~22~ Träume

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Die Gefühle eines Menschen waren schon etwas Merkwürdiges. Auf einer Seite, hasste man die Person, die einem nur Leid zufügte, kämpfte aber im nächsten Atemzug darum, die Liebe von ihr zu ergattern.

So fühlte sich die Beziehung zwischen mir und meinem Bruder an, der mich die letzten Nächte in meinen Träumen verfolgte. Er suchte mich heim und wollte mit aller Macht, dass ich zu ihm zurückkehrte. Und ich wusste, dass er niemals aufgeben würde, bevor er sein Ziel erreichte. Ich fühlte mich verfolgt. Ahnungslos, ob Felix mich wirklich beobachte oder mein Unterbewusstsein mir Streiche spielte. Dabei spielte es keine Rolle, denn jede Nacht, wachte ich schweißgebadet auf und versuchte krampfhaft Luft in meine Lungenflügel zu lassen. Nur hatten sich diese aus Angst zusammengezogen und wehrten sich gegen jegliche Gefahr, unwissend das es Sauerstoff sei. So wie jetzt.

Meine Hand ruhte auf meiner Brust, in der winzigen Hoffnung, es könnte mich beruhigen. Ich atmete tief mit der Nase ein und ließ die angestaute Luft, mit zusammengepressten Lippen wieder hinaus. Die dadurch längere Ausatmung sollte den Effekt haben, meine Atmung zu kontrollieren und meine Muskeln zu beruhigen. Das Wort Ruhe kreiste in meinem Gedanken bei jeder meiner Ausatmung und zeigte die gewünschte Reaktion. Mein Herzschlag verlangsamte sich, meine Atmung war flacher als vorher und das Blut schoss nicht mehr durch meinen Körper.

Erschöpft, von den Nachwirkungen, kuschelte ich mich an Jonas und versuchte an weitaus positivere Dinge zu denken. Wie selbstverständlich, kam mir der Kinoabend in den Sinn, der schon einige Tage her war.

Gedankenverloren sah ich aus dem Auto hinaus und beobachte die vorbeigehenden Lichter der Stadt. Im Hier und Jetzt war ich sorgenfrei. Einzig und allein zählte für mich, die leise Musik. die aus dem Radio drang, der klassische Herrenduft von Jonas und die Sterne, die den Himmel erleuchteten. In diesem Augenblick lag viel mehr als eine hoffnungslose Liebe in der Luft, es war die Hoffnung auf eine unendliche Liebe. Die einem das Herz immer wieder zum Schlagen brachte; die einen glücklicher, als alles andere auf dieser Welt machte und das Gefühl, wie auf Droge zu sein. Denn so fühlte ich mich hier, neben dem Mann meiner Träume, wie auf einer Droge.

Jeder Kuss, war der Beginn eines Rausches, was zu folge die Euphorie und Erregung hatte. Aus einem simplen Kuss, wurde so viel mehr, es war wie eine Sehnsucht, die man urplötzlich verspürte. Die Klamotten fielen nach und nach, die Berührungen auf der Haut brannten und waren allein durch Schweiß nicht zu löschen. Jedes Gefühl für Raum und Zeit entwich einem, denn einzig und allein zählte, jeder Stoß in meine feuchte Spalte. Es schien einem vollkommen egal zu sein, was andere dachten. Man wollte nur noch den Rausch genießen und unbedacht in einem aufnehmen. Und selbst wenn der kurze Trip abklingt, war man bereit für den nächsten Kick.

Und so war es, als Jonas und ich, es in seinem Auto auf der Rückbank trieben, so als würde es kein Morgen mehr geben.

„Ich liebe dich", hauchte ich in die Dunkelheit und strich eine Strähne aus seinem Gesicht. Friedlich schloss ich meine Augen und gab mich meiner Erschöpfung hin. Ich schlief unweigerlich wieder ein und erwachte erst am nächsten Morgen.

„Guten Morgen, Süße", begrüßte ich meine beste Freundin und nahm sie herzlich in den Arm. Heute, hatten wir eine wichtige Klausur vor uns, weshalb wir nervös in den Prüfungsraum liefen. Jeder suchte seinen gewohnten Platz auf und bereitete ihn auf den Test vor. Nachdem der Lehrer uns die einzelnen Aufgaben gegeben hatte, umgab uns eine Stille, die niemand zu stören wusste. Jeder Schüler in diesem Raum konzentrierte sich auf seine Arbeit, als mich ein ungutes Gefühl umgab. Es war wie eine Vorahnung, dass jeden Augenblick etwas Schlimmes passieren würde. Im Grunde vergaß ich meine Prüfung und starrte auf die Tür, die sich in diesem kurzen Augenblick, als ich wegsah, öffnete. Mein Blick wandte sich sofort in diese Richtung, sodass meine Augen, die meines Vaters trafen.

Vollkommen unerwartet, stand mein Vater hier an meiner Schule, in meinem Klassenraum und sprach verachtend meinen Namen aus. Mit zitternden Beinen erhob ich mich und ging Stufe für Stufe, das Podest hinunter. Ich ahnte nicht, was auf mich zukommen würde, doch gab mir jemand, den gewissen halt. Ermutigend, spürte ich Jonas seine Hand an meiner Taille, die mich sanft zum Ausgang führte. Draußen im Flur kamen wir letztendlich zum stehen und lauschten die Worte meines Vaters.

„Wieso erhalte ich von deinem Bruder einen Anruf, dass du mit einem kriminellen Jungen durchgebrannt bist?", ich glaubte einem Augenblick mich verhört zu haben, doch verspürte ich durch den Blick meines Erzeugers, wie ernst er es meinte.

„Ich bin nicht durchgebrannt!", erwiderte ich auf seine falsche Annahme und war gerade dazu bereit, mich mit einer Lüge zu erklären, als Jonas mir zuvorkam.

„Sir, wissen sie ...-„ weiter kam er nicht, da unterbrach jemand unser Gespräch und auch die Nähe zu meinem einzigen Halt. Es war Felix, der sich zwischen mich und Jonas drängte und mich liebevoll begrüßte.

„Das ist er, Vater!", sein Kopf neigte sich in die Richtung meines Freundes, während Felix mich weiterhin versuchte abzuschirmen.

„Also gut junger Mann. Ich bitte sie nur einmal, sich von meiner Tochter fernzuhalten. Immerhin sind sie kein guter Umgang und ich weiß mehr über ihre Vergangenheit, als es ihnen für lieb erscheint.", es war offensichtlich eine Drohung, nur machte es mir mein Bruder unmöglich, ihn zu verteidigen. Seine Hand lag mit einer unbändigen Kraft auf meinem Mund, welche mir das Sprechen verbat.

„Ich lasse mich nicht erpressen", wehrte sich Jonas gegen die respektlose Aussage.

„Wenn das so ist, haben sie sicherlich nichts dagegen, wenn diese Stadt von der Vergewaltigung erfährt?", und plötzlich geschah alles so unglaublich schnell. Jonas spannte seinen gesamten Körper an, sein Blick entwich dem meines Vaters und von diesem Moment an wusste ich, er hatte ihn in der Hand. Ich stieß mit voller Wucht den Arm meines Bruders weg und befreite somit mich und meinen Mund. In schnellen Schritten ging ich auf Jonas zu, wurde aber mit starken Armen gepackt und zurückgezogen. Es schien, als müsste ich einer Folterung zuschauen, während ich wehrlos war.

„Ich gebe ihnen die letzte Chance, ihr Geheimnis zu wahren und die Möglichkeit über eine schöne Summe Geld. Stimmen Sie zu?", mein Vater hielt ihm seine Hand hin und es verstrichen Sekunden, in der ich hoffte, Jonas würde mich ansehen. Mein Flehen sehen können, dieses Angebot auszuschlagen und uns aus dieser aussichtslosen Situation zu retten. Doch offensichtlich fixierte er die Hand meines Vaters und zuckte einen kurzen Moment zusammen. Seine Hände bildeten sich zu Fäusten, mit den er ausholte und versuchte meinen gefühllosen Erzeuger zu erwischen. Dieser war allerdings, schnell genug und konnte den Schlag ausweichen.

„Ficken sie sich und ihr Angebot", Jonas kam auf mich zu und schubste Felix in einer Leichtigkeit von mir. Seine Hand umfasste meine und zusammen stürmten wir aus dem Schulgebäude hinaus. Ich wusste, dass hier war nur erst der Anfang vom Ende.

Noch immer in einem schnellen Tempo und völlig aus der Puste, wollte ich wissen, wohin wir rannten.

„Irgendwohin, wo wir frei sein können", antwortete mir der Junge, der trotz aller Gefahr sich soeben für mich entschieden hatte.

Ich schwor mir, ihn bis ans Ende diese Welt zu folgen und sogar darüber hinaus.

Letzten Endes kamen wir vor dem Meer das erste Mal zum Stehen. Unsere Blicke galten der weiten Ferne und die damit verbundene Freiheit.
Ich verspürte den Drang, das Wasser und den hellen Sand unter meinen Füßen spüren zu wollen und zog eilig meine Schuhe aus.
Ich löste mich von Jonas, seiner Hand und rannte gnadenlos auf das eiskalte Wasser zu. Mit ausgestreckten Armen drehte ich mich mehrfach im Kreis und vernahm den leichten Wind, der mich umgab.

So fühlte sich Freiheit an.

Energisch umschlossen mich wohlgenährte Arme und wirbelten mich herum. Meine Füße berührten den Boden nicht mehr und unsere Körper schmiegten sich aneinander.

Schwungvoll drehte sich Jonas mit mir im Kreis und erwiderte mein befreites Lachen. Erst als er mich auf dem Boden zurück absetzte, offenbarten mir seine Augen die Liebe zu mir.

„Lass uns nach Hause gehen", bat ich ihm, was ihm ein Lächeln entlocken ließ.

„Zuhause", wiederholte er meine Worte und presste seine Lippen auf meine.

Und eins wünschte ich mir mehr denn je;
Dass dies mehr als nur ein Traum sei, stattdessen die Wirklichkeit!

„Küss mich, Baby"Where stories live. Discover now