Zu viel

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"Hey"
"Hey"
"Wie geht's dir?"
"Gut und dir?", sie muss lächeln. Wie soll es ihr schon gehen? Sie telefoniert mit der Person, die sie liebt. Besser geht es doch wohl gar nicht, oder?
"Ja, auch."
Es entsteht eine kurze Pause.
"Und, wie war das Training?", sie versucht ein Gespräch aufzubauen. Stille am Telefon ist irgendwie komisch. Aber vielleicht hat er gerade keine Lust zu reden. Vielleicht nervt sie ihn nur.
"Wie immer. Nichts Besonderes."
Klingt seine Stimme gelangweilt?
Ja, sie klingt gelangweilt.
"Okay.", sie räuspert sich nervös, "Schön."
Pause.
Am anderen Ende der Leitung raschelt und knistert es. Dann wird es wieder still.
Auch sie dreht sich in ihrem Bett um, verzweifelnd auf der Suche, eine gemütliche Position zu finden.
Aber nichts hier ist gemütlich, weder ihr Bett, noch dieses Gespräch.
Sie setzt sich schließlich auf und starrt an die gegenüberliegende Wand. Sie ist nicht sonderlich spannend, es hängt ein schwarz-weiß Bild von einem Elefanten daran, das sie schon mindestens eine Million Mal betrachtet hat. Aber es ist das Spannendste an das sie im Moment denken kann.
Sie setzt sich in einen Schneidersitz und räuspert sich leicht.
"Sag Mal...", fängt sie an.
"Mhh?", seine Stimme klingt müde und weiter entfernt. Als hätte er sein Handy weiter weg hingelegt, um seine Ruhe zu haben, um weiter weg von ihr zu sein, seine Ruhe vor ihr zu haben.
"...ist eigentlich alles okay? Also ich meine, bist du sauer auf mich oder so?", sie hält unbewusst den Atem an und hört ihren Herzschlag so deutlich, dass er fast alles andere übertönt, sogar das Zirpen der Grillen draußen im Garten.
"Lily, nicht schon wieder...", sie kann sein Augenrollen förmlich schon vor sich sehen. Was sie aber ganz deutlich und real mitbekommt, ist sein Seufzen und den genervten Unterton in seiner Stimme.
"Ich weiß nicht, ich dachte nur... Keine Ahnung. Du warst heute so anders in der Schule und jetzt auch... Ich weiß auch nicht, tut mir leid.", sie beißt sich auf die Unterlippe und wieder spürt sie ihren Herzschlag deutlicher, als ihr lieb ist.
"Ich bin einfach nur müde, okay?", seine Stimme klingt auch so.
Aber trotzdem.
Hat sich etwas verändert? Ist er genervt oder gelangweilt von ihr? Was ist, wenn er eigentlich gar keine Lust mehr darauf, auf sie, auf all das hier hat?
"Okay.", antwortet sie, angestrengt, die Enttäuschung in ihrer Stimme zu verbergen.
"Wollen wir dann auflegen? Es ist schon spät. Ich hab morgen einen Mathetest.", fragt er, nicht einmal eine Minute später.
"Klar. Viel Glück morgen."
"Danke."
"Gute Nacht.", sie versucht so fröhlich und zuversichtlich wie möglich zu klingen, damit er nicht merkt, dass sie traurig ist.
Aber das Geräusch ertönt und signalisiert ihr, dass er bereits aufgelegt hat.
Er hat es nicht gemerkt.
Er hätte es vermutlich nicht einmal gemerkt, wenn sie sich keine Mühe gemacht hätte, ihre Stimme zu verstellen.

"Was war nur los mit ihm? Hab ich etwas falsch gemacht?
Vielleicht will er Schluss machen.
Er will definitiv Schluss machen.", einen Tag später sitzt sie bei ihrer besten Freundin auf dem Bett und kann immer noch nicht aufhören daran zu denken, was er gestern gesagt hat. Oder nicht gesagt hat.
Sie analysiert jedes seiner Worte.
Nicht, dass sie das nicht schon die ganze Nacht so gemacht hätte.
Aber beim vierundzwanzigsten Mal fällt ihr vielleicht doch noch etwas Neues ein. Denkt sie zumindest.
"War er wirklich nur müde?
Oder hat er das nur so gesagt?
Und was ist, wenn er das nur so gesagt hat?"
"Beruhige dich, Lily."
Als ob diese Worte jemals jemandem etwas gebracht hätten.
Wenn Lily sich beruhigen könnte, würde sie ja jetzt nicht hier sitzen.
"Weißt du, du kannst nicht in andere Menschen hinein schauen. Du kannst nie genau wissen, was in ihnen vorgeht.", beginnt ihre beste Freundin.
"Aber du musst versuchen, das zu akzeptieren. Vielleicht war er wirklich nur müde und du bildest dir wieder nur etwas ein.
Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht hat er das nur so gesagt. Und dann? Dann weißt du wenigstens, dass er nicht der Richtige für dich ist und kannst nach vorne schauen.
Du wirst nie wissen, was andere Leute wirklich denken. Du kannst nur darauf vertrauen, dass alles so kommen wird, wie es kommen soll und sich alles irgendwann aufklärt."
Sie weiß nicht was sie sagen soll. Natürlich hat ihre beste Freundin Recht, sie hat immer Recht. Und tief im Inneren weiß sie es auch, aber wie soll sie das jemals wirklich glauben?
"Aber ich bin viel zu nervig. Ich überreagiere zu oft, bin viel zu sensibel und mache mir noch viel mehr Gedanken als Sorgen. Und das ist schon eine Menge. Ich bin einfach zu anstrengend."
Ihre beste Freundin schaut sie eine Weile lang an. Dann lächelt sie.
"Lily, du bist nie 'zu irgendwas' für die richtige Person. Und wenn jemand dich jemals so fühlen lässt, als wärst du zu nervig oder zu anstrengend oder zu sensibel, dann liegt das nicht daran, dass etwas falsch mit dir ist. Sondern dann hast du einfach noch nicht die richtige Person gefunden."

poetrythunderstormWhere stories live. Discover now