Gefangen

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Ich stehe an der Bushaltestelle.
Zehn Minuten bis der Bus kommt.
Ich stehe genau hier, an dem gleichen Platz wie an den meisten anderen Tagen in der Woche. Ich kenne die Umgebung, die Gebäude, die Straßen, sogar die Menschen, die wie ich, wie programmiert ihrem Tagesablauf folgen.

Die meisten der Menschen halten ihr Handy in der Hand.
Sie tippen sinnlos darauf rum, scrollen täglich meterweit mit ihren Fingern über den Touchscreen.

Ein Mädchen, ungefähr im gleichen Alter wie ich, lächelt ihren Bildschirm an. Sie schaut auf, sieht nach, ob sie jemand dabei erwischt hat. In der Öffentlichkeit, einfach so ohne ersichtlichen Grund Lächeln? Anscheinend wird das in unserer Gesellschaft als komisch angesehen.

Ein junger Mann, ein paar Meter neben mir, versucht sich währendessen mit seinen Kopfhörern von der Außenwelt abzuschotten. Man kann es ihm nicht übel nehmen, den Wunsch, nur ein paar Momente aus dieser Welt zu flüchten. Aus einer Welt, in der so viel Schlimmes vor sich geht, dass man schon Kopfschmerzen bekommt, wenn man nur versucht alles aufzuzählen; geschweige denn, alles daran ändern zu wollen.

Eine Frau sieht gestresst auf die Straße, das Handy gegen ihr Ohr gepresst. Sie stimmt ihrem Gesprächspartner zu, nickt, gehetzt, obwohl dieser sie gar nicht sehen kann. Sie wirkt angespannt und gestresst.
Kaum hat sie aufgelegt, klingelt ihr Handy wieder. Erreichbarkeit - Fluch und Segen zugleich. Das Gefühl, etwas zu verpassen, wenn wir nur einen Moment Abstand von WhatsApp, Insta und co. nehmen. Das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Dem ständigen Erwartungsdruck ausgesetzt zu sein, alles gut machen zu wollen, immer 101% geben zu müssen, nie abschalten zu können; Das Handy trägt nicht gerade dazu bei, unser Leben zu Entschleunigen - im Gegenteil.

Vielleicht brauchen wir manchmal etwas Abstand.
Abstand vom Handy, der Erreichbarkeit, dem Stress, dem ständigen Vergleichen zu anderen durch social media.

Aber wir sind gefangen in der Monotonie unseres Alltags, bleiben in unserer Komfortzone; wir verlieren den Blick für das Besondere in jedem Tag.
Wir leben nicht jeden Moment und versuchen das Beste daraus machen, sondern suchen uns nur die Momente raus, die für uns die Besten sind und verdrängen all die anderen.
Aber was bleibt am Ende eines Lebens, wenn wir uns nur an die "guten Momente" erinnern wollen? Wo bleiben die Niederschläge, die Momente des Scheiterns und der Verzweiflung? Wo bleiben die Erinnerung, die uns vielleicht weh tun, aber genauso notwendig für unsere Entwicklung waren?

Die Menschen um mich herum versuchen der realen Welt zu entkommen, oder sich selbst.
Aber mit den Handys ist es so, wie mit einem Traum. Irgendwann ist auch der tiefste Schlaf vorbei und wir müssen aufwachen, uns der Realität stellen.
Trotzdem sind die Menschen gefangen in der Scheinwelt, in der auf Instagram jeden Tag Porridge gegessen, Green Smoothies getrunken und Work Outs gemacht werden. Wo keiner zu dick oder zu dünn ist. Wo alle eigentlich nur am Erinnerungenschaffen und Weltreisenbuchen sind.
Wo keiner traurig, verzweifelt oder wütend ist.

Und ja, vielleicht brauchen wir diese Flucht vor der Realität manchmal.
Vielleicht müssen wir uns ab und zu einreden, unser Leben sei so einfach und sorglos.
Wichtig ist aber, dass wir anschließend trotzdem die Ärmel hochkrempeln und uns dem echten Leben stellen können.

Die Menschen sind gefangen in der Monotonie, in ihrem Handy, ihren Gewohnheiten und ihrer Komfortzone.

Und letztendlich
bin ich nicht mehr,
nicht weniger,
als eine von ihnen.

poetrythunderstormWhere stories live. Discover now