23 - Grinsekatze zum Frühstück

6K 260 21
                                    

Der Abend mit Josh im Pub ließ mich mit gemischten Gefühlen in die nächste Woche starten. Irgendwie hatte der Abend etwas verändert. Ich wusste dass ich ihn nicht länger einfach als eine Verpflichtung sah. Unser Abend hatte sich so echt angefühlt.
Wie ein richtiges Date.
Das erste Mal hatte ich mich nicht gefühlt wie eine schlechte Schauspielerin. Und wenn ich ehrlich mit mir selbst war hatte ich das auch genossen. Einfach normal mit jemandem auszugehen. In einer Umgebung in der ich mich wohl fühlte.
Ich hatte aber nicht besonders viel Zeit mich mit meinen Privatleben oder gar den verwirrten Gefühlen darin zu beschäftigen. Mr. Lee hatte einen großen Fisch an Land gezogen, einen reichen Geschäftsmann, welcher uns für einen Großevent eingespannt hatte. Darüber war mein Chef dermaßen aus dem Häuschen dass er kaum noch englisch redete sondern immerzu in einem verwirrenden Gemisch aus Französisch und Mandarin und ich verstand weder das eine noch das andere. Immerhin hatte ich damit keine Zeit mir Sorgen um die kommende Veranstaltung am Wochenende zu machen.
Josh würde seine Bordcomputer vorstellen und dabei würden eine Menge hoher Tiere anwesend sein. Ich hoffte nur dass ich nicht wieder strauchelte und diesmal würde es auch etwas zu essen geben, das hatte Josh mir versichert.
Die Woche verging wie im Flug. Ich half meiner Mutter im Friseurladen, ließ mich von ihr ausfragen und versuchte die alte Mrs. Mayfair abzuwimmeln welche sich ein wenig zu sehr für mein Privatleben interessierte. Zwischen dem ganzen Trubel schaffte ich es tatsächlich am Freitag etwas mit Trey trinken zu gehen.
Während er von seinem neuen Lover erzählte und mich ausfragte wie es bei mir lief wurde ich das ungute Gefühl nicht los dass ich etwas vergessen hatte. Konnte mich aber beim besten Willen nicht daran erinnern und ich hörte auch viel lieber Treys Erzählungen über Mark zu als mich mit möglichen Problemen abzugeben.

Am Samstag bereute ich es nicht ein wenig mehr darüber nachgedacht zu haben. Zur Probe schüttelte ich die Packung in der noch ein Päckchen meiner Monatslinsen sein sollte. Jedoch blieb die Packung leer. Da es Ende Monat war hatte ich die anderen Linsen gestern brav entsorgt. Dafür hatte ich mir extra eine Erinnerung im Handy angelegt damit ich es auch ja nicht vergaß und die Linsen zu lange trug. Normalerweise liebte ich es dass ich so organisiert war, heute hätte ich mich dafür Ohrfeigen können. Wie sollte ich Josh zu einer Veranstaltung begleiten wenn ich nichts sah? Obwohl ich wusste dass ich keine Nachbestellt hatte durchsuchte ich mein Spiegelschränkchen. Rief bei meinen Eltern an ob ich dort noch welche herumliegen hatte und als das auch nicht der Fall war rief ich kurzerhand bei meinem Optiker an. Eine fröhliche Stimme verkündete mir dass sie wegen Renovationsarbeiten bis nächste Woche geschlossen hatten und ich mich an ihre Vertretung wenden sollte. Wie nicht anders zu erwarten hatte die Vertretung keine Linsen in meiner Dioptrie vorrätig. Das Szenario war so klassisch für mich das ich nicht einmal frustriert darüber sein konnte.

Ich setzte meine Brille auf und betrachtete mich im Spiegel. Nein, das war keine Option, definitiv nicht. Da ich sie nur ungern trug war das Gestell schlicht, braun und klobig. Ich trug sie nie. Nur meine Linsen auf welche ich trotz der Anfänglich geringen Korrektur mittlerweile viel mehr angewiesen war. Eben erst hatte ich die Dioptrie ändern müssen. Ohne sie ging es zwar auch, jedoch nur wenn ich zuhause war, in der gewohnten Umgebung wo ich nichts lesen oder genau erkennen musste. Und an der Veranstaltung heute Abend würde ich genau das tun müssen. Ich saß mittlerweile am Küchentisch und stützte den Kopf in die Hände.
Ein Scheiß war das.
Da mir nichts Besseres einfiel tat ich das was ich immer tat: Ich rief El an. Auch wenn es bei ihr gerade fünf Uhr morgens war, ich wusste dass sie vermutlich gerade vor ihrem Laptop saß. El hatte einen grauenhaften Schlafrhythmus.
„Wo brennt es?", meldete sie sich nach dem zweiten klingeln. Sie kannte mich zu gut. Ich schilderte ihr das Debakel.
„Ach du Scheiße", kommentierte El. „Und was hast du jetzt vor?" Ich zuckte die Schultern in bestem Wissen dass sie mich nicht sehen konnte.
„Zuhau-"
„DU BLEIBST AUF GAR KEINEN FALL ZUHAUSE!", rief El empört bevor ich meinen Satz auch nur halbwegs angefangen hatte. „Geht's eigentlich noch du kannst doch nicht so eine Veranstaltung sausen lassen!", schimpfte meine beste Freundin weiter.
„Jajaja schon gut ich geh ja hin!", würgte ich ihr Gezeter ab. Eigentlich hatte ich das auch nicht wirklich vorgehabt.
„Gut, ansonsten hätte ich kein Wort mehr mit dir geredet", behauptete El. Ich lachte. „Das war mir klar."
„Hast du echt keine mehr da?", fragte sie mich. Ich seufzte.
„Nein echt nicht."
„Dann geh einfach ohne", sagte El. „So blind bist du nicht." Eigentlich hatte sie ja Recht.
„Und was wenn ich etwas sehen soll auf einem Bildschirm?" El gab ein abwertendes Schnauben von sich. „Dann gebrauche dein hübsches Köpfchen und reagiere so wie deine Tischnachbarn. Wir hatten genügend Schauspielunterricht bei Mrs. Foley."
„Das war in der vierten Klasse", erinnerte ich sie trocken. El machte ein Pupsgeräusch. „Egal du kannst das schon." Ich seufzte. „Wenn du meinst."

let's play pretendWhere stories live. Discover now