Kapitel 13 - Esther

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Annalies streift bewundernd durch die Schneiderei. Stoffe unterschiedlicher Farben und Muster, fertige und halbfertige Roben, Bänder und Bordüren, alles saugt sie in sich auf. Sie erinnert mich ein wenig an mich selbst, als ich jung war und gerade erst neu am königlichen Hof. Theodora war damals mein größtes Idol und ich konnte mich gar nicht sattsehen an dem Prunk, der mir auf einmal zur Verfügung stand. Meinem Schützling muss es so ähnlich gehen. Scheinbar hat ihre Mutter nie Interesse daran gezeigt, mit ihr einkaufen zu gehen und einen schönen Tag zu verbringen.

Die Schneiderin, welche soeben zwei Kundinnen zu Ende bedient hat, kommt herbeigeeilt und begrüßt uns überschwänglich. „Guten Tag, meine Damen. Kann ich behilflich sein?" Ich nicke. „Gerne. Wir möchten eine angemessene Garderobe für die Baroness zusammenstellen. Das umfasst ein Ensemble von mehreren Tageskleidern, einigen Abendkleidern, Hüten, Mänteln..."

Während ich noch verschiedene andere Dinge aufzähle, bekommt Annalies ganz große Augen. Offenbar hat sie sich nicht diesen Umfang vorgestellt, als ich den Einkauf ankündigte.

Die Schneiderin wuselt kurz davon, um ihre Schnitt-Bücher zu holen und die Baroness wendet sich mir zu. „Fräulein, sind Sie sicher, dass wir so viel kaufen dürfen? Am Ende ist Onkel Orland noch böse auf mich..." Ich schüttele bestimmt den Kopf. „Das darfst du gar nicht denken, Annalies. Erstens müsste dein Onkel, wenn überhaupt, auf mich böse sein. Zweitens habe ich den Einkauf mit ihm abgesprochen. Und drittens investieren wir hier nicht in ein paar saisonale Kleidungsstücke, sondern wir schaffen dir einen Grundstock, auf dem du mit der Zeit aufbauen kannst. Ich möchte, dass du aufmerksam zuhörst, was ich mit der Schneiderin bespreche, denn es gibt sehr viel zu wissen über Mode und eines Tages musst du in der Lage sein, dir selbst ein Kleid schneidern zu lassen, das dich im besten Licht repräsentiert."

Annalies nickt eifrig und wartet gespannt, bis die Schneiderin wieder aus ihrem Atelier auftaucht, mit einigen dicken Büchern auf dem Arm. Sie platziert den Stapel auf einem Ecktisch und ich lasse mich auf einem Stuhl nieder. Annalies schaut mir über die Schulter.

Ich greife mir das erste Buch und blättere langsam die Seiten durch. „Oh, das ist schön!", ruft Annalies aus und deutet auf einen Entwurf mit Puffärmeln. Die Schneiderin pflichtet ihr sofort bei. „Sicher, das ist einer meiner Lieblingsentwürfe. Sehr aktuell und wunderbar geeignet für leichte Stoffe in zarten Farben. Dieser Schnitt würde Ihnen hervorragend stehen."

Ich ziehe die Stirn in Falten und Verärgerung macht sich in mir breit. Offenbar hat diese Frau noch nie etwas von guter Beratung gehört. Bei Hofe waren die Schneider stets darauf bedacht, uns auch kritisch zu beraten. Sie wussten, dass wir als Hofdamen gute Kenntnisse über Mode besaßen und spezifische Vorstellungen hatten. Diese Schneiderin scheint jedoch auf den ersten Eindruck nur darauf bedacht, möglichst schnell einen Auftrag zu erhalten, völlig gleich, ob die angefertigte Kleidung ihrer Kundin schmeichelt oder nicht.

„Was halten Sie davon, Fräulein?", fragt mich mein Schützling. Ich ziehe die Nase kraus. „Um ehrlich zu sein, Annalies, ich halte gar nichts davon." Die Schneiderin schnappt nach Luft. „Ich bitte Sie, diese junge Dame kann doch nun wirklich alles tragen."

Ich blicke mit einem falschen Lächeln im Gesicht zu ihr auf. „Richtig. Das heißt aber nicht, dass sie alles tragen muss. Annalies, wir sind hier für eine Garderobe, die du möglichst lange behalten kannst, die deine Figur unterstreicht, die deine natürliche Schönheit hervorhebt und nicht verdeckt. Dieser Entwurf stammt vom Beginn dieses Jahres, wenn ich das richtig sehe. Die Puffärmel sind eine Modeerscheinung, die nächstes Jahr durch etwas völlig anderes abgelöst werden wird und die Taillenlinie sitzt viel zu hoch für schlanke Damen, wie du eine bist. Dieses Kleid ist für fülligere Frauen gedacht. Das, was du brauchst, sind klassische, schlichte Schnitte, ohne große Verzierungen in dezenten Farben. Das mag zwar zunächst langweilig klingen, aber es hebt dich von denen ab, die keinen Geschmack haben und nicht wissen, wie sie sich präsentieren sollen."

Die GouvernanteWhere stories live. Discover now