als mich darüber zu freuen. Ich fühle mich wohl in seiner und Annalies' Gegenwart.

„Durchlaucht, ich möchte nicht, dass Sie mich falsch verstehen", setze ich an, mich zu erklären. „Ich fühle mich geehrt, Sie ahnen nicht, wie sehr ich mich über diese Einladung freue. Aber ich nehme meine Aufgaben stets sehr ernst und möchte vermeiden, dass ich zu übergriffig werde und Dinge einfordere, die mir nicht zustehen. Ich kann diesbezüglich schwer aus meiner Haut."

Zu meiner Überraschung lächelt Orland von Mailinger. „Nun, diesen Bedenken kann ich immerhin etwas entgegensetzen. Fräulein Griffel, Sie fordern hier nichts ein, sondern ich biete es an. Eigentlich ist es sogar ein Nachteil für Sie, da Sie von nun an sicherlich auch die Pflicht verspüren werden, Annalies beim Essen zu erziehen. Werfen Sie Ihre Bedenken einfach über Bord und essen Sie mit uns. Sie sind ein wichtiger Teil dieses Haushalts, wichtig für meine Nichte und auch für mich. Wenn Sie sich vorstellen können, mit uns zu speisen, dann sagen Sie bitte ohne Bedenken zu." Mir wird ganz warm ums Herz. Aus einem letzten Drang heraus, mich zu versichern, frage ich: „Sind Sie sicher, dass ich Sie und Annalies nicht stören würde?" Ein offenes Lächeln, das ihm ausgesprochen gut steht, tritt auf sein Gesicht. „Absolut. Wie ich schon sagte, wir würden uns freuen." Auch meine Mundwinkel heben sich nun unwillkürlich. „In diesem Fall sehr gerne."

Die GouvernanteWhere stories live. Discover now