36 - Flucht zur Besserung

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Der Alkohol erschwerte es mir zwar, die Puzzleteile zusammenzusetzen, machte es jedoch nicht unmöglich. Die Worte meines Vaters kamen mir wieder in den Sinn. Dann wird er verarscht – wurde er das wirklich? Wurde Josh wirklich an der Nase herumgeführt? Mit so einem dicken Bauch, bei der Figur merkt man das nicht erst im letzten Trimester – schossen mir die Worte meiner Mutter durch den Kopf.
Ich sah mir die Bilder noch einmal an. Ein Funke voller Hoffnung entzündete sich in mir. Hob meine Stimmung an und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer.
„Hat Josh die gesehen?", fragte ich Jessica, die Bilder hochhaltend. Ein verächtliches Schnauben war die Antwort. „Natürlich nicht, er hat mich keinen Meter an sich herangelassen", antwortete sie mir. Hatte Josh sie missverstanden? War sie am Ende keine Stalkerin, so wie vermutet worden war. „Glaube ja nicht, dass ich das hier tue, weil ich denke, dass du besser zu ihm passen würdest als ich", unterbrach Jessica meinen Gedankengang und löschte damit jeden netten Gedanken welchen ich gerade über sie gehabt hatte aus. „Ich will einfach, dass diese Schlampe verschwindet, sie macht meinen Josh traurig." Jessicas Stimme war zwar etwas angsteinflößend, aber ich konnte so weit mit dem Inhalt ihrer Worte übereinstimmen, irgendwie.
„Danke, Jessica", sagte ich spontan und schenkte ihr mutig, ein kleines Lächeln. „Verwende sie gut!", grunzte sie mich an. Mit Schwung drehte sie sich um, riss die Tür auf und verschwand. Ich atmete erleichtert aus. Mir war gar nicht aufgefallen wie flach ich die ganze Zeit über geatmet hatte.

Unbeholfen starrte ich auf die Fotos in meiner Hand. Zu dem kleinen Funken Hoffnung gesellte sich nun noch etwas anderes. Ein Gefühl welches alles überschattete: Unsicherheit
Was machte ich denn jetzt mit den Bildern? Verwende sie gut – hatte Jessica gesagt. Aber wie sollte ich das anstellen? Ich konnte doch nicht einfach zu Josh fahren und ihm die Bilder unter die Nase halten. Oder doch? Würde er mir überhaupt glauben? Ich wusste nur, dass ich Josh die Bilder unbedingt zukommen lassen musste.
Meine Blase meldete sich wieder und ich verstaute die Fotos vorsichtig in meiner Tasche. Die Schlange vor der Toilette war nun noch länger und ich stellte mich seufzend wieder an. Den Kopf voller verschiedenen Szenarien, doch keines davon sah mir wirklich nach einer Lösung aus. Gedankenverloren drückte ich auf meinem Handy herum. Eine Benachrichtigung machte mich stutzig.

00:12| 4 verpasste Anrufe von Josh

Ich klickte sie an und sah, dass Josh versucht hatte mich in den letzten Minuten zu erreichen, anscheinend dringend. Stirnrunzelnd wählte ich seine Nummer.
Als mein Finger über dem Hörer schwebte, stoppte ich. Was sollte ich denn zu ihm sagen? Diese Fotos, das musste ich erst einmal überdenken – nüchtern. Das war keine Angelegenheit die ich überstürzt und alkoholisiert regeln sollte. Auch wenn ich am liebsten sofort zu ihm gerannt wäre, so wie es die Hoffnung in meinem Herzen wollte. Aber das war keine gute Idee. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es so einfach nicht werden würde.

„Wo warst du denn so lange?", fragte Trey und legte den Arm um mich, kaum trat ich wieder an ihn heran. Michele war verschwunden. „Ich-", fing ich an, doch Trey wollte anscheinend keine Antwort. „El ist total in ihrem Element", behauptete er und deutete etwas weiter nach vorne, an die Bar. Der Alkohol war in seiner Stimme gut hörbar. Ich folgte seinem ausgestreckten Finger und tatsächlich, klebte meine beste Freundin regelrecht an dem Typen. Ich schüttelte mich. „Sie brauchen definitiv ein Zimmer", merkte ich an. Trey sah mich stirnrunzelnd an. „Was ist denn plötzlich mit dir los?", fragte er. Gerade als ich es ihm erklären und ihm mitteilen wollte, dass ich nach Hause gehen würde, überlegte er es sich anders. „Du musst einfach noch etwas trinken!", rief er und schleppte mich an die Bar. Er bestellte erneut Shots und da er mir sie regelrecht aufzwang, wehrte ich mich nicht dagegen. Bei Trey war es sowieso sinnlos sich gegen irgendetwas zu wehren.

„I-Ich glaube, das war genug", lallte ich einige Shots später, als Trey gerade die Hand hob um nachzubestellen. „Vielleicht hast du recht", stimmte er mir zu und überraschte mich damit dermaßen, dass ich ihn nur Wortlos anstarren konnte. Er bemerkte meinen Blick. „Was denn?", fragte er forsch. „Kann ich nicht auch mal-", begann er entrüstet. Was er nicht auch konnte, erfuhr ich aber nicht. Sein Blick war nach hinten abgeschweift und er brach mitten im Satz ab. Ich kicherte über seinen bescheuerten Gesichtsausdruck. Er sah aus als hätte jemand auf Pause gedrückt.
„Trey?", fragte ich und wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. Er reagierte kaum. Ein bisschen Sorge blubberte am Alkohol vorbei. Hatte er einen Schlaganfall oder so?
Gerade als ich ihn anstoßen wollte, rührte er sich. „Ich glaube ich bin besoffen", sagte er, den Blick immer noch starr auf etwas hinter mir gerichtet. Ich kicherte wieder. Wir waren beide besoffen, warum musste er es laut aussprechen?
„Natürlich bist du-", begann ich meine Antwort, doch Trey packte mich an der Schulter und unterbrach mich damit. Er drehte mich grob einmal um meine Achse. „Sag mir, dass ich nicht halluziniere", brabbelte er hinter mir. Mein Blick, war etwas verschwommen, klärte sich aber innert Sekunden, als ich sah was Trey meinte.

Ich blinzelte mehrmals, fest davon überzeugt, dass der Alkohol mir in den Kopf gestiegen war. „Was zum-", brachte ich hervor, mehr aber auch nicht. Mitten in all den Partygästen war Josh und anscheinend hielt er direkt auf mich zu. Mein Puls schoss in die Höhe.
Eine Reihe aus Gedanken jagte mir durch den Kopf. Was tat er hier? War er meinetwegen hier? Wenn ja, warum? Was sollte ich zu ihm sagen? War ich überhaupt bereit ihn zu treffen? Die Bilder in meiner Tasche schienen plötzlich omnipräsent. Konnte ich wirklich mit Josh darüber reden? Jetzt? Gleich würde er hier sein.

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