Kapitel 32 - Esther

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Ich bin nicht mehr in der Küche gewesen seit dem Tag, an dem ich hier ankam. Ab und zu habe ich eines der Mädchen gesehen, Ernst natürlich häufiger, aber ein Wort gewechselt habe ich mit ihnen kaum. Deshalb bin ich etwas unsicher, als ich das Reich der Bediensteten betrete.
Mir ist damals nicht entgangen, dass die Bestimmtheit, mit der ich meine Grenzen abgesteckt habe, gerade den Dienstmädchen gegen den Strich gegangen ist. Damals hielt ich es für das Beste und auch jetzt bin ich der Meinung, dass ich in erster Linie für Orland und Annalies zuständig bin. Doch inzwischen frage ich mich, ob es manchmal nicht schön wäre, noch eine weitere Vertraute im Haus zu haben.
Bei meinem Eintreten in die Küche blicken alle auf und kurz habe ich die Angst, dass ich weggeschickt werde. Wie muss es auch wirken, wenn ich mit den Herrschaften die Mahlzeiten einnehme und regelmäßig beim Baron im Arbeitszimmer verschwinde?
Doch zu meiner Überraschung ernte ich weder abschätzige Worte noch Blicke. Regina schickt die Mädchen hinaus und zieht mir einen Hocker zurecht, ehe sie in den Kühlraum verschwindet, um etwas Eis in ein Handtuch zu wickeln. Wie immer tut sie anstandslos, was getan werden muss, ohne einen Kommentar abzugeben. Das, so erinnere ich mich, habe ich schon am ersten Tag an ihr geschätzt.
Sie reicht mir den kalten Umschlag und ich platziere ihn auf meinem Handgelenk. Der Schmerz pocht unangenehm, doch ich beiße die Zähne zusammen. Es ist ein Wunder, dass Orland so mild mit mir gewesen ist. Jeder sonst hätte mich aus dem Haus geworfen und nicht nach einem Arzt geschickt.
Die Köchin zieht sich nun ebenfalls einen Stuhl heran und setzt sich zu mir. „Man hat lange nichts mehr von Ihnen gesehen, Fräulein Griffel", bemerkt sie, aber ihre Miene lässt keinerlei Urteil zu.
Ich seufze. „Sie müssen mich auch für absolut snobistisch halten. Ich lasse mich nach Monaten hier blicken und das auch nur, weil ich mir mein Handgelenk verletzt habe."
Regina zuckt mit den Schultern. „Ihr Aufgabenbereich ist dort oben, so wie meiner hier unten ist. Die Mädchen haben anfangs sehr über Sie getuschelt, aber das habe ich ihnen ausgetrieben. Denn so neidisch die beiden auch auf Ihre Stellung sind, Ihre Aufgabe würde keine von beiden übernehmen wollen."
Ich lächele schwach. „Ich wüsste nicht, was an meiner Aufgabe so schwer ist. Die Baroness ist ein Engel, der Baron ist ein aufmerksamer Patron und ich bin in ihren Alltag integriert, als gehörte ich zur Familie."
Regina lehnt sich zurück. „Sie sehen die Schwierigkeit Ihrer Aufgabe nicht, weil Sie eine starke Frau sind. Jetzt mag es Ihnen so vorkommen, als wäre alles gar nicht so schwer gewesen. Doch zu Beginn sah das ganz anders aus. Baron von Mailinger war unfreundlich, die Baroness vernachlässigt und beide wussten nichts miteinander anzufangen. Niemand von uns hätte damit gerechnet, dass der Baron einmal so offensichtlich glücklich sein könnte. Dass er und die kleine Baroness eine richtige Familie werden könnten. Und das Mädchen hätte ohne Sie bei Weitem nicht so viel Selbstbewusstsein und Ansehen erlangt. Und selbst jetzt haben Sie dort oben täglich zu kämpfen. Für die Träume der Baroness. Gegen diese Furie von Schwester. Glauben Sie mir, ein Menü zu zaubern ist weit weniger schwierig. Und auch wenn Sie das vielleicht denken, hier unten verachtet Sie niemand. Wir bewundern Sie für das, was Sie geleistet haben."
Ich lagere die Eiswürfel um und verziehe vor Schmerz das Gesicht. „Ich hätte es beinahe zerstört heute. Wenn Orland, also der Baron, nicht so nachsichtig wäre, dann säße ich jetzt auf der Straße. Und dabei liebe ich meine Arbeit. Ich liebe dieses Haus und die Familie, die Umgebung. Trotz dieser ständigen Herausforderungen fühlt es sich seit langem das erste Mal wie zu Hause an. Und trotzdem habe ich es fast zerstört."
„Das ist Unsinn", widerspricht Regina. „Der Baron verachtet seine Schwester. Und jeder hier tut es ihm gleich. Sie haben ihm einen Gefallen getan. Und sich nur noch mehr in sein Herz geschlichen."
Ich werde rot. „Ich habe nicht... Er ist nicht...", stottere ich, doch Regina winkt ab. „Mein Reich ist vielleicht hier unten, aber blöd bin ich nicht. Die Dienerschaft ist stets über alles informiert. Und der pflichtbewusste, gute Ernst ist dabei die größte Tratschtante von allen. Nach außen selbstredend diskret, doch unter den Bediensteten der wichtigste Informant. Glaubt man ihm, sind Sie schon lange nicht mehr nur die Gouvernante der Baroness. Sie sind mindestens genauso sehr eine Vertraute für den Baron. Und das finde ich gut. Es wurde Zeit, dass er sein Leben für einen besonderen Mensch öffnet und das sind Sie zweifellos."
Ich vernehme ein Räuspern am Eingang der Küche und schaue auf. „Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, Fräulein Griffel, das sehe ich ebenso." Ernst hat eine gewichtige Miene aufgesetzt. „Und kein Bediensteter in diesem Haus hätte ein Problem damit, sollten Sie unsere Patronin werden."
Ich bin komplett verdattert, angesichts der abstrusen Vorstellungen, die hier bereits Blüten treiben. Ich hole tief Luft, um zu widersprechen, doch Regina ist schneller. „Nun bring sie doch nicht so in Verlegenheit, Ernst. Die feine Gesellschaft hat Probleme damit, wenn man solche Dinge laut ausspricht. Und was auch immer Fräulein Griffels Stand derzeit sein mag, im Inneren ist sie doch durch und durch eine feine Dame."
Ernst räuspert sich. „Ich bitte um Vergebung, Fräulein. Ich wollte Ihnen keine Unannehmlichkeiten bereiten. Darf ich Sie nach oben begleiten? Der Arzt ist eingetroffen."

Die GouvernanteWhere stories live. Discover now