20 - Ich, im Hochglanzformat

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Ich schlief wie ein Stein und als ich am nächsten Morgen aufstand war er bereits verschwunden. Er hatte mir eine Nachricht geschickt in der er mir schrieb ich solle mich am Kühlschrank bedienen und danach Quentin beten mich nach Hause zu fahren. Dazu hatte er mir dessen Nummer geschickt.
Das Kleid war verschwunden und auf dem Tisch hatten stattdessen meine eigenen Kleider in einer Tasche gestanden. Statt mich am Kühlschrank zu bedienen wechselte ich die Kleidung und ließ mich nach Hause fahren. Da ich wusste dass ich mein Lieblingsmüsli definitiv aufgebraucht hatte ließ ich Quentin mich etwas vorher aussteigen lassen und bedankte mich bei ihm. Er wünschte mir höfflich einen schönen Sonntag und verschwand.
Ein paar Passanten beobachteten mich, gingen aber dann zu der typisch englischen Art zurück sich um ihren eigenen Kram zu kümmern.

Zum Glück war der nächste Supermarkt gleich um die Ecke. Es war zwar ein kleiner Laden, hatte aber alles was man sich wünschen konnte. Ich kaufte mein Müsli, fischte unterwegs nach einem Joghurt, erinnerte mich an die Mayonnaise die ich am Freitag leer gemacht hatte und dasie mich anlachte griff ich auch nach einer Tüte Chips.
Die Kassiererin war etwa im Alter meiner Mutter und sah mich mehr als desinteressiert an als ich die Dinge zu ihr balancierte. „Guten Tag", grüßte ich höfflich, erhielt jedoch keine Antwort. Ich kramte nach meinem Geldbeutel und blickte erst einige Sekunden später auf als das vertraute Piepen ausblieb. Die Kassiererin machte auch keine Anstalten meine Wahre zu scannen. Sie musterte mich plötzlich unverhohlen und ganz ohne Desinteresse. Ihre Augen wanderten immer wieder zum Zeitungsständer neben ihr. Was war denn jetzt los? Ich runzelte die Stirn und folgte ihrem Blick.
Mein Magen machte einen kleinen Salto. Ganz vorne war THE SUN, das Klatschmagazin schlechthin ausgestellt. Und auf ihrem Titelbild war in bester Auflösung Joshs Gesicht abgedruckt - Direkt neben meinem eigenen.
Ich blinzelte.
Das war vollkommen verrückt. Lächelte ich mir gerade von einem Hochglanzmagazin selbst entgegen? Das Bild war definitiv gestern entstanden. Ohne jeden Zweifel. Der Verweis: Mit Kussfoto auf Seite 3, sagte mir alles was ich wissen musste.
Mein Blick wanderte zu der Verkäuferin zurück. Diese starrte mich noch immer an als wäre ich ein Geist. Ich schenkte ihr ein Lächeln und hoffte dass sie bald fertig war damit mein Zeug einzuscannen mit dem sie nun doch begonnen hatte. Ich widerstand dem Drang das Heft auch noch mit zu kaufen und bezahlte. Die Kassiererin sagte die ganze Zeit über kein Wort und sah mich immer nur hin und wieder mit grossen Augen an. 
Überflüssig zu erwähnen dass ich wirklich froh war aus dem Laden zu kommen. Während ich nach Hause ging öffnete ich meine Suchmaschine auf dem Handy und suchte nach dem ersten Schlagwort das mir dazu einfiel.

Josh Arthur Banks freundin.

Sofort erschienen unzählige Resultate aller möglichen Verflossenen. Doch ganz oben ploppte direkt der Artikel der SUN auf. Nervös klickte ich auf den Link und konnte kaum warten bis die Seite geladen hatte. Den Artikel überflog ich nur. Es wurde unsere Geschichte kurz beleuchtet und ein wenig erzählt was wir dort überhaupt gemacht hatten.
Das wusste ich, ich war schließlich dabei. Ich scrollte bis zur Bildgalerie. Das erste Foto zeigte Josh und mich wie wir für die Fotografen am Eingang posierten. Das zweite wie ich zu ihm hochlächelte. Hätte ich es nicht besser gewusst hätte ich auch gedacht ich sei schwer verliebt. Rasch tippte ich mich weiter durch und fand endlich wonach ich gesucht hatte. Von dem ich nie erwartet hätte es jemals in einem Zeitungsartikel zu finden. Gestochen scharf, mit der besten Beleuchtung und aus nächster Nähe.
Mein erster Kuss mit Josh Arthur Banks.
Ich musste dringend mit meinen Eltern reden. Sie sollten so etwas nicht aus dem Netz erfahren.

„Du willst mir also sagen du bist wirklich mit diesem Steinreichen Banks zusammen?", fragte meine Mutter erneut ungläubig. Ich hatte ihnen, kaum hatte ich die Wohnung betreten, die ganze Lügenstory aufgetischt die Josh und ich uns ausgedacht hatten.
„Das hat sie doch gerade gesagt Grace", fiel ihr Dad ins Wort. Er sah ebenfalls nur mäßig begeistert aus. „Ich denke es ist ein wenig früh Janie denkst du nicht?", fragte Mom und ich wusste worauf sie anspielte.
„Es ging alles ziemlich schnell", gestand ich ein und fühlte mich hundsmiserabel dabei meine Eltern anzulügen. „Ich wollte nur nicht dass ihr es aus den Medien erfahren müsst", sagte ich um vom Thema wegzukommen. „Ach Janie Schätzchen dafür ist es ein wenig spät", antwortete Mom und sah sich nach etwas um. Sie griff nach ihrem Handy. „Ich hab von Clara schon die tollsten Berichte gekriegt." Sie suchte etwas und hielt mir den kleinen Bildschirm unter die Nase. Darauf war der Bericht der SUN geöffnet mit der ganzen Bildergalerie von Josh und mir. Ich seufzte und rieb mir über die Augen.
„Tut mir Leid", sagte ich und sah meine Eltern an. „Das ist total peinlich", stöhnte ich und legte den Kopf auf den Tisch. Mom fuhr mir mit den Fingern durchs Haar so wie sie es schon immer getan hatte. Seit klein auf, wenn ich Sorgen hatte oder mich etwas beschäftigte, hatte ich den Kopf auf den Tisch gelegt und Mom war mir durch die Haare gestrichen. „Ist der Kopf wieder schwer Janie?"- Hatte sie immer gesagt.
„Ist nur halb so wild Kleines", sagte Mom jetzt und kraulte meine Kopfhaut. Ich schloss die Augen. „Hmh", machte ich. „Er behandelt dich aber gut?", fragte Dad und ich nickte ohne Umschweife während ich den Kopf anhob. Josh behandelte mich gut, es blieb ihm kaum etwas anderes übrig. „Und du bist auch wirklich glücklich so?", fragte er weiter und ich nickte wieder. „Ja Dad, bin ich." Auch das war soweit nicht gelogen. Er sah immer noch misstrauisch aus. Ich legte all meine Überzeugungskraft in meinen Blick biss er nickte.
„Na schön aber nochmal mache ich das nicht mit", sagte er und ich wusste dass er auf meinen Zusammenbruch im Hausflur anspielte als ich mich von Tom getrennt und die Polizei mich begleitet hatte.
Da konnte ich ihn beruhigen, das zu wiederholen hatte ich auch keine Lust. Das Gute war das ihm das bei Josh nicht blühen würde. „Keine Sorge Dad, ich auch nicht." Er nickte. „Das ist gut so Janie."
Damit war das Thema für ihn gegessen und ich legte den Kopf wieder zurück auf den Tisch. Mom begann wieder damit über meinen Kopf zu streichen und ich wusste dass ich ihr noch eine Menge Fragen beantworten musste wenn wir alleine waren. Mom ließ sich nicht so einfach abspeisen wie Dad.
Wir verweilten ein wenig so bis mir plötzlich etwas einfiel. Ich hob den Kopf und sah die beiden an. „Übrigens Mom, Dad ich darf in Els Wohnung ziehen solange sie weg ist." Dad sah von seiner Zeitung auf, Mom von ihrem Telefon. „Ach hat sie die Stelle bekommen?", freute sich Mom und ich bestätigte das. „Toll ich muss ihr unbedingt Gratulieren!" Meine Mutter hatte El die letzten Jahre ein wenig adoptiert als sie hörte dass diese ganz alleine in London unterwegs war und kaum je Besuch von ihren Eltern bekam. „Und wie lange ist sie weg?", fragte Mom und sah mich über den Rand ihrer Lesebrille an. „Ungefähr ein halbes Jahr." Mom nickte. „Das ist nett von ihr dass du da einfach wohnen darfst." Ich nickte. „Sie wollte die Wohnung nicht aufgeben nur weil sie weggeht." Nun nickte Mom verstehend.
„Denk daran dass du trotzdem für die Rennen herkommen musst", meinte Dad. Ich lachte. „Natürlich. Die würde ich um keinen Preis verpassen." Ich lächelte Dad an und er erwiderte dies. Meine Eltern waren es sich bereits gewohnt dass ich weniger Zuhause wohnte als anderswo. Bis vor kurzem bei Tom und nun eben bei El. Aber wir wussten alle dass ich nicht die ganze Zeit über dort sein würde. Dazu war ich viel zu gern bei meinen Eltern.

*

Die folgende Woche war der absolute Horror. Denn natürlich hatten ausnahmslos alle den Zeitungsartikel gesehen. Trey überfiel mich am Montag um kurz vor acht Uhr und auch Michele wollte Bescheid wissen was ich am Wochenende getrieben hatte. El hatte mich gegen Mittag angerufen und ihr hatte ich bereits jedes Detail schildern müssen. Selbst Hannah wollte ein, zwei Infos mehr als sie mich in der Kaffeepause erwischte.
Ich erzählte allen dasselbe und versuchte mich auf meine Arbeit zu konzentrieren was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Mitarbeiter, mit denen ich nie etwas zu tun hatte warfen mir immer öfter Blicke zu und ich fühlte mich konstant beobachtet. Mr. Lee hatte extraschlechte Laune und jagte mich von einer Aufgabe zur Nächsten. Ab Mittwoch wusste ich nicht mehr wo mir der Kopf stand und von Josh hörte ich auch kaum etwas. Nur eine SMS ob ich gut nach Hause gekommen war, sonst nichts. 

Am Freitag malte ich innerlich drei Kreuze an die Decke und war froh dass sie Woche vorbei war. Am Abend kam El zum Essen um sich von meinen Eltern zu verabschieden. Wir verbrachten die letzte Nacht zusammen in ihrer Wohnung, tranken Wein, redeten bis spät und genossen ein letztes Mal die Gesellschaft des anderen.

Am Samstag war es dann soweit. Ich hatte mir Dads Auto ausgeborgt und fuhr mit ihr zum Flughafen da ihre Eltern mal wieder keine Zeit hatten. „Ich bin so aufgeregt!", freute sich El und hopste auf dem Beifahrersitz auf und ab. Ich grinste. Sie war ein unglaubliches Energiebündel. „Ach ich werde dich vermissen El", sagte ich und sah sie an da wir gerade an einem Rotlicht hielten. „Ich dich doch auch!", sagte sie und lehnte kurz den Kopf an meine Schulter. Ich erwiderte die Geste indem ich meinen Kopf auf ihren legte. Ich würde sie wirklich schwer vermissen.

Am Flughafen herrschte reges Treiben so wie eigentlich immer und es dauerte eine Ewigkeit bis wir es geschafft hatten Els Koffer abzugeben. Dann war es auch schon Zeit für den Abschied. Ich schlang die Arme um meine beste Freundin und drückte sie etwas fester als normal. El erwiderte die Geste und uns war klar dass wir beide gleich heulen würden.
„Was mache ich nur ohne dich?", fragte ich in Els blonde Mähne. „Das frage ich mich auch", sagte sie. „Du bist ohne mich schon immer gut klargekommen", widersprach ich und lehnte mich zurück um meine beste Freundin anzusehen. Diese Grinste mit einem schwachen Tränenfilm über die Augen. „Nein ich frage mich was du ohne mich machst. Kommst du überhaupt klar?" Sie lachte auf und ich kniff sie kurz in den Oberarm. „Du bist doof", sagte ich und lachte mit ihr bevor ich sie noch einmal fest an mich zog. El erwiderte die Umarmung genauso fest. „Wir Skypen jeden Sonntag und machen Brunch ja?", murmelte El an meiner Schulter da sie beinahe einen Kopf kleiner war als ich. Ich nickte. „Natürlich." Wir drückten uns noch einmal. So fest das ich mir beinahe eine Rippe quetschte. Aber es war mir egal. „Lass dich nicht überfahren", sagte ich bevor ich sie los lies und spielte auf den Rechtsverkehr in Amerika an. El war sowieso ein Mensch der viel zu unaufmerksam über Straßen ging. „Das sagt die Richtige", konterte sie und spielte dabei auf meine Begegnung mit Josh an. Diesen Teil hatte ich ihr erzählt, noch bevor das ganze Spiel angefangen hatte.
"Pass trotzdem auf dich auch", mahnte ich sie. "Mach ich." Sie grinste und auch in ihren Augen schimmerten Tränen. „Guten Flug." Sie nickte und sammelte ihre Tasche vom Boden auf.
„Dann bis in einem halben Jahr", sagte sie. Ich nickte und blinzelte ein wenig Tränenwasser weg. „Bis in einem halben Jahr." Sie hob halbherzig die Hand und ging Rückwärts zur Ticketschleuse. Wir hörten erst mit dem Winken auf als sie hinter der nächsten Ecke verschwand. Jetzt kämpfte ich wirklich mit den Tränen. Was machte ich nur ein halbes Jahr lang ohne meine beste Freundin? 

Nachdem ich meinen Eltern das Auto zurückgebracht hatte, war ich in mein neues Reich gefahren. Els Wohnung hatte ich schon immer sehr gern gemocht. Sie war mitten in Islington lokalisiert, nur eine einzige Haltestelle von meinem Arbeitsort entfernt und wunderschön. Das alte Haus hatte hohe Decken was die ohnehin schon großen Räume noch grösser erscheinen ließ. Gleich neben dem Eingang befand sich das Badezimmer welches, wie die Küche, ultramodern war und über einen eigene Waschmaschine und Trockner verfügte.
Dem Bad gegenüber war das Wohnzimmer in welchem man hätte Räder schlagen können. Dieses ging nahtlos in die Küche über und wurde nur von einem großen, hölzernen Esstisch unterteilt. Das Schlafzimmer befand sich am Ende des Flurs. Ich bugsierte meine Koffer in mein neues Schlafzimmer, versorgte meine Kleider in Els fast leeren Schrank und stattete das Bett mit meinem Bettzeug aus.
Danach inspizierte ich den Kühlschrank der, wie so oft, bis auf Mayonnaise, Toast im Gefrierfach und Schokolade leer war. Natürlich, El bestellte sich ihr Essen immer. In den Schränken fand ich zusätzlich nur eine abgelaufene Tomatensauce und eine ungeöffnete Packung Haferflocken. Die Tomatensauce roch in Ordnung und ließ sich essen.
Da ich aber keine Lust hatte Haferflocken mit Tomatensauce zu essen musste ich wohl oder übel einkaufen. Hoffentlich waren die Verkäuferinnen in diesem Teil der Stadt etwas freundlicher. 

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