Kapitel 15 - Orland

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Ich betrete erschöpft mein halbdunkles Arbeitszimmer. Ernst hat auf dem Tisch einen Leuchter mit Kerzen brennen lassen, da er weiß, dass ich hier nach einem Tag außerhalb gerne noch einmal meine Gedanken sammle, egal wie spät es ist. Ich gieße mir einen Cognac ein und stütze mich erschöpft auf der Tischplatte ab.

Ist es dumm, wie ich mich verhalte? Nein, widerspreche ich mir. Es ist nicht dumm, es ist feige. Ich hätte nicht gedacht, dass es immer noch so schwer sein würde, Esther Griffel im Haus zu haben. Dabei achte ich peinlich darauf, ihr nicht zu begegnen. Ich hätte erwartet, dass nach unserem freundlichen Gespräch im Gasthaus alles gut sein würde. Dass ich mir diese Unsicherheit von unserem ersten Zusammentreffen nur eingebildet hätte. Doch die Gefühle sind mit aller Macht zurückgekehrt. Als es darum ging, mich zu entschuldigen und sie als Gouvernante zu gewinnen, hatte ich eine Mission, ein Ziel, das es zu erreichen galt. Darauf konnte ich mich fokussieren.

Doch jetzt wohnt sie hier. Bei mir. Sie geht aus und ein, weiß genau was sie tut und scheint zu Annalies einfach nur wunderbar zu sein. Ihre Anwesenheit schwebt unaufdringlich über allem, doch gerade diese Unaufdringlichkeit zeigt mir, was für eine besondere Frau sie ist. Sie rührt meine unrühmliche Vergangenheit mit Frauen auf, sie sorgt dafür, dass ich mich wie ein Idiot fühle und am liebsten gleichzeitig so nah wie möglich bei ihr und so weit wie möglich von ihr entfernt sein möchte.

Kasimir würde mich wohl verschmitzt anblicken und mich damit aufziehen, dass ich in eine ernsthafte Schwärmerei verfallen bin. Aber wäre es nur eine Schwärmerei, könnte ich diese widersprüchlichen Emotionen ausblenden. Dann wäre all das, was ich in Esther Griffel sehe, nur oberflächlich. Doch ich sehe über ihre Schönheit hinweg. Ich sehe ihre inneren Qualitäten. Und das bringt mein Herz in Gefahr.

Ich seufze. „Das scheint ja ein anstrengender Tag außerhalb gewesen zu sein, Durchlaucht", vernehme ich plötzlich eine weibliche Stimme und fahre erschrocken zusammen. Beinahe hätte ich mein Glas fallen lassen. Ich drehe mich um und sehe die Frau, über die ich die letzten Minuten intensiv nachgegrübelt habe, seelenruhig bei dem Bücherregal in der Ecke stehen. Obwohl ich mich bereits von dem Schreck erholt habe, fängt mein Herz heftig an zu pochen und ich frage mich, warum der äußerliche Abstand in den letzten Tagen keine innerliche Distanz schaffen konnte. Offenbar sind all meine Vorhaben zum Scheitern verurteilt.

„Was tun Sie denn hier, Fräulein Griffel? Es ist mitten in der Nacht. Und dies ist mein persönliches Arbeitszimmer." Wie damals, als Kasimir sie mir vorstellte, spüre ich auch jetzt, wie ihre Präsenz den Raum erfüllt.

Sie verschränkt die Arme vor der Brust. „Ich bin erwachsen, Durchlaucht, ich darf genauso lange aufbleiben, wie Sie", bemerkt sie ironisch. „Außerdem sind Sie ja bei Tage nicht mehr anzutreffen."

Ich seufze abermals, diesmal genervt. „Das kann Ihnen gleichgültig sein. Ich habe zu arbeiten. Ich erwarte nicht, dass Sie verstehen, was es bedeutet, eine Baronie zu führen." Insgeheim verfluche ich mich dafür, dass ich mich schon wieder in die Situation bringen lasse, mich verteidigen zu müssen. Denn jeder einigermaßen intelligente Mensch weiß, dass derjenige, der sich in einem Disput verbal verteidigen muss, meist der Unterlegene ist. Und Esther Griffel ist sehr intelligent.

Sie schiebt ihr Kinn trotzig nach vorne, eine Mimik, die ihr äußerst gut steht. „Nein, stimmt, ich habe keine Ahnung davon, wie man eine Baronie führt. Aber ich glaube, in sieben Jahren einiges darüber gelernt zu haben, was es heißt, ein Königreich zu regieren. Und ich glaube kaum, dass eine kleine Baronie eine schwierigere Aufgabe darstellt, als ein ganzes Reich."

Ich verziehe das Gesicht. Ich will nicht, dass sie denkt, ich hätte meine Aufgaben nicht im Griff und wäre überfordert. Und doch tue ich alles dafür, dass sie genau das von mir hält, um zu verbergen, dass ich eigentlich die Begegnungen mit ihr vermeiden möchte.

Die GouvernanteWhere stories live. Discover now