Kapitel 18 - Orland

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„Ich wollte Ihnen danken. Wieder einmal. Ich habe mich zunächst gefragt, was Sie mit dieser Rezitation bezwecken, doch ich hatte viel Spaß. Und ich glaube, Annalies ging es ähnlich." „Gern geschehen", erwidert Esther fröhlich, aber nicht überlegen. Ich merke immer wieder, dass es ihr nicht, wie anderen Frauen, darum geht, sich selbst bestätigt zu sehen, sondern dass sie all das wirklich für uns tut.

Ich spiele ein wenig mit der Schreibfeder auf meinem Schreibtisch. Diese Frau macht mich immer noch ein wenig nervös, wenn auch nicht im unangenehmen Sinne. Inzwischen beschäftigt mich nicht mehr vordergründig, ob ich mich ihr gegenüber idiotisch verhalte, sondern vor allem, was sie von mir denkt. Sie bringt mein Herz zum Höherschlagen. Und sie ist die erste, bei der ich mir wünschen würde, dass sie sich auch für mich interessieren möge. Obwohl die ganze Sache nur noch komplizierter werden kann. Jemand wie sie steckt sich ambitioniertere Ziele. Jemand wie sie erledigt gewissenhaft ihre Aufgaben und lässt sich nicht durch Gedanken über ihren Patron ablenken.

Ich reiße mich aus meinen Gedanken, damit die Situation nicht merkwürdig wird. „Die Kardens haben eine Einladung zu einem kleinen Tanzabend ausgesprochen", fasse ich den Inhalt des eben stattgefundenen, langwierigen Gespräches zusammen. Edwin Karden hatte immer wieder beteuert, wie sehr er den Vertrag mit mir doch schätze und Frau Karden war voll des Lobes über meine Nichte. Fast habe ich das Gefühl, dass sie Annalies bereits als Angetraute ihres Sohnes sieht. Nun, wo sie ordentlich gebildet und gekleidet wird, scheint sie bei weitem nicht mehr so viel Missfallen zu erregen. Und obwohl ich nicht weiß, ob Annalies für eine Verlobung nicht noch ein bisschen zu jung wäre, missfällt mir der Gedanke nicht völlig. Die Kardens gehören zu den einflussreichsten und wohlhabendsten Familien der Gegend. Meine Nichte könnte es gut haben.

Fräulein Griffel scheint erfreut über die Einladung. „Wirklich? Das passt hervorragend. Sie haben doch zugesagt, oder nicht?" Ich runzele die Stirn. „Ich habe gesagt, ich gebe ihnen Bescheid. Ich wollte erst Ihre Meinung dazu hören, ob Sie denken, dass Annalies dafür bereit ist. Denn ich habe den Verdacht, dass dieser Abend auch dazu dient, meine Nichte auf die Probe zu stellen." Esther lächelt sorglos. Sie hat so ein schönes Lächeln. Ich habe es in den letzten zwei Tagen sehr häufig an ihr gesehen. „Keine Bange, Durchlaucht. Annalies ist überaus lernwillig und ich glaube, es täte ihr gut, sich beweisen zu dürfen. Ich kann sie gezielt darauf vorbereiten und hätte zudem einen Vorwand, ihr das Tanzen beizubringen."

Ich neige den Kopf. „Gut, ich vertraue Ihrem Urteil." „Ausgezeichnet. Darf ich dann ab morgen mit Ihnen rechnen?" Ich bin kurz verwirrt. „Wobei?" „Beim Tanzunterricht. Sie waren gestern mit Ihrer Nichte auf dem Markt und haben heute mit ihr rezitiert. Und ab morgen werden Sie gemeinsam tanzen, das baut die letzten Hemmungen ab. Zudem sind Sie als männlicher Tanzpartner sicherlich geeigneter als ich."

Mir wird ein wenig unwohl. Ich habe seit Ewigkeiten nicht getanzt, genau genommen habe ich es nie richtig gelernt. Meine Strategie, jemanden kennenzulernen – wenn dieses Bedürfnis je bestand – war meist, kluge Gespräche zu führen und weniger das Herumgehopse auf einer Tanzfläche.

„Ist alles in Ordnung, Durchlaucht?", hakt Fräulein Griffel nach. Ich räuspere mich peinlich berührt. „Es ist mir äußerst unangenehm, zugeben zu müssen, dass ich nicht tanzen kann." Sie lacht, aber es ist kein gemeines Lachen. Viel mehr ein erfreutes. „Umso besser. Dann lernen Sie und Annalies es gemeinsam. Ich habe das Gefühl, sie freut sich, wenn Sie ihr nichts voraushaben."

Ich verziehe das Gesicht. „Ich bin nicht sicher, ob es wirklich so notwendig für mich ist, die Tanzkunst zu erlernen. In meinem Alter sollte man damit nicht mehr anfangen."

Annalies' Gouvernante verschränkt die Arme vor der Brust. „Das ist doch Unsinn, Durchlaucht, und das wissen Sie. Vielleicht sind Sie bisher ganz gut durchs Leben gekommen, ohne das Tanzbein zu schwingen, doch Ihrer Nichte zuliebe werden auch Sie in Zukunft ein wenig mehr unter Leute gehen müssen. Und es wäre doch schade, wenn Sie zu den Herren gehören würden, die sich wahlweise ins Karten- oder Raucherzimmer zurückziehen."

Ihr Blick lässt mich viel zu schnell weich werden. Verdammt nochmal, ich möchte auch nicht mehr zu den Männern gehören, die kauzig und zurückgezogen sind und einer Frau nichts zu bieten haben. Seit ich Esther Griffel kenne und mir eingestanden habe, dass sie mir etwas bedeutet, möchte ich zu den Herren gehören, die in ihren Augen Wohlwollen finden. Warum nur muss es so viel Arbeit und Mühe bedeuten, diese Dame zu beeindrucken?

„Kommen Sie schon", neckt Esther Griffel mich. „Sie haben es nicht bereut, heute mit Annalies zu rezitieren. Und tanzen bereitet ungleich mehr Freude." Ich gebe mich geschlagen. „In Ordnung. Ich hoffe, dass Sie äußerst geduldig sind." Sie strahlt. „Durchlaucht, Sie werden es nicht bereuen."

Während sie den Raum verlässt, frage ich mich, ob ich mich da nicht in etwas hineingeritten habe. Wie soll ich Eindruck schinden auf einem Gebiet, in dem ich völlig unbegabt bin?

Ehe ich mir die Gedanken zerbreche, greife ich nach meiner Post und sehe sie durch. Als ich einen Brief von Kasimir entdecke, lege ich die anderen beiseite und öffne sein Schreiben. Nach einem kurzen Überfliegen der Zeilen muss ich lächeln. Er entschuldigt sich ausführlich für sein langes Fernbleiben, da er offenbar die Vorstellung hat, hier müsse es drunter und drüber gehen. Nach einigen geschäftlichen Fragen und Neuigkeiten von seiner Familie schließt er die Nachricht mit der Ankündigung, sehr bald vorbeizukommen und nach dem Rechten zu sehen.

Kurz amüsiert mich der Gedanke daran, wie er mit den schlimmsten Erwartungen herkommt, um dann ein friedliches Zusammenleben, eine quirlige Annalies und einen freudestrahlenden Bruder vorzufinden. Ich hatte ihm zwar in einer kurzen Notiz mitgeteilt, dass ich Esther Griffel als Gouvernante angestellt habe, doch nach unserem ersten Gespräch muss gerade diese Information ihm wohl Sorgen bereiten.

Was mir wiederum ein flaues Gefühl beschert, ist die Vorstellung, was er sagen wird, wenn er alles ganz anders vorfindet, als er es erwartet. Er ist der Typ Mann, der allem auf den Grund geht. Und ich mache mir keine Illusionen, dass ich meine Gefühle für Fräulein Griffel vor ihm verbergen kann.

Seit dieser Nacht in meinem Arbeitszimmer ist unser gesamter Umgang ein anderer geworden. Ich habe den Eindruck, als würden wir uns mit Neckereien und gerade von meiner Seite mit einem unterschwelligen Flirt ein wenig an den anderen herantasten. Sie genießt es sichtlich, dass ich ihr in der Bildung und Erziehung von Annalies freie Hand lasse und mein volles Vertrauen in sie setze. Und ich genieße, wie sie meine Nichte und mich näher zueinander bringt, wie sie mich einbezieht, ohne dass ich mich lächerlich fühle.

Was würde Kasimir nur dazu sagen? Ich kann mir sein triumphierendes Grinsen bildlich vorstellen. Aber womöglich ist es gar nicht so schlecht, dass er kommt. Sicherlich hat er ein paar nützliche Hinweise im Gepäck, wie ich bei Esther weiterkommen kann. Denn obwohl ich selten der offensive Typ bin, wenn es eine Chance gibt, sie noch vertrauter kennenzulernen, dann möchte ich sie nutzen. Ich habe sie ehrlich liebgewonnen.

Frohes neues Jahr!
Ich wünsche euch viel Freude und Erfolg, tolle Begegnungen und immer genug Lektüre für 2020!

Die GouvernanteWhere stories live. Discover now