~2~ Willkommen Zuhause

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Die letzten vier Stunden hörte ich meinem Vater in seiner Schwärmerei zu. Er sprach ununterbrochen von seiner neuen Firma, dem neuen Haus, sowie von der Stadt. Ohne jemals dort gewesen zu sein, liebte er es bereits jetzt.

Als ich meine Aufmerksamkeit das erste Mal auf etwas anderes richtete, anstatt auf meinem Vater, bemerkte ich das Ortsschild. Innerlich munterte ich mich mit einem herzlichen Willkommen auf. Und beobachtete aus der Ferne meine neue Umgebung.

Alles hier wirkte viel ländlicher. Kleine Häuser mit Vorgärten, Kühe und Schafe und Grünfläche mit gepflanzten Mais. Soviel wirkte neu für mich, wenn man aus einer bekannten Großstadt kam. Doch eine gewisse Ruhe strahlte dieser Ort bereits aus. Auch eine frischere Luft war sofort bemerkbar, als ich das Fenster öffnete.

Ich konnte es nicht leugnen, doch ich fühlte mich wohl. Selbst als mein Vater in einer der Nebenstraßen abbog. Es war nicht zu übersehen, dass wir in dem wohlhabenden Viertel angekommen waren. Eine Villa zierte die nächste.

Und dies war der Moment, wo mich eine seltsame Angst überkam. Alles überfuhr mich in einem Schlag, so viele Fragen schwirrten in meinem Kopf. Ich wusste nicht, wo ich hier war oder welche Zukunft mich erwartete. Und genau diese Angst, löste meine innere Ruhe auf und verwandelte sich in Unbehagen.

Selbst die immer größer werdenden Villen bereiteten kein gutes Gefühl in mir aus. Es präsentierte wieder nur einmal, wie reich wir waren. Dabei kam Geld für mich nie an erster Stelle. Es war lediglich ein Stück Papier. Mir war der Ruhm meiner Eltern egal, denn es war nichts für mich. Ich genoss mein Leben ohne viel Schnickschnack. Gerne war ich dazu bereit, Menschen oder Tieren damit zu helfen. Doch für uns kam das nie an erster Stelle. Es sollte lieber teure Kleidung und Autos sein.

Während ich über all das Leid der Welt nachdachte, bemerkte ich nicht, wie wir auf eine Auffahrt fuhren und vor einer Villa hielten. Sie war hell und offen erbaut worden. Auf den ersten Blick gefiel sie mir sehr.

Die Front war weiß und bestand aus vielen Fenstern, aber durch die gewisse Reflexion konnte man nicht ins Hausinnere schauen.

Alles an diesem Haus harmonierte perfekt zusammen.

Es waren kleine bunte Blumen am Rand gepflanzt und ein kleiner Beerenstrauch an der Seite.

Ich stieg vollkommen begeistert aus und schaute mich genauer um. Wir wohnten im ruhigeren Teil der Straße und hatten nur ein Nachbarhaus, welches größentechnisch gut mithalten konnte.

"Melissa, komm, lass uns hineingehen", weckte mich mein Vater aus meinen Gedanken. Ich folgte ihm durch die Haustür und kam in einem sehr großen offenen Raum zum Stehen. Wie vermutet war alles in einem hellen Ton eingerichtet.

Die hohen Wände gefielen mir besonders gut, da sie einem, besonders mir, viel Freiraum gaben.

Im vorderen Saal befand sich an der Fensterfront ein riesiger Esstisch, seitlich davon fand sich eine Rundtreppe vor. Ich sah mehrere Türen und ein offenes Fenster zur Küche, welches einem Kiosk aus der Schule glich. Wow.

"Soll ich dir das Haus zeigen?", riss meine Mutter mich aus meinen Gedanken. Ich nickte und lief ihr über die Rundtreppe nach oben hinterher. Dort zeigte sie mir das Büro, wo meine Eltern in Zukunft arbeiten würden. Sowie das Schlafzimmer und das große Bad, welches ihnen gehörte.

„Wie gefällt es dir bisher?",
„sehr gut. Bin etwas überwältigt von allem hier" beantwortete ich ihre Frage.

„Dann warte mal, bis du den Rest unten gesehen hast", schmunzelte meine Mutter. Die Anspannungen zwischen uns, war spürbar. Sie hoffte, dass all das mir gefällt und ich es dadurch leichter akzeptieren könnte.

Meine Mutter führte mich wieder nach unten, wo wir uns zunächst die Küche anschauten.
„Wir haben eine Haushaltshilfe zur Unterstützung von eingestellt. Sie wird sich um das Haus kümmern, für uns Einkaufen und Kochen. Auf der Flurseite kommen noch Barhocker hin, für eine schnellere Bedienung", klärte sie mich auf.

Nach einem kurzen Nicken meinerseits ging sie weiter in den hinteren Teil der Villa. Dort befand sich eine Sauna und ein Ausgang nach Draußen, wo sich ein riesiger Garten mit Pool offenbarte. Alles war so schlicht und luxuriös gestaltet.

Mit einer inneren Ruhe schaute ich mir alles genauer an und ließ es auf mich wirken. Meine Eltern beobachteten mich argwöhnisch, da sie auf eine Reaktion von mir warteten. So als wäre meine Meinung ihnen wichtig, dabei wusste ich es besser.

Im Haus übernahm mein Vater die Führung des Untergeschosses, wo sich ein Wohnzimmer präsentierte, gestaltet wie ein privates Kino.

Am Ende der Führung kamen wir an meinem Zimmer an. Es war ein kleiner Raum, wo ein Schreibtisch und ein Bett seinen Platz fanden. Geschmückt war es in einem leichten Rosa. Beim Umschauen entdeckte ich den Einbauschrank für meine Kleidung. Auf meinem Schreibtisch lag ein nagelneues MacBook mit einer kleinen Karte, herzlichen Glückwunsch zur Aufnahme an der Fachschule.

Selbstverständlich freute ich mich über das Geschenk und aus diesem Grund bedankte ich mich bei meinen Eltern. Kurz kam mir der Gedanke, sie liebevoll zu umarmen, doch war es nicht in ihrem Sinne. Körperkontakt zierte sich nicht für uns.

Meinen Koffer fand ich vor meinem Zimmer vor, nach dem meine Eltern mein Zimmer verlassen hatten. In aller Ruhe begann ich mit meiner Kleidung und sortierte sie mit Sorgfalt ein.
Ordnung ist das A&O, kamen mir die Worte meiner Mutter in den Sinn.
Wir achteten stets auf unser Auftreten, obwohl ich bezweifelte, dass jemand in meinen Kleiderschrank schauen würde.

Allein in meinem Zimmer erlaubte ich mir die Freiheit und sprang auf mein graues Boxspringbett. Und während ich so meine Augen schloss, schaffte ich es zum ersten Mal, mir ein anderes Leben vorstellen zu können.

Beim Einrichten meines Zimmers, fiel mir eine Tür auf, die in das anliegende Badezimmer führte. Auch das Badezimmer war bereits eingerichtet, mit einem Schminktisch und anliegenden Regalen. Dort bietet sich genügend Platz für Parfüm, Badesalz und meine Schminke an. Alles war genau nach meinem Geschmack eingerichtet.

"Gefällt es dir?", erkannte ich die Stimme meiner Mutter. "Ja sehr, ihr habt euch hier wirklich Mühe gegeben"

"Wir möchten, dass du dich wohlfühlst und erwarten, dass du dem Ganzen hier eine Chance gibst!" lächelte meine Mutter scheinheilig.

„Werde ich Mama!", gab ich ihr mein Versprechen. Denn das erste Mal hatte ich das Gefühl, dass meine Eltern sich Mühe für mich gaben.

Bis zum Abendbrot richtete ich mein MacBook ein und bereitete mich etwas für die Fachschule vor. Mein Vater bestellte in der Zwischenzeit bei einem Italiener und wir aßen schweigend zu Abend.

Meine Eltern zogen sich in ihrem Büro zurück, um alles für einen guten Start vorzubereiten. Ich genoss meine Freiheit und legte mich seelenruhig in mein Bett. Dabei startete ich eine neue Netflixserie und schlief bereits nach ein paar spannenden Folgen ein.

Ich verfiel in ein Land der Träume und erbaute mir ein perfektes Leben. Meine Eltern, die mich endlich wahrnahmen, sich Mühe gaben und immer für mich da waren, wenn ich sie brauchte. Außerdem freute ich mich über die tolle Fachschule, ein paar neue Freunde und ein sorgenfreies Leben.

Aber wie ich bereits sagte, alles ein Traum.

„Küss mich, Baby"Where stories live. Discover now