Verlassen

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Ich laufe durch die Stadt.
Die Straßenlaternen gehen gerade aus, obwohl der trübe, wolkige Himmel die Sonne daran hindert, stattdessen ihr Licht zu zeigen.
Trotzdem weiß ich ganz genau, wo ich bin. Ich würde mich hier mit verbundenen Augen zurechtfinden, wenn es sein müsste.
Ich weiß wo ich her kam, aber nicht, wohin ich will.

Ich fühle mich etwas verirrt, so ganz allein, in dieser großen Stadt.
Ich setze meinen Weg fort, weiß immer noch nicht wohin ich will, hauptsache nicht stehen bleiben.
Die Fenster der Häuser, an denen ich vorbei komme, sind dunkel und auch in meiner Lieblingsbäckerei bleibt die Tür geschlossen, als ich versuche sie zu öffnen.
Ich versuche durch die Glasfront ins Innere des Gebäudes zu sehen. Alles liegt dunkel und ja, irgendwie auch friedlich, vor mir.

Auch meine Schule, die normalerweise von Menschen wimmelt, ist verlassen.
Der Wind fährt durch meine Haare, ich zittere ein bisschen.
Ich kann jedes Geräusch deutlich hören. Das vertrocknete Blatt, das über den Schulhof weht, der Wind in den kahlen Bäumen und meine eigenen Schritte auf dem feuchten Asphalt.

Keins der Gebäude hat eine Bedeutung, wenn es die Menschen darin nicht mit Leben füllen.

Meine Schule ist nur eine Schule, wenn ich darin meine Freunde sehe, die Lehrer im Gang herumlaufen und kleinere Kinder auf dem Schulhof spielen.
Andernfalls ist es nur ein Gebäude, ohne jeden Nutzen. Es steht einfach nur da, unbrauchbar, wenn keine Menschen da sind.

Es sind nicht die Gegenstände, Gebäude oder irgendwelche anderen materiellen Dinge, die unser Leben ausmachen.
Es sind die Menschen.
Egal, wo wir sind, entscheidend ist, mit wem.

Ich drehe mich um und schaue die Straße entlang, betrachte ganz genau die Wohnhäuser, Geschäfte, die Bäume und Straßenschilder, die Ampel... Dinge, die man sonst gerne übersieht, wenn alles voller Menschen ist.

Meine Beine tragen mich weiter, ich kenne jede Ecke dieser Stadt, aber ohne Menschen sieht alles so anders aus, so ohne Leben.

Schließlich sehe ich mein Haus vor mir. Ich beschleunige meine Schritte, will sehen, fühlen, wie mein eigenes Zuhause ist, wenn meine Familie nicht da ist.
Ist es dann überhaupt noch mein Zuhause? Oder nur ein bedeutungsloses Haus am Ende einer viel zu langen Straße, neben viel zu vielen, viel zu perfekten Gärten?

Es ist egal, wo ich wohne, denn Zuhause kann auch eine Person sein.

Ich gehe auf die Einfahrt zu, will schon meinen Schlüssel aus meiner Jackentasche nehmen und...

....wache auf.
Ich weiß nicht, warum, aber ich vergesse fast sofort wieder, was ich geträumt habe.

Das einzige was ich aus dieser Nacht noch spüre, ist die Einsamkeit.
Ja, obwohl all die Menschen wieder da sind, fühle ich mich allein.

poetrythunderstormWhere stories live. Discover now