~19~ Herz oder Verstand?

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Auch wenn alles stockdunkel wirkte, erkannte ich das Licht, welches aus meinem Zimmer schien. Die unbändige Wut wollte hinaus aus mir. Ich stürmte auf meine Zimmertür zu und drückte mit voller Kraft die Türklinke hinunter, weshalb die Tür aufflog. Der Anblick, der sich mir bot, schockierte mich.

Mein Bruder beugte sich gerade zu meiner Freundin vor, um mit großer Wahrscheinlichkeit sie zu küssen. Der Aufprall meiner Zimmertür gegen die Wand unterbrach ihn von seinem Vorhaben. Felix wandte seinen Blick von Sarah und sah nun direkt zu mir herüber. Wenn Blicke hätten töten können, wäre ich in diesem Augenblick gestorben, soviel war sicher. Seine Wut traf mich unerwartet, weswegen ich zurück schwankte. Ich hätte rennen sollen, als Felix aufstand und sich seinen Weg zu mir bahnte. Nur stand ich wie angewurzelt plötzlich da und bewegte mich keinen Millimeter mehr. Somit hatte er die Möglichkeit meinen Arm zu umfassen und mich mit einer Wucht hinaus in den Flur zu befördern. Ich stolperte über meine eigenen Füße und stürzte zu Boden.

Schlagartig war ich meinen Bruder ausgesetzt, als er in meine Haare griff und mich an diesen wieder in den Stand beförderte. Tränen bahnten sich ihren Weg hervor und wollten meine Augen verlassen. Allerdings hielt ich mich zurück und wappnete mich innerlich für das, was jetzt kommen würde. Die Ohrfeige, die Felix mir erteilte, traf mich aus heiterem Himmel. Ängstlich schützte ich mich, indem ich meine Arme, um meinen Kopf legte.

„Ich war so kurz davor...", Felix drängte mich gegen die Wand und umzingelte mich mit seinen Armen. Vollkommen regungslos stand ich, mit dem Rücken zur Wand und achtete genausten auf Bewegungen.

„Warum musst du eigentlich immer stören?", die Verachtung seinerseits, war nicht zu überhören. Ich zuckte eingeschüchtert mit den Schultern und lockerte mein Schutzschild von meinen Kopf, bis ich die Arme ganz fallen ließ. Mein Blick traf direkt den meines Bruders, der nicht mehr ganz so aggressiv wirkte.

„Ich weiß nicht mehr, was ich mit dir anstellen soll. Du kannst einfach gar nichts."

„Es tut ...", begann ich, bis er mich unterbrach.

„Spar dir deine Entschuldigung", seine Hand legte sich sachte auf meiner Wange ab und mit dem Daumen strich er sanft über den roten Handabdruck.
„Ich wüsste wohl, für was du gut genug bist, Schlampe", mir entwich meine gesamte Kraft in einem Augenblick. Ich schaffte es nicht mehr, mich zu wehren und ließ deshalb seine Berührungen zu.

Zunächst glitt seine Hand in qualvoller Langsamkeit hinunter in meinen Nacken und schließlich zu meinen dünnen Spaghettiträgern. Mit dem Finger fuhr er den Träger entlang und strich ihn von meiner Schulter. Es folgte ein Kuss an meinem Schlüsselbein, bis seine Hand meinen Hals umfasste und er zudrückte. Felix nahm mir die Luft zum Atmen, weshalb ich mehrmals nach Sauerstoff schnappte. Vor meinen Augen spielten die Sterne und ich kämpfte gegen die Ohnmacht an.

Allmählich wurde mir schwarz vor den Augen, sodass ich den inneren Kampf aufgab und sie schloss. Selbst als ich spürte, wie seine Hand um meinen Hals sich lockerte, war meine Atmung schwerfällig. Benommen von der Situation sackte ich die kalte Wand hinunter und fasste mich an der Brust. Mit der Zeit öffnete ich meine Augen und glaubte kaum, was sich vor mir abspielte. Jonas hatte seine Hände zu Fäusten geballt und war gerade dabei auszuholen. Er traf meinen Bruder mit einer Wucht, die er hat unmöglich kommen sehen. Blut tropfte auf dem Boden, als mein Freund erneut ausholte und fest zu schlug. Er gewann einige Sekunden, die er dazu nutzte, um auf mich zu gestürmt zu kommen und mich mit seinen starken Armen in den Stand zurückbeförderte. Jonas umgriff meine Hand und wollte gerade in Richtung Haustür, als Felix sich zwischen uns drängte und mich von ihm wegschob. Ich verlor mein Gleichgewicht und stürzte erneut zu Boden.

Kurzerhand änderte sich die ganze Situation, denn nun war Felix, der seine Faust erhob und Jonas traf. Die beiden stürzten aufeinander zu und schlugen sich gegenseitig mehrfach. Ohne lange zu überlegen, stand ich auf und rannte zu den beiden herüber. Ich griff nach Felix, seinen Schultern und wollte ihn von meinem Freund wegziehen, doch traf mich sein Ellbogen. Ein schmerzhaftes Stechen machte sich in meiner Rippengegend bemerkbar, nur blendete ich die Verletzung aus. Jonas bemerkte mein verzogenes Gesicht und löste sich von unserem Feind. Er kam schnellen Schrittes auf mich zu und gab mir einen sanften Kuss auf die Schläfe. Unmittelbar danach, stand ich hinter ihm und hatte seinen Rücken als Aussicht. Er war zu meinem Schutzschild geworden.

„Du verpisst dich jetzt", Felix zeigte mit dem Finger auf Jonas und kam wenige bedrohliche Schritte auf uns zu. Doch schüttelte dieser uninteressiert den Kopf.

„Lass die Finger von meiner Schwester! Sie ist nicht gut genug für dich, sieh sie dir mal an!", seine Worte trafen mich mitten ins Herz, obwohl ich wusste wie er über mich dachte.

„Woher willst du wissen, was gut genug für mich ist?", Jonas sprach mit einer Ruhe, die sich auf mich übertrug, denn während mein Herz meine Brust beinahe verließ, war sein Herzschlag kaum spürbar.

„Sie ist Abschaum und nichts weiter!"

Entschlossen darüber, von hier zu verschwinden, ergriff Jonas meine Hand und versuchte erneut, den Ausgang zu erreichen. Es war die Stimme meines geliebten Bruders, die mich stehen ließ und einzig und allein Panik auslöste.

„Melissa, wenn du jetzt gehst, werde ich euch das Leben zur Hölle machen und ganz besonders dir!"

Mich traf nicht die Angst darum, was mir geschehen könnte, denn ich würde das womöglich überleben. Es war die Befürchtung, dass eine andere Person meinetwegen zu leiden hätte. Und wenn ich diese Gesamtsituation hier betrachte, musste ich ehrlich zu mir sein und mir eingestehen, dass ich zu viele Opfer bringen würde. Sarah und Jonas waren bereits viel zu sehr mit hineingezogen und das nur wegen mir. Ich bedeutete Unheil in großem Ausmaß.

Jonas kannte mich zu gut und wusste, dass ich einknicken würde. Seine Hände legten sich behutsam in meinem Gesicht ab, während seine Augen mich intensiv musterten.

„Du musst nicht bleiben", begann er in einer Ruhe, die ich zuvor noch nie bei ihm bemerkt hatte.
„Du kannst mit mir kommen. Ich werde dich beschützen und wir beide werden dies hier zusammen durchstehen".

„Ich kann nicht"
„Es ist schon Zu viel passiert und ich will nicht, dass euch etwas zustößt", mein Herz schmerzte zu sehr, als dass ich hätte meine Tränen weiterhin aufhalten können.

„Baby", seine weichen Lippen berührten meine. Er wollte mich spüren lassen, zu wem ich gehörte. Doch war meinem Herz sich dieser Situation schon Vollkommens bewusst, es war mein Verstand, der sich wehrte.

Ich allein hatte nun die Wahl!
Herz oder Verstand?

„Küss mich, Baby"Where stories live. Discover now