Kapitel VII: Der erste Schritt

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Wenn ich mich da mal nicht getäuscht hatte.

Weil Jan vergessen hatte den Wecker zu stellen, wachten wir zwar rechtzeitig für sein Meeting auf, aber alles andere blieb auf der Strecke. Er hatte kurz seinen Anzug aus dem Auto geholt und war dann unter meine Dusche gesprungen. Entschuldigend hatte er mich auf den Kopf geküsst und war dann wieder Richtung Auto geeilt. Es ging mir damit zwar besser als am Vorabend, aber irgendwie war es komisch. Wir hatten es nicht mal geklärt, wie es jetzt weiterging. Ich wusste nur, er würde nach dem Meeting nach Hause fahren wollen. Es war Wochenende, er hatte bestimmt etwas vor.

So fing ich an meinen Haushalt zu schmeißen. Immerhin war Arbeit jetzt erstmal kein Thema mehr, auch wenn ich mich innerlich schon dagegen sträubte mich beim Arbeitsamt melden zu wollen. Vielleicht konnte ich dem ganzen noch zwei Tage entgehen, denn nach einem kurzen Anruf im HR meines ehemaligen Arbeitgebers wurde mir mitgeteilt, dass ich zur Vertragseinhaltung und zwecks Abrechnung trotz Kündigung noch die nächsten zwei Monate angestellt sein würde – nur eben freigestellt. Da man sich aber zwei Monate vorher melden musste, war das gewissermaßen ein Spiel mit dem Feuer.

Gegen Nachmittag war ich mir schließlich sicher, dass die Wohnung nie sauberer gewesen war. Die komplette Wäsche war gemacht, die Küche inklusive Fronten auf Hochglanz getrimmt. Meine Fenster strahlten wieder, der Fußboden war frisch gefeudelt und sogar meine Sofakissen waren ordentlich nach Farbe sortiert. Vielleicht sogar ein bisschen zwanghaft. Und noch immer hatte ich keine Nachricht von Jan bekommen. Keine Information, wie es weitergehen würde. Vielleicht würde er sich auch gar nicht mehr melden wollen? Den Gedanken verwarf ich schnell – das würde nur Panik bringen.

Also zog ich mir eines meiner Sommerkleider an und ging raus. Einen Blick auf den Stadtpark werfend, wandte ich mich in die andere Richtung und schlenderte zur Einkaufsstraße. Was ich da wollte, war mir nicht klar, zumal ich mit meinem Geld jetzt eigentlich auch sinnvoller umgehen sollte, aber ein Blick in mein Lieblingsschuhgeschäft und ich hatte mich zumindest für die nächsten Minuten beschäftigt.

Als ich zuhause ankam, hätte ich jedoch gleich wieder laut fluchen können. Ich hatte definitiv zu viel gekauft. Die zwei neuen Kleider und das neue paar Schuhe, hinter dem ich schon länger her gewesen war, lachten mich fast schon höhnisch an. Einzig die Tüte von Lindner konnte mich aufheitern – immerhin hatte ich fast alle meine Gutscheine, die mir mein Arbeitgeber monatlich stellte, für Essen verprasst. Das waren noch gut 70€ gewesen, die jetzt in Form von Snacks, Dips, Brot, Süßigkeiten und anderen Feinkosten vor mir standen. Immerhin würde ich nicht verhungern.

Zwei Stunden später hatte ich dennoch nicht eine Sache davon angerührt. Abwesend auf Instagram irgendwelche Videos anstarrend überhörte ich scheinbar meine Türklingel. Erst als eine SMS auf meinem Display angezeigt wurde mit einer Frage, wo ich denn gerade sei, realisierte ich es und sprang auf. Es war Jan gewesen und das musste bedeuten, dass er sich zumindest mal von mir verabschieden wollte.

In seinem Anzug mit dem dunklen Hemd sah er hinreißend aus. Fast schon ein wenig böse, aber das hatte ich fast schon zu schätzen gelernt an ihm. Zumindest in meinen Gedanken, wann immer ich an ihn gedacht hatte.

„Hey", meinte ich und ließ ihn eintreten. Er sah deutlich wacher als am Morgen aus, aber nicht weniger erschöpft. Offenbar hatte sein Termin ihm Energie gestohlen.

„Störe ich? Du hast nicht aufgemacht?", fragte er dennoch und ließ einen Blick über die Wohnung gleiten, fand dann meine Shoppingtaschen und legte den Kopf schief, vielleicht sogar ein wenig fragend.

„Nein. Tust du nicht. Ich war nur abgelenkt und habe nicht hingehört", erklärte ich schnell und trat nervös zur Seite damit er weiter in die Wohnung gehen konnte. Wortlos schlüpfte er aus seinen Schuhen und schlenderte dann in den Wohnbereich hinein, drehte sich nach einem Blick auf die Lindner Tüte zu mir um.

„Und du bist dir sicher, dass du nichts planst? Damit kannst du mit Sicherheit vier Menschen ernähren heute Abend", hakte er noch einmal nach.

„Nein, wirklich nicht. Ich hatte nur Lust drauf", erwiderte ich und sah ihn vorsichtig an.

„Setz dich, ich mach dir einen Kaffee oder lieber ein Glas Wasser?"

„Wenn ich ehrlich bin, dann brauche ich nichts zu trinken. Der Tag war anstrengend und ich habe heute noch drei Stunden Fahrt vor mir. Ich würde mich gern bald auf den Weg machen", erklärte er im Gegenzug und riss mir damit fast die Füße unter den Beinen weg. Da war sie hin, die Freude ihn zu sehen.

„Oh, hm. Okay. Dann bist du extra zum Verabschieden hergekommen?", hakte ich leicht geknickt nach. Er nickte, räusperte sich dann aber.

„Und um dich zu Fragen ob du ein paar Tage mitkommen möchtest. Wenn ich dich gestern Abend richtig verstanden habe, dann hast du aktuell keine anderen Verpflichtungen. Mein Haus ist groß genug, dass man sich gegebenenfalls auch aus dem Weg gehen kann und ich werde für die Arbeit ohnehin beschäftigt sein. Trotzdem täte es dir vielleicht ganz gut, hier raus zu kommen. Und ich hätte dich gern bei mir", erläuterte er und ich sah ihn nur erstaunt an.

Manchmal war es komisch. Ich erwartete häufig, dass er genau das Gegenteil vorschlug. Und dazu, dass er anders herüberkam. Als ich bei ihm im Club gewesen war, hatte er mir häufiger einen bösen Blick gesendet oder eine Augenbraue hochgezogen. Hier wirkte er einfach nur normal. So wie sonst auch. Keine Manipulation, keine Anordnung, kein Befehl. Die Frage klang fast unschuldig aus seinem Mund. Und genau das brachte mich dazu, zu nicken.

„Ich pack kurz Sachen zusammen für ein paar Tage", erklärte ich und machte mich schon auf den Weg zu meinem Kleiderschrank, stoppte dann aber doch.

„Packst du die Lindner Sachen und vielleicht noch die Milch in eine der Kühltüten, die dort drüben liegen? Wenn wir sie nicht mitnehmen, dann werden sie schlecht", bat ich ihn schließlich noch, woraufhin er nickte und mir kurz über die Wange strich. Ein schönes Gefühl, dem ich trotzdem nicht lange nachging. Stattdessen widmete ich mich meinem Kleiderschrank.

Keine 20 Minuten später saß ich neben ihm im Auto. Meinen kleinen Koffer hatte ich schnell vollbekommen und das wichtigste mitgenommen. Das kleine Laptop, die Kopfhörer und das IPad standen hinter mir auf dem Rücksitz in einem Rucksack, die kleine Handtasche neben meinen Füßen auf dem Boden, während ich ein Kaugummi rausangelte und ihm ebenfalls eins anbot, dass er mir wortlos abnahm und sich zwischen die Lippen steckte.

„Wenn du zu müde bist, sagst du Bescheid, ja?", fragte ich zaghaft. Nicht, dass ich den teuren Schlitten unbedingt fahren musste, aber ich wollte nicht, dass er sich quälte. Der Blick, den er mir zuwarf, war sanft und wurde von einem Nicken unterstrichen, während er das Auto gekonnt auf die Stadtautobahn lenkte und schließlich meine Hand nahm. Nicht mehr. Einfach nur festhalten.

Die Fahrt dauerte dank der gutgewählten Zeit nicht lang. Mit seinem Auto waren wir recht schnell auf der Autobahn unterwegs, auch wenn ich mir insgeheim zugestehen musste, dass ich wohl schneller gefahren wäre. Wir machten zwischendurch eine kurze Pause auf einem Autohof. Er brauchte dringend einen Kaffee und ich hatte ungefähr 10 unterschiedliche Sorten an Schokoriegeln gekauft, die er nur kopfschüttelnd kommentierte und sich dann den Snickers rauszog – zu meinem Bedauern, den hätte ich nämlich auch gern gegessen. Danach war ich dann endlich dran mit der Musikauswahl, die er nur amüsiert absegnete.

Ich wechselte gerade das Lied zu einer meiner liebsten Bands, als ich unsere Auffahrt an uns vorbei ziehen sah.
„Hätten wir hier nicht runter gemusst? Hier bin ich das letzte Mal auch abgebogen", fragte ich fast schon hektisch, aber er war natürlich die Ruhe selbst.

„Ja, zum Club müssen wir hier ab. Aber wie ich bereits sagte: Ich fahre nach Hause", erinnerte er mich und musterte mich kurz von der Seite.

„Ach und wo ist das?", fragte ich daraufhin leicht irritiert. Ich hatte bis dato angenommen, er würde einfach im Haus im Club leben – das war groß genug. Zwar war es nicht sehr persönlich eingerichtet gewesen, aber das kannte man ja häufiger von Männern. Ein Grinsen umspielte seine Lippen.

„Ungefähr eine Stunde nördlich vom Club Richtung Ostsee. Nur wenige Minuten vom Strand entfernt. Ich habe mir vor 15 Jahren dort einen Hof gekauft. Etwas außerhalb vom Ort, nachdem mir mein Großonkel ein wenig Geld hinterlassen hat. Den habe ich dann komplett restauriert und wohne dort eigentlich. Dadurch, dass der Club aber doch je nach Tageszeit ein kleines Stückchen entfernt liegt und ich oftmals bis tief in die Nacht bei Veranstaltungen da sein muss, habe ich einfach das Häuschen am See zum Zweitwohnsitz gemacht. Wenn ich dann keine Lust habe zu fahren, wohne ich dort. Sonst auf meinem Hof", meinte er schulterzuckend und nahm wieder meine Hand.

„Ich hoffe, das stört dich nicht. Oder hattest du vor Zeit im Club verbringen zu wollen?"

Ich ächzte innerlich auf. Die Frage war an sich berechtigt, aber irgendwie war der Blick, den er mir dabei zu warf überhaupt nicht flirtend. Eher forschend, tastend, die Grenze auslotend. Ich musterte ihn eine Weile und schüttelte dann den Kopf. Ich wollte bei ihm sein, nicht zwingend im Club.

„Nein, ich will Zeit mit dir verbringen, deswegen bin ich mitgekommen. Ich hatte es nur einfach nicht erwartet. Aber ursprünglich kommst du nicht hierher, oder?", hakte ich nach, um ein wenig von meinem kleinen Geständnis abzulenken, das er auch gekonnt überging.

„Das stimmt. Ich bin in Niedersachsen aufgewachsen. Meine Schwester wohnt allerdings mit ihrer Familie hier in Meckpom und auch meine Mutter ist irgendwann hergezogen. Neben dem Club waren als die wichtigsten Aspekte hier, also habe ich das Geld genommen und es sinnvoll investiert", erklärte er schlicht und drückte dann meine Hand. Er kannte meine Geschichte, wusste, dass ich etwas nördlicher aufgewachsen war. Es gab keine Notwendigkeit es ihm noch einmal zu erzählen, aber ich freute mich dafür umso mehr ein weiteres Puzzlestück zu haben aus seiner Geschichte.

„Nun, dann bin ich gespannt. Möchtest du noch etwas trinken?", fragte ich schließlich nach, woraufhin er dankend annahm und die Musik dann etwas lauter stellte. Dankbar schloss ich meine Augen und hörte einfach nur meiner Lieblingsband zu.

Als wir ankamen, hatte der Sonnenuntergang schon langsam begonnen, was den Himmel in einen fast rötlichen Ton tauchte. Tatsächlich hatte Jan mit dem Begriff ‚Hof' nicht übertrieben. Er fuhr auf einen wirklichen Gutshof hinauf, den man mit Sicherheit auch für Veranstaltungen hätte vermieten können. Zur linken Seite befand sich gen Osten gerichtet das Hauptgebäude, dass mit Reet eingedeckt war und darunter einen typischen Fachwerk zeigte. Auf der anderen Seite des Hofes befand sich eine große Scheune, vor die er das Auto parkte. Drum herum war ein wirklich großer Bereich Wiese oder auch Garten angelegt, der voll unterschiedlicher Obstbäume war. Zwar gab es keinen direkten Zugang zum Meer, nicht mal Sichtkontakt, aber man konnte das Salz trotzdem in der Luft riechen. Es sah wirklich herrlich aus und ich stand völlig desorientiert auf dem Hof und sah mich einfach um.

„Das gehört wirklich alles dir?", entfuhr es mir leicht panisch. Das konnte er unmöglich bewohnen. Aber er nickte nur amüsiert und holte das Gepäck aus dem Kofferraum, warf sich meinen Rucksack, wie als wäre es normal, über seine Schulter und deutete auf das Haupthaus.

„Komm, ich zeig dir mein Zuhause."

Wortlos war ich ihm gefolgt und hatte nicht schlecht gestaunt. Das Haus an sich war tatsächlich schon ein paar Jährchen älter, aber er hatte scheinbar nicht wenig Geld in die Hand genommen, um es wieder auf einen modernen Stand zu bringen. Trotz der Balken, die fast überall noch einen traditionellen Stil mit herein brachten, überzeugte das Haus durch viele klare Struktur, weiße Flächen und sinnvoll gesetzte Spots zur optimalen Beleuchtung.

Der Eingangsbereich war länglich gestaltet und hatte neben einer Tür zum Wohnbereich ebenfalls ein Gästebad und die Küche als Anschluss sowie eine Treppe. Jan stellte die Sachen erst einmal ab, aber anstelle seinen Tätigkeiten nachzugehen und vielleicht das weitere Gepäck reinzuholen, musterte er nur mich. Unsicher schaute ich zurück und grinste dann schief.

„Schick", neckte ich ihn, woraufhin er ebenfalls breiter grinste und mit einer Hand nach mir angelte, um mir einen Kuss auf den Kopf zu drücken. Irgendwie sehr intim, aber keinesfalls erdrückend. Ich fühlte mich viel mehr erwünscht.

„Fühl dich bitte ebenfalls wie zuhause. Dort geht es in die Küche. Wenn du Hunger oder Durst hast, bediene dich. Nebenan gibt es einen Vorratsschrank. Hier ist der Wohnbereich. Das Wlan-Passwort kann ich dir gleich geben. Netflix ist eingeloggt, auch wenn ich es bevorzugen würde, dass du meine Stände nicht durcheinander bringst. Vom Wohnbereich kommt man zum einen in mein Arbeitszimmer, zum anderen aber auch noch in den Hauswirtschaftsraum und den Wintergarten mit Anschluss an die Terrasse. Es ist etwas komisch aufgebaut, aber ich denke, du wirst dich schnell damit zurecht finden", erklärte er mir und zog mich dann langsam die Treppe hinauf.

„Hier auf der linken Seite findest du mein Schlafzimmer, das große Badezimmer sowie ein extra Gästezimmer. Auf der rechten Seite sind ebenfalls drei Zimmer sowie ein Badezimmer untergebracht. Die sind für meine Neffen und meine Schwester bestimmt. Du kannst dort ruhig rein gehen, aber ich lasse sie in der Regel in dem Zustand, in dem sie sie auch verlassen", meinte er schlicht.
Neugierig sah ich mich um, warf einen Blick in jedes der einzelnen Zimmer, die alle einen gewissen Stil trugen, aber unterschiedlich eingerichtet waren. Dass seine Neffen ein Zimmer bei ihm hatten, ignorierte ich gekonnt. Die Zeit zum Fragen kam später.

Ein Blick in sein Schlafzimmer zeigte jedoch ein etwas anderes Bild. Ausnahmsweise war das Fachwerk verputzt, sodass man es nicht sehen konnte. Das Zimmer war hell und weiß, zeigte aber durch die Möbel viel mehr Akzente. Hauptblickfang war sein Bett. Riesig groß, massiv, dunkel, aber nicht altmodisch. Wer auch immer das ausgesucht hatte, hatte offensichtlich ein wenig Geschmack. Ich hoffte, dass es wohl Jan gewesen war.

Mein Blick fand automatisch zwei weitere Türen, die vom Schlafzimmer abgingen. Er lächelte nur.

„Das dort ist mein Kleiderschrank und das der Zugang zum Badezimmer. Du kannst dir aussuchen, ob du es mit mir teilen möchtest oder das kleine auf der rechten Seite nutzt. Und hier, um die Ecke, ist dein Zimmer. Richte dich ruhig ein. Und wenn ihr noch etwas benötigt, Mylady, sagt bitte Bescheid", ärgerte Jan mich ein wenig, woraufhin ich grinsen musste.

„Es ist echt schön. Aber wirklich riesig", warf ich schließlich ein. Er nickte zaghaft.

„Ich war eine Zeit lang am Überlegen es aufzuteilen und unterzuvermieten. Das Haus wäre groß genug, um einfach eine Mauer hochzuziehen. Aber ich möchte meine Privatsphäre nicht wirklich her geben.", erklärte er, während er mich wieder nach unten führte und die Lebensmittel in die Küche brachte. Neugierig sah ich mich um. Die Küche war ebenfalls sehr groß, mit viel Holz, aber überhaupt nicht altmodisch. Eine Kücheninsel mit einem Induktionsfeld zierte sie, ebenfalls wie die Spüle. Somit waren die Wände frei, um Küchengeräte und andere Dinge unterzubringen.

Auf der Seite, wo eigentlich die Außenwand sein sollte, befanden sich eine große Flügeltür, die offensichtlich mit der Terrasse verbunden war. Während Jan also wegorganisierte, öffnete ich sie und trat auf die große Holzterrasse. Nebenan war ein verglaster Wintergarten, in dem einige Pflanzen standen und vor mir lag eine unglaubliche Wiese. Es hätte fast nur noch ein Tor und ein Ball gefehlt, dann wäre die Familie nicht mehr weit gewesen.

„Gefällt es dir?", fragte Jan, schlüpfte in Gartenschuhe, die neben der Tür standen und deutete auf ein Paar, dass für kleine Füße geeignet war. Vielleicht für seine Schwester?

„Sehr. Es ist groß und schick und offen und herrlich ruhig", gab ich ehrlich zu und folgte ihm über den Garten zu seinen Bäumen hinüber. In einer Ecke rankte ein wenig Wein und ich ärgerte mich fast, dass ich meine Kamera nicht mitgenommen hatte. Instagram hätte es mir in jedem Fall gedankt.

„Das freut mich", erwiderte er schlicht und pflückte eine Birne vom Baum, reichte sie mir.

„Letzte Woche waren sie noch sauer, aber vielleicht sind sie jetzt besser", erklärte er, während ich schon abbiss. Fast hatte ich das schlimmste befürchtet, aber sie war wirklich herrlich süß und saftig. Und sofort hatte ich vor Augen was ich damit anstellen wollte.

„Stört es dich, wenn ich koche?", fragte ich und versuchte mir den Saft von der Hand zu lecken, was er amüsiert beobachtete.

„Nein, keinesfalls. Ich bin am Wochenende auch frei und helfe dir gern. Nächste Woche müssen wir dann schauen, wie wir dich versorgt bekommen", erklärte er und hielt dann mit einem Mal mein Kinn fest. Irritiert suchte ich seinen Blick, entdeckte aber nichts. Bis er einen Tropfen Birnensaft von meinem Kinn abwischte und sich genüsslich den Finger ableckte. Sofort kribbelte es wieder in mir und ich ärgerte mich – warum musste ich immer erst an etwas Schlechtes denken?

„Zuckersüß, hm?", neckte ich ihn etwas mutiger, woraufhin er ein Grinsen nicht unterdrücken konnte. In manchen Momenten war die Spannung zwischen uns so stark. Trotzdem räusperte ich mich und drehte leicht den Kopf weg, um mich wieder zu fangen.

„Das Meer ist nicht weit, oder? Ich kann es riechen, das Salz in der Luft."

„Nein. Wenn du möchtest können wir morgen schwimmen fahren. Vorausgesetzt das Wetter bleibt so", erklärte er nur und nahm mich wieder mit hinein. Zufrieden folgte ich ihm in die Küche, wo er etwas nachdenklich vor dem Kühlschrank stand.

„Eigentlich wollte ich bestellen, aber da wir so viel dabei haben, macht es keinen Sinn. Was hältst du davon, wenn ich das Brot kurz schneide und wir uns dann nach draußen setzen mit den Dips und anderen Sachen?", fragte er mich, war aber offensichtlich schon dabei ein großes Brett herauszuholen. Grinsend nickte ich, schob ihn dann aber ein wenig zur Seite.

„Lass mich anrichten, ja? Käseplatten sind meine Spezialität", erklärte ich, aber er schüttelte nur ungläubig den Kopf und ließ mich machen.

Als wir keine 15 Minuten später an dem großen Tisch auf seiner Terrasse saßen, hatten wir zwei große Holzplatten voller Essen vor uns und jeder nur einen kleinen Teller samt Bestecke. Zufrieden pickte ich mir eine eingelegte Zwiebel heraus, während er meine Ricotta-Creme argwöhnisch betrachtete und sich dann traute. Scheinbar zu seiner Zufriedenheit.

„Dein Geschmack ist herausragend", verkündete er, wurde aber sofort etwas ernster.

„Aber wenn du das so weiterführst, muss ich mehr Sport treiben, sonst bin ich in einer Woche deutlich schwerer."

Ich musste direkt grinsen und musterte ihn dabei leicht verstohlen. Obwohl die Fahrt sehr anstrengend gewesen war für ihn – das hatte ich ihm deutlich ansehen können – sah er jetzt nicht mehr müde aus. Seine Augen leuchteten durch das rote Licht um uns herum und strahlten mit seinem Grinsen um die Wette. Ich mochte es, wenn er böse schaute, aber das war ebenfalls wunderbar. Ihn glücklich zu sehen, so kitschig sich das auch anhörte, machte mich glücklich.

„Verrätst du mir was in deinem hübschen Kopf vor sich geht?", fragte er wie beiläufig, während er einen Schluck seines Wassers nahm. Ich fühlte mich ertappt, überlegte kurz ob ich ausweichen sollte, antwortete dann aber wahrheitsgemäß.

„Du wirkst hier ganz anders. Entspannt und zufrieden. Im Club warst du strenger, denke ich. Bei mir in der Wohnung hast du den Raum auch eingenommen, aber anders. Obwohl du geschlafen hast, warst du die ganze Nacht nicht richtig entspannt. Und hier dauert es eine halbe Stunde und du bist die Ruhe in Person", ich zuckte hilflos mit den Schultern.

„Ich habe den Raum eingenommen?", hakte er noch einmal nach und ich schlug mir innerlich direkt gegen die Stirn. Halt doch mal deine Klappe, Elena!

„Hmm. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber es gibt so Menschen, die kommen in einen Raum und sind fast unsichtbar. Ich glaub nicht, dass ich dazu gehöre, aber ich denke nicht, dass es sofort mein Raum ist. Du bist hingegen in meine kleine Wohnung gekommen und es war alles deins. Du hättest mit der Couch zusammenbrechen können und hättest dich trotzdem nicht blamiert", versuchte ich es hilflos zu beschreiben und bekam dafür nur eine spöttisch hochgezogene Augenbraue entgegnet. Er amüsierte sich wohl prächtig. So beugte er sich leicht zu mir hinüber und zog mich an meinem Kinn ebenfalls in seine Richtung.

„Nehme ich den Raum noch immer ein?", neckte er mich und ich schnaubte auf. Schön, dass er sich amüsierte.

„Und wenn?", brachte ich ihm trotzig entgegen. Spielen konnte ich immerhin auch.

„Dann ist das gut. Denn für die nächsten paar Tage gehörst du mir", erläuterte er schlicht und überbrückte dann den Abstand zwischen uns. Seufzend versank ich in dem Kuss, den er maßgeblich bestimmte, während ich mich nur an seinem Arm festklammerte in der Hoffnung, er würde nicht aufhören.

Aber er hörte auf, wenn auch nicht freiwillig.

„Ich wusste nicht, dass du mittlerweile schon Kinder fickst", ertönte es laut hinter uns in einer Frauenstimme. Sofort erstarrte ich und auch Jan brauchte kurz, bis er sich umdrehte und die Frau musterte.

„Hallo Steffi. Es freut mich auch, dich zu sehen. Komm doch her und setz dich zu uns. Darf ich dir Elena vorstellen?", erwiderte er hingegen ruhig und ging erstmal nicht auf die Beleidigung ein. Ich saß nur verwirrt da. Die Frau war groß, schlank, blond und starrte mich derart wütend an, dass ich mir kurz Sorgen machte, es sei eine Ex. Aber war das nicht ewig her? Hatte er doch gesagt.

„Wie schön für dich, Jan. Aber hatten wir nicht darüber geredet?", zischte sie und verschränkte die Arme vor der Brust, woraufhin Jan merkbar aufseufzte.

„Elena, das ist meine Zwillingsschwester Stefanie. Wie du siehst, ist sie ein wenig gereizt.", erklärte er mit einem deutlich unzufriedenen Blick. Verwirrt sah ich Stefanie an – ich mein ich hatte ihr doch nichts getan. Oder? Trotzdem entschied ich mich aufzustehen, meinen Teller zu nehmen und den beiden ein wenig Freiraum zu lassen. Sollten sie unter sich klären, was auch immer sie störte.

„Ich ruf mal meine Mutter an, da habe ich mich Ewigkeiten nicht gemeldet", erklärte ich schlicht und ließ sie einfach stehen. War das unfreundlich? Vielleicht. Aber ich hatte keinen Bock mich anmotzen zu lassen von seiner Schwester. Nicht, ohne dass ich es verdiente.

Jan sagte nichts und so verschwand ich schneller als ich denken konnte auf die andere Seite des Hauses, blieb aber im Garten. Eine Weile starrte ich in die untergehende Abendsonne und schüttelte nur selbst den Kopf. Das war einfach nicht fair. Aber vielleicht sollte es auch nicht fair sein. Vielleicht war es das Zeichen, dass ich einfach nicht ausreichte - nicht für ihn und nicht für mich?

Es dauerte einige Minuten, ehe ich meine Mama doch anrief. Tatsächlich hatte ich mich mehrere Wochen nicht mehr bei ihr gemeldet – sie genoss gerade ihren Urlaub auf einer italienischen kleinen Villa und wollte eigentlich nicht wirklich gestört werden. Dumm für sie, denn ich hatte genug Zeit sie auszuquetschen wie das Wetter war und ob sie sich schon von einem italienischen Daddy hatte abschleppen lassen – hatte sie übrigens nicht. Das Thema Jan umschiffte ich so gut es ging, wobei ihre mütterliche Intuition das natürlich trotzdem mitbekam. Zwei, drei Kommentare konnte sie sich nicht verkneifen, aber ich ging gekonnt darüber hinweg. Alles was sie wusste, war, dass ich ein wenig Urlaub auf dem Land machte. Das war per se ja nicht mal gelogen.

Nach dem Gespräch fing ich mir schließlich ein Herz und schlenderte zu den Birnenbäumen rüber. Von dort aus konnte ich sehen, dass Jan und Stefanie noch immer diskutierten, sie aber nicht hören. Und sie achteten auch nicht wirklich auf mich, weswegen ich mir ein paar Birnen herunterpflückte und sie dann über einen seitlichen Eingang in die Küche brachte. Keiner sah mich, keiner bekam es mit. Aber wenn ich gestresst war, dann war Backen und Kochen mein Ventil. Und bei den herrlichen Birnen hatte ich zunächst an eine Tarte gedacht, es dann aber wieder verworfen. Stattdessen hatte ich Lust auf Birnen mit Klüt, wie meine Oma es immer genannt hatte. Also begann ich die Birnen zu waschen und schälen, sie in Zuckerwasser aufzukochen und die teigige Masse dann langsam anzurühren, um sie schließlich in mundgerechten Stückchen in die heiße Suppe fallen zu lassen. Deckel drauf und wenig später schwammen alle Teigklümpchen oben an der Fläche. Und es duftete!

Zufrieden, wenn auch etwas ungeduldig, machte ich sauber und setzte mich dann wieder raus. Mitten ins Gras, weit weg von den Beiden. Sie mussten das unter sich klären, immerhin konnte es kaum ein Problem mit mir sein, auch wenn das Gefühl nicht schön war. Insbesondere nicht, weil sie mich als Kind bezeichnet hatte. Stefanie wusste also wohl um mich, mochte mich aber scheinbar nicht. Und das war nicht gut. Wenn sie sein Zwilling war, dann waren sie vielleicht sehr eng miteinander.

„Hey", ertönte eine Stimme hinter mir und ich drehte mich um, um zu Jan zu sehen, der hinter mir stand und auf mich herunterschaute.

„Möchtest du dich zu uns setzen? Oder bevorzugst du den kalten Rasen?"

„Zu euch? Ich weiß nicht. Stefanie war offensichtlich nicht ganz begeistert von mir", meinte ich ehrlich und spielte leicht nervös an einem meiner Armbänder.

„Das ging nicht gegen dich. Stefanie hat Probleme mit ihrem Mann und hat gedacht sie könnte vorbeikommen und sich auskotzen. Mich in dem Moment glücklich zu sehen, hat sie ein wenig aus der Bahn geworfen", erwiderte er und reichte mir die Hand, um mir aufzuhelfen. Ungelenk nahm ich die Bitte an und klopfte mir schließlich das Gras vom Kleid.

„Bist du dir sicher? Ich habe keine Lust mir vorwerfen zu lassen, ich sei ein Kind", erwiderte ich schlicht und leicht misstrauisch, wofür er das Gesicht verzog und schließlich nickte.

„Vertrau mir. Das kommt nicht wieder vor", erklärte er und lenkte mich dann, auch wenn ich mir unsicher war, ob ich wirklich mitwollte, mit einer Hand im Rücken Richtung Terrasse. Er war sich dann wohl in jedem Fall sehr sicher.

Als wir dort ankamen, entdeckte ich Stefanie schnell. Sie hing schniefend über einer Schale voll Essen und wenn ich nicht ganz falsch lag, dann war das meine Birnensuppe.

„Wie die, die Oma früher gemacht hat! Du hast mir gar nicht gesagt, dass du das Rezept hast!", maulte sie Jan an, der aber erstaunlich ruhig blieb und neugierig auf den Teller schaute, dann zu mir.

„Das war ich nicht. Elena?", fragte er vorsichtig und ich nickte zögerlich, etwas peinlich berührt. Immerhin hatte er mir zwar gesagt, dass ich kochen durfte, aber ich hatte mich gewissermaßen einfach direkt an seiner Küche bedient. Das war auch nicht wirklich die feine gästliche Art.

„Ja, die Birnen waren so lecker", erklärte ich und bekam dann noch ein größeres Schniefen von Stefanie, die sich die Tränen schnell wegwischte und dann aufstand. Etwas nervös musterte ich sie, wie sie mir immer näher kam und mir schließlich um den Hals fiel.

„Es tut mir leid. Das ging nicht gegen dich. Ich freu mich wirklich, dass du da bist", erklärte sie leise, aber laut genug, dass wir es alle hören konnten. Und ich? Ich tätschelte ihr vorsichtig auf den Rücken und sah Jan fragend an. Nähe von fremden Personen und ich – no way!

Zum Glück ließ Stefanie mich schnell aus ihrer Umarmung und sah mich an.

„Es ist schön, dass Jan jemanden hat. Ich habe aktuell einfach ein wenig Stress und mir ist es übergekocht. Sorry."

„Kein Problem, passiert wohl jedem mal", antwortete ich verlegen und setzte mich auf Jans Bitte hin dann neben ihn auf eine Bank. Wie selbstverständlich legte er mir unter dem Tisch eine Hand auf den Oberschenkel, die mich augenblicklich ein wenig ruhiger machte, mich aber gleichzeitig auch irritierte. War er tatsächlich so offen? Wollte er das direkt so zeigen?

„Und du hast das gemacht? Woher kannst du das? Sag einfach Steffi zu mir, das tun alle."

„Meine Oma hat es mir beigebracht", erwiderte ich schulterzuckend und beobachtete Jan, der seiner Schwester die Schüssel mopste und dann probierte. Kurz schloss er die Augen und nickte dann zufrieden.

„Ich sag ja, 10 Kilo schwerer", brummte er und sah missmutig zu, wie seine Schwester ihm die Schüssel wieder entriss und zufrieden den Löffel eintauchte.

„Das Rezept musst du mir geben. Wir haben schon alles versucht aus dem Internet, aber es hat nie so geschmeckt", seufzte sie," Mama wird sich freuen das zu probieren, nicht Jan?"

Der nickte und warf einen Blick Richtung Tür, Richtung Küche. Den Gedanken konnte ich ihm quasi an den Augen ablesen.
„Da ist noch genug für später", vertröstete ich ihn, als er feststellte, dass sein Zwilling ihm alles weggegessen hatte. Die Schale war allerdings auch klein gewesen.

„Den Jungs würde das bestimmt auch schmecken. Vielleicht sollte ich sie die Tage mal vorbeibringen", schlug Stefanie vor, woraufhin Jans Gesicht sich kurz verdunkelte, ehe er nickte.

„Es wäre besser, wenn ihr Tobias ein paar Tage in Ruhe lasst", erwiderte er und wandte sich dann zu mir:

„Tobias ist Steffis Mann und hat ein deutliches Problem mit Alkohol und Glücksspiel. Die Zimmer oben habe ich eingerichtet, damit die drei jederzeit herkommen, was sie auch in regelmäßigen Abständen tun. Du wirst meine Neffen mit Sicherheit bald kennen lernen. Sie sind 14 und 12."

Das Ganze hatte er so karg rübergebracht, wie nur möglich. Krass, dass er mir das direkt erzählen wollte, aber Jan hatte wohl nicht gelogen, als er mir vor zwei Wochen erzählt hatte, dass Unwahrheiten ein No-Go für ihn waren. Und vielleicht erklärte das auch, warum er so fertig war aktuell, wenn es seinem Zwilling nicht gut ging.

„Ich ruf gleich mal Mama an. Sie hat bestimmt noch nichts vor und danach kommen wir zu dir", meinte Steffi leise und schüttelte den Kopf, holte tief Luft.

„Ihr könnt auch hierbleiben", erwiderte Jan, woraufhin seine Schwester wieder den Kopf schüttelte.

„Vergiss es. Du warst die letzten zwei Wochen ein unertragbarer Miesepeter. Ihr zwei braucht Zeit für euch. Wenn ihr die gehabt hat, kommen wir gern vorbei", seufzte sie und wischte sich wieder eine Träne weg. Ich wollte lieber nicht nachfragen, was passiert war. Alkohol war wirklich nicht einfach in familiären Beziehungen, das verstand ich dann aber doch. Außerdem wollte ich Jan ungern teilen, auch wenn es komisch war, dass sie von „uns" sprach. Als wären wir seit Ewigkeiten ein Duo.

Jan nickte schließlich und zog mich an sich heran. Das war dann schon ziemlich deutlich. Auf der anderen Seite störte es mich nicht. Sie wusste scheinbar mehr über uns und allein die Tatsache, dass ihn die zwei Wochen auch gestört hatten, zeigte ja, dass ich ihn zumindest auch ein wenig berührte.

„Ich denke, ich fahr dann mal Jonas vom Fußball abholen", seufzte sie und stand auf, was Jan und ich ihr gleichtaten. Etwas unbeholfen stand ich da, wurde von ihr zum Abschied dann aber doch in eine Umarmung gezogen. Ich wusste nicht recht, ob ich sie mochte, das war immerhin alles sehr verwirrend gewesen. Irgendwie konnte ich es ihr aber nicht wirklich übelnehmen.

Als Steffi vom Hof runter war, entspannte ich mich zunehmend und half Jan das Geschirr weg zu packen. Er schien nachdenklich, wenig konzentriert, aber das störte mich gerade nicht. Vielleicht hatte sie ihm Dinge gesagt, die er erst einmal bedenken musste. Entgegen meiner Erwartungen hielt es ihn jedoch nicht davon ab, mich vor dem Verschwinden aus der Küche festzuhalten und in seinen Arm zu ziehen.

„Stefanie hat Tobias vor Ewigkeiten geheiratet und es am Anfang einfach übersehen. Mittlerweile ist er oft betrunken und hat schon zwei Mal ihr gesamtes Geld verspielt. Er ist nicht aggressiv und schlägt sie nicht, aber er sieht seine Fehler nicht ein, obwohl er in der gesamten Region eigentlich nicht mehr spielen darf. Heute ist er jedenfalls betrunken von der Arbeit bekommen und – viel schlimmer noch – mit ihm ein Mahnbescheid. Er hat sich verschuldet", erklärte er mir leise und suchte meinen Blick.

Ich wusste nicht recht was ich sagen sollte. Das war wirklich hart und mir tat Steffi leid. Jan schien es auch sehr mitzunehmen.

„Das tut mir leid. Und wie geht es jetzt weiter? Wenn das Geld weg ist?", fragte ich leicht besorgt. Mutter von zwei Teenagern ohne Geld wollte ich auch nicht sein. Zumal der Scham, bestimmt wusste es das halbe Dorf, so wie es auf dem Land häufig war, bestimmt übriges tat.

„Sie hat auf mein Anraten hin das letzte Mal selbst Geld zur Seite gelegt. Außerdem sind sie finanziell abgesichert durch die Familie. Aber sie überlegt sich nun, ob sie weiter mit ihm leben möchte. Ein betrunkener Vater dient nicht wirklich dem guten Familienleben. Die Jungs leiden da sehr drunter, weswegen sie häufig bei mir sind", meinte er schlicht.

Vorsichtig strich ihm über die Wange. Dagegen wirkten meine Probleme ja fast kindisch.

„Was hältst du von einem entspannten Abend auf dem Sofa?", schlug ich daher vor. Er nickte nur und nahm mich mit hinüber.
Dieses Mal legte er mir kein Kissen vor die Couch, obwohl ich es fast erwartet hatte. Zumal seine Sofakissen herrlich weich aussahen, noch weicher als das im Clubhaus. Und er hatte es bisher immer getan, sowohl im Club als auch bei mir. War unsere Beziehung hier anders? War er hier weniger Dom?

Während ich die Getränke hinstellte, machte er den Fernseher an und musterte mich schließlich unschlüssig.

„Was ist?", fragte ich lächelnd und sah ihn fragend an. Vielleicht auch ein wenig unsicher. Wie ging man mit jemandem um, den man mochte, der es aber gerade etwas härter hatte?

„Ich bin mir unsicher, ob ich dich in meinem Arm halten möchte oder lieber kniend und nackt vor dem Sofa hätte", erklärte er fast schon emotionslos und musterte mich wieder. Sofort hatte ich einen Kloß im Hals. Nackt? Vor dem Sofa kniend? Ich konnte mir das angenehmer vorstellen, zumal wir noch immer nicht über gewisse Dinge geredet hatten, keine Absprache getroffen hatten. Und bevor ich mich wirklich dominieren lassen wollte, musste ich das doch tun, oder? Was war mit einem Safeword? War ich bereit mich darauf einzulassen? Außerdem war er bis dahin so wenig dominant gewesen. Ohne den sexuellen Rahmen, der jetzt gerade definitiv fehlte, würde ich das nicht können.

„Wie wäre es mit kuscheln?", erwiderte ich daher und wartete gespannt auf seine Reaktion. Er nickte und ließ sich aufs Sofa fallen, streckte die Arme aus, dass ich mich zwischen seine Beine legen konnte direkt auf seine Brust.

Erleichtert drehte ich mich, bis mein Kopf unter seinem Kinn lag und er die Arme um mich gelegt hatte. Hoffentlich gefiel ihm das auch, denn ob ich so krass nachgeben konnte, stand für mich noch nicht fest. Klar, die Dinge, die er bisher mit mir gemacht hatte, hatten mir gefallen. Aber es war ein Unterschied, ob ich Brustwarzenklammern auf einer Veranstaltung anhatte oder ob ich nackt vor ihm kniete. Zumindest redete ich mir das ein.

„Habe ich dich verschreckt?", fragte er schließlich leise. Irritiert sah ich auf, merkte, dass bereits ein Film im Fernseher lief. Ich hatte wohl geträumt.

„Ja und Nein. Ich will irgendwann knien, denke ich. Aber ich weiß nicht, ob ich das jetzt schon kann", gab ich leise zu und wich gekonnt seinem Blick aus, indem ich mich noch enger an seinen Hals kuschelte, was er mit einem unzufriedenen Brummen bemerkte und gekonnt meinen Kopf weghebelte. Ich verstand nicht, wie er das so schnell gemacht hatte, aber keine Sekunde später hatte er die Hand in meinem Haar und mich so weit weggezogen, dass er mir in die Augen sehen konnte. Und die waren arrogant und kalt und irgendwie unglaublich heiß. Der Blick, der mir die letzten Wochen ein winziges bisschen gefehlt hatte.

„Wenn ich dich etwas frage, hast du zu antworten. Das Thema hatten wir doch schon einmal, nicht wahr?", fragte er, woraufhin ich nickte. Dieses Mal war es ihm aber nicht genug.

„Ich höre?", fragte er und ich schluckte nur. Es pulsierte schon wieder in mir, kribbelte an den richtigen Orten und das nur wegen seiner Augen und ein paar Worten. Ich musste komisch sein, das konnte nicht normal sein.

„Es tut mir leid, Jan. Ich war gerade nur so perplex. Du wechselst gerade so schnell zwischen der sanften Version und der hier. Außerdem warst du zwei Wochen quasi nicht da und im Club so gemischt und bisher seit gestern Abend eher weniger dominant. Ich möchte heute Abend nicht knien, sondern lieber an dir gekuschelt liegen, weil ich glaube, dass ich, ich-. Ich glaube, dass ich mich sonst verliere. Wenn ich das mache, ist das so, als würde ich direkt springen und ich weiß nicht, ob du mich auffangen willst", kam es schließlich doch aus mir heraus, woraufhin er nickte. War er böse auf mich? Böse, dass ich nicht knien wollte?

„Schau mich nicht so an. Ich werde nicht unzufrieden sein, wenn du etwas nicht ausprobieren möchtest. Ich verlange jedoch, dass du mir deine ehrliche Meinung mitteilst, wenn ich Frage. Meine Seite kann ich bis zu einem gewissen Punkt unterdrücken, möchte es aber nicht immer tun. Es ist wichtig, dass ich verstehe, was dir gefällt und was nicht. Es ist unerlässlich, dass du mir erzählst, was du brauchst und was dir Angst macht", erwiderte er und ließ dann mein Haar los, wobei ich den Kopf weiter in seiner Hand beließ. Ich war erleichtert, dass er nicht böse war. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er mit sich selbst haderte.

„Aber du wirst mich jetzt nicht bestrafen, oder?", fragte ich daher zaghaft. Ein tiefes Seufzen war zu hören, ehe er meinen Blick wieder suchte.

„Nicht, weil du nicht knien wolltest und auch nicht, weil du dich mir verschlossen hast. Dieses Mal. Das nächste Mal schon, insofern ich dann in einer anderen Verfassung bin."

„Was meinst du mit einer anderen Verfassung?", fragte ich neugierig und fast schon erleichtert. Zwar turnte mich der Gedanke an eine Bestrafung an - also ein wenig so 50 Shades mäßig -, aber irgendetwas sagte mir, dass das, was ich mir unter Bestrafung ausmalte, sich leicht zu seiner Version unterschied.

„Ich bin wütend über Tobias und besorgt. Außerdem bin ich müde. In diesem Zustand werde ich den Teufel tun und eine Anfängerin züchtigen – egal ob sie es will oder nicht. Auch ich habe meine Grenzen und wenn eine gewisse Art von Wut im Spiel ist, ist es besser kein Spiel einzugehen", erklärte er mir ruhig, was ich durchaus verstand. Das ergab Sinn und sollte mich eigentlich beruhigen. Immerhin ließ er damit auch unterschwellig durchklingen, wie interessiert er auch körperlich an mir war.

Stattdessen fragte ich mich, wie ich ihm in seiner Wut helfen konnte. Wenn ich wütend war, dann durfte mich keiner anfassen, dann wollte ich nur Ruhe. Jan schien anders damit umzugehen.

„Man sieht dir deine Wut nicht an. Du unterdrückst sie doch nicht nur, weil ich da bin, oder?", fragte ich zaghaft, nachdem mir der Gedanke gekommen war. Wieder schwieg er eine Weile, schloss dann aber die Augen.

„Ich bin wütend kein sonderlich angenehmer Partner. Aber du hilfst mir gerade herunterzukommen. Dich im Arm zu halten, bringt mir Ruhe", seufzte er schließlich und zog mich wieder an sich heran. Ich nahm das als Kompliment. Wenn ich sein Ruhepol war, so wie er meiner, dann bedeutete das schon eine ganze Menge.

„Irgendwann wirst du vor mir wütend sein, vielleicht sogar über mich", nuschelte ich leise und bekam dafür eine brummende Zustimmung.

„Wenn ich wütend bin, dann wirst du das sehr schnell merken. Und dann kann es sein, dass Bestrafungen vielleicht mal stärker ausfallen, als sie sollten oder dass ich nicht mehr der nette Mann bin, den du kennst. Aber Wut ist gerade nicht das richtige Wort. Ich bin angepisst, wie so ein Idiot es wagen kann meiner Schwester und meinen Neffen weh zu tun. Wie dumm er ist, aus seinen Fehlern nicht zu lernen. Er sollte es schätzen, was er hat. Sein eigenes kleines Unternehmen, eine Ehefrau, die ihn liebt. Zwei großartige Söhne. Stattdessen lässt er sich volllaufen und schmeißt irgendwelchen dubiosen Internetgeschäften das Geld in den Rachen", erläuterte er und wurde zum Ende hin immer kälter in der Stimme. Seine rechte Hand verkrampfte sich leicht, ehe er tief Luft holte an meinem Haar und sich dann merklich entspannte.

„Du bist kein netter Mann. Du bist ein sarkastischer Sadist, der manchmal treudoof schauen kann. Aber ich glaube nett bist du sehr selten", erwiderte ich und suchte dann meinerseits seinen Blick.

„Aber das ist nicht schlimm. Ich mag dich so wie du bist. Und wenn du das Gefühl hast gegen die Wand boxen zu müssen, dann wirst du das eben tun. Hab keine Angst davor, dass ich dich sehen kann."

Zögerlich strich er durch mein Haar und verzog dann leicht gequält das Gesicht.
„Du könntest Serienskripte schreiben, so kitschig wie das ist", versuchte er abzulenken, „Wir werden beide ab jetzt ehrlich sein zueinander. Kein Verstellen mehr. Ist das ein Deal?"

„Das ist ein Deal", erwiderte ich und gab ihm zögerlich einen sanften Kuss, woraufhin er mich wieder so auf sich positionierte, dass er seine Nase an meinem Haar vergraben konnte. Komisch, irgendwie. Aber es war so schön, dass ich nach einer halben Stunde vor dem Fernseher einfach einschlief.

Die Hand in meinem NackenWhere stories live. Discover now