35 - Inquisition à la Eleanor

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Ungeduldig wippte ich von den Fersen auf die Zehenspitzen und wieder zurück. Els Flug müsste längst da sein. Hatte sie sich verirrt?
„JAAANEEE!", schrie es in diesem Moment und kaum hatte ich mich halb umgedreht, krachte El mit voller Wucht gegen mich. Ich schrie auf, versuchte ihre stürmische Umarmung zu erwidern und sah dabei nur lauter blonde Locken.
Wir torkelten, schafften es aber irgendwie nicht auf dem Boden zu landen. „Ich hab dich so vermisst!", sagte ich gleichzeitig zu ihrem „Du hast mir gefehlt!" Ich drückte El noch ein bisschen fester, bevor ich mich von ihr löste.
„Wie war dein Flug?", fragte ich, während El ihren Koffer vom Boden aufsammelte. Ich nahm ihr eine Reisetasche ab und wir bewegten uns auf den Ausgang zu. Eleanor hängte sich bei mir ein. „Es war ganz angenehm in der ersten Klasse", antwortete sie mir und ihr Tonfall war alles andere als begeistert. „Dad hat sich wieder versucht bei mir einzukaufen", fügte sie, auf meinen fragenden Blick hinzu. Daher wehte der Wind.
Das gestörte Verhältnis zu ihren Eltern war mir schon immer befremdlich vorgekommen. Aber El hatte mir erklärt, dass es wohl vielen in den gehoberen Kreisen so ginge und es ihren Bruder wohl, noch viel schlimmer treffen würde. Automatisch musste ich an Josh denken und dessen schlechtes Verhältnis zu seinem Vater. Rasch stoppte ich den Gedankengang und widmete mich wieder El. „Was ist jetzt eigentlich aus deinem Lover-Boy geworden?", fragte ich stattdessen, das Gespräch in eine ganz andere Richtung leitend.
Während wir im Parkhaus nach dem Auto suchten, erzählte mir El von dem Typen welchen sie in New York in einer Bar kennengelernt hatte. Das Letzte, was ich über ihn gehört hatte war, dass er sich wohl nicht mehr gemeldet hatte. Anscheinend war das so geblieben.
„Es ist schön wieder zu Hause zu sein!", freute sich El, als wir durch die Tür traten. Ich hatte ihre Wohnung auf Vordermann gebracht, nochmal ordentlich geputzt und aufgeräumt. „Janie es glänzt ja regelrecht hier drin!", kommentierte meine beste Freundin und sah mich begeistert an. El hasste es zu putzen, das wusste ich. Ich zuckte die Schultern. „Ich dachte mir, ich übernehme deine ungeliebte Arbeit." El strahlte. „Du bist die Beste!"
Ich half ihr beim Auspacken und kochte uns etwas, während El ihre Wäsche machte. Während wir Spaghetti mit Tomatensauce aßen, erzählte mir El weitere Geschichten aus New York. Obwohl ich viele schon einmal gehört hatte, ließ ich sie einige noch einmal erzählen. Mein Ablenkungsmanöver funktionierte aber nur bedingt.
„So jetzt aber genug von mir. Erzähl mal wie es dir geht Janie", sagte Eleanor, kaum hatte sie den letzten Bissen genommen. Sie sah mich bedeutungsvoll an. Genau davor hatte ich mich gefürchtet. Inquisition à la Eleanor. Meine beste Freundin hatte schon immer das Talent direkt durch mich hindurch zu sehen und meine tiefsten Geheimnisse ans Tageslicht zu zerren.
Seufzend legte ich meine Gabel ab. „Es geht mir gut", sagte ich, so wie ich es auch all meinen anderen Freunden und meinen Eltern erzählte. Meine beste Freundin lehnte sich mit verschränkten Armen nach vorne und zog die Augenbrauen hoch. „Blödsinn", erwiderte sie schlicht. „Was willst du hören El?", gab ich zurück, obwohl ich ganz genau wusste, welches Gespräch wir gerade führten.
„Die Wahrheit. Wie geht es dir?" Ich sah meine beste Freundin an. Dachte ernsthaft über die Frage nach, die sie mir stellte. Jedes noch so kleine Gefühl, welches ich in den letzten Wochen unterdrückt und unter dem Schleier der Taubheit begraben hatte, regte sich. Wie schaffte El das nur immer.

„Wie soll es mir schon gehen", antwortete ich dann und wandte den Blick von ihr ab. „Ich bin eine vertragliche Beziehung eingegangen, obwohl jeder weiß, dass es eine dumme Idee ist. Dann habe ich mich verliebt und wurde sitzengelassen, schon wieder. Diesmal weil seine Ex schwanger ist und ich kann nicht mal wirklich sauer sein, weil ich verstehe, warum er das macht." Meine Stimme wurde immer lauter. Brach, als ich mit den letzten Worten meine Freundin wieder ansehe. Els Blick ist ruhig, verstehend und tröstend, alles auf einmal. „Das schlimmste ist, trotz allem vermisse ich ihn, auch wenn ich das nicht will", füge ich hinzu. Als ich es ausspreche, merke ich wie etwas in mir hochblubbert.
Plötzlich sind sie da, die Tränen, welche ich so lange aufgestaut hatte. Tränen welche ich mir verboten hatte zu weinen. El legte die Arme um mich und zog mich an sich. „Lass er raus, das ist schon lange nötig", sagte sie, mir beruhigend über den Kopf streichend. Und ich befolge ihren Rat Lasse den ganzen Schmerz, welchen ich seit Wochen mit mir herumtrage hochkochen und überlaufen. Sie hatte recht, es war bitter nötig.

Als ich am nächsten Morgen ins Auto stieg, erhaschte ich aus dem Augenwinkel, einen Blick auf eine mir bekannte Person. Im Auto sitzend, sah ich genauer hin. Blonde Haare, etwas fester. War das nicht Jessica? Die Frau welche Josh verfolgte? Sie stand auf dem Bürgersteig, gegenüber von Els Wohnung und beobachtete mich. Ich runzelte die Stirn. Warum sollte sie das tun? Ich schnallte mich an und sah nochmals hin. Die blonde Frau war weitergegangen. Ich schüttelte den Kopf. Vermutlich hatte ich mich geirrt. Warum sollte sie mich auch verfolgen? Dazu hatte sie keinen Grund.

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