6 - Scheiß auf teuer, Smithy!

6.5K 264 6
                                    

Meine Mutter würde sich wohl nie davon erholen das ich eines Abends plötzlich vollkommen Aufgelöst, mit gerissenen Strumpfhosen, nach Erbrochenem riechend und völlig verheult vor unserer Eingangstüre stand. Rechts und links flankiert von einem Polizist. Diese hatten mich auf einer Patrouille entdeckt, mich kurzerhand eingesammelt und nach Hause gebracht. Mein Vater stand im Flur und fand die Szene urkomisch, zumindest bis er mein Gesicht sah. Meine Mutter bedankte sich bei den Polizisten, verabschiedete diese und bugsierte mich durch die Tür.
"Jane was zum-!", weiter kam meine Mutter nicht. Es brach einfach so aus mir heraus.
"Tom betrügt mich", schluchzte ich auf und ließ meine Taschen fallen. Das Gesicht meines Vaters entgleiste vollkommen. Ein Ausdruck trat in seine Augen als würde ihn nur die Polizei vor dem Haus noch davon abhalten sofort zu Toms Wohnung zu rennen und ihm den Hals umzudrehen.
"Ach Schatz", seufzte Mom und nahm mich in den Arm. Ich klammerte mich an sie. Die Tränen waren wieder da und diesmal würden sie nicht so einfach gestoppt werden können, wie vorhin von der Polizei. Das konnte ich fühlen als ich an der Schulter meiner Mutter zu Schluchzen begann.
Keine zwanzig Minuten nach mir traf Eleanor bei uns ein und hatte Unmengen an Knabberzeug dabei. Mein Vater hatte sie für mich angerufen, da er sich sonst nicht zu helfen gewusst hatte, außer sehr, sehr unschön vor sich hin zu fluchen. In den ganzen zweiundzwanzig Jahren hatte ich ihn nie so reden gehört. Meine Mutter kochte heiße Schokolade für uns alle. Ich heulte Rotz und Wasser, erzählte Eleanor und meinen Eltern alles, verfluchte Tom mit meinem Vater zusammen und heulte noch ein bisschen mehr. Ich stopfte mich mit allen möglichen Süßigkeiten voll und konnte sie diesmal auch behalten. Irgendwann war ich erschöpft auf der Couch eingeschlafen um am nächsten Morgen mit höllischen Kopfschmerzen aufgewacht. Diese hatten sich noch verschlimmert als ich auf meinem Handy eine Nachricht von Tom entdeckte.
'Können wir uns treffen?' Das hatte erneut zu einem krampfhaften Heulanfall geführt. Eleanor schaltete mein Handy aus und beschlagnahmte es ohne auf meinen Protest zu achten.

"Iiih was ist das denn?!" Angeekelt hielt Eleanor gerade ein weißes Kleidungsstück in die Höhe. Es war Sonntagnachmittag und ich lag eingekuschelt in meinem Bett mit einen Beruhigungstee in der Hand. Eleanor war das ganze Wochenende über nicht von meiner Seite gewichen und wollte gerade für etwas Ordnung in meinem Zimmer sorgen. Es sah aus als hätte jemand einen Kindergeburtstag darin gefeiert – Überall lagen Packungen von leeren Süßigkeiten herum.
"Ein Hemd?", fragte ich als ich den Stoff genauer betrachtete. Eleanor schüttelte den Kopf.
"Nein ich meine das hier!" Sie hielt mir den Ärmel des Hemds hin der mit etwas grünlichem Beschmiert war. Ich rümpfte die Nase. Sie schnüffelte leicht an dem Kleidungsstück und verzog das Gesicht.
"Bäh, Jane! Warum ist da Kotze drauf und noch viel wichtiger warum hast du das?!" Ich zuckte die Achseln. Ich wusste nicht wie es zu meinen Sachen gelangt war aber es gehörte definitiv Tom.
"Keine Ahnung", sagte ich ehrlich. Ich hoffte nur dass ich nichts bei Tom vergessen hatte. Dorthin wollte ich nie wieder.
"Okay und was machen wir jetzt damit?", fragte El und hielt das Hemd angeekelt von sich. Das war eine gute Frage.
"Wollen wir es verbrennen?", schlug Eleanor etwas zu begeistert vor und ich erinnerte mich lebhaft an unsere Aktion ganz am Anfang unserer Freundschaft als wir die Sachen von Eleanors Ex-Freund verbrannt hatten. In seinem Vorgarten. Ich zog es tatsächlich kurz in Erwägung, entschied mich dann aber dagegen. Damals hatte ich Wochenlang schlecht geschlafen da ich dachte demnächst würde die Polizei vor meinem Haus stehen und mich mitnehmen. Ironischerweise hatte sie mich in diesem Fall hergebracht.
"Nein, nein ich muss es zurückgeben", protestierte ich. "Die Hemden sind echt teuer." Eleanor sah mich mit einem Blick an als wäre ich komplett bescheuert.
"Scheiß auf teuer Smithy!", fluchte sie etwas zu laut. Eleanor hatte leicht reden. Für sie war Geld kein heikles Thema, da ihre Eltern mehr als genug davon hatten. „Nein, nein wir denken uns was Schönes aus." El tigerte eine Runde durch mein Zimmer, das Kotzhemd noch immer in der Hand. Dann blieb sie unvermittelt stehen, legte den Kopf schräg und fing an zu grinsen. Ihre Augen fingen förmlich an zu leuchten.
"Was?" Wenn Eleanor so aussah, hatte sie mit Sicherheit wieder irgendetwas ausgetüftelt.
"Warte." Sie verschwand aus meinem Zimmer und kam wenig später zurück.
"Hier, bitteschön." Sie hielt mir einen schwarzen, wasserfesten Filzstift und das Hemd unter die Nase.
"Was soll ich damit?", fragte ich und nahm ihr den Stift ab. Das Hemd betrachtete ich etwas angeekelt.
"Schreib was Schönes dazu bevor wir es ihm zurückgeben." Eleanors Grinsen war beinahe boshaft. Ungläubig sah ich sie an.
"Ich soll-?"
"Auf dieses Hemd schreiben, ja!", bestätigte sie meine unausgesprochene Frage.
"Aber es ist teuer und-", begann ich zu protestieren, kam aber nicht weit.
"Er. hat. Dich. betrogen!", presste El angestrengt hervor. "DU hast jedes Recht!" Ich nickte langsam. El hatte Recht, ich ruinierte nur ein Hemd, nichts weiter.
"Okay." Ich öffnete den Stift und saß geschlagene fünf Minuten vor dem Hemd bis ich den Stift ansetzte. Als ich fertig war nickte ich zufrieden.
"Du bist genial Smithy! Ich hätte es nicht besser machen können", lobte Eleanor mich. Sie hielt mein Meisterwerk mit ausgestreckten Armen vor sich. In Großbuchstaben hatte ich über den gesamten Brustkorb; TOM BALL DU BIST ZUM KOTZEN! geschrieben und war ehrlich zufrieden damit. Es war weder sehr Erwachsen noch auf irgendeine andere Art eine gute Idee, aber es war mir gerade herzlich egal. Es fühlte sich gut an, befreiend. Eleanor sah mich teuflisch grinsend an.
"Und das schicken wir ihm jetzt!", weihte sie mich in den Rest ihres Plans ein. Dass sie nicht in die Hände klatschte war auch schon alles. Ich grinste schwach und ließ sie machen. Ein ganz kleines Lächeln umspielte meine Lippen als El aus der Tür stürmte.
Nach dem verschicken unseres kleines Expresspackets ging es mir etwas besser. Wie El es geschaft hatte einen Paketdienst am Sonntag aufzutreiben war mir ein Rätsel aber ich beschloss nicht wieter darüber nachzudenken.
Mit Hilfe von El begann ich damit jegliche Spuren von Tom Bell aus meinem Leben zu löschen. Jedes Foto, ob in meinem Zimmer oder in meinem Handy, wurde beseitigt. Ich schmiss die Kette die er mir zu unserem ersten gemeinsamen Jahr geschenkt hatte in den Müll und sortierte die Geschenke aus die ich von ihm erhalten hatte. Der Teddy von unserem ersten Date, welchen er für mich am Schießstand gewonnen hatte und auch die Kleider welche er mir gekauft hatte wanderten in die Altkleidersammlung. Ich wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Mit jedem Stück das verschwand, wurde mein schmerzendes Herz etwas leichter.
Tom Bell war aus meinem Leben gestrichen. Eleanor nahm sich mein Social Media vor, löschte unsere gemeinsamen Bilder und seinen Kontakt aus jeglicher Freundesliste. Als wir fertig waren fühlte ich eine seltsame Ruhe in mir. Es tat noch immer weh, aber es war erträglich. Nichts das mich an ihn erinnern konnte war am Ende unserer Aufräumaktion übrig. Als ich den Müllsack in die Tonne warf und bei Eleanor abklatschte wurde mir klar dass sie all das nur getan hatte damit ich mich besserfühlte. Und das tat ich auch. Irgendwie.

Als ich mein Handy am Montag in der Früh einschaltete, regnete es Benachrichtigungen zu Nachrichten und Anrufen von Tom. Ohne ihnen einen weiteren Blick zu würdigen löschte ich alle. Ich verfasste nur eine einzelne Nachricht an ihn: 'Lass mich in Ruhe!'

Ich musste auf mich achtgeben, so wie Eleanor gesagt hatte. Nur ich war im Moment wichtig.
Trey und Michele erzählte ich beim Mittagessen eine Kurzfassung der Geschehnisse. Michele fluchte wie ein Rohrspatz, was ich ihr keine Sekunde zugetraut hätte und brachte mich damit zum Lachen. Trey reagierte wie erwartet, echauffierte sich und klärte mich dann darüber auf das er mich am kommenden Freitag in einen Club schleifen würde, ob ich das nun wollte oder nicht. Ich protestierte nicht. Es war lange her seit ich in einem Club gewesen war, denn Tom hatte keine Clubs gemocht.
Der Rest der Woche verlief ruhig. Selbst Mr. Lee merkte wohl dass ich nicht auf dem Damm war und ließ mich größtenteils mit Sonderwünschen in Ruhe. Ich stürzte mich in die Arbeit und machte auch zuhause nicht davor halt. Mein Zimmer hatte noch nie so sehr geglänzt.
Eleanor verbrachte jede freie Sekunde mit mir. So kam es das sie am Freitag mit Trey und mir in einer Bar saß und bereits ihr zweites Bier vor sich hatte. "Du solltest knutschen Jane", behauptete sie gerade und sah sich nach geeigneten Kandidaten um. Ich drehte ihren Kopf zu mir zurück. "Keine Chance im Moment habe ich definitiv genug von männlichen Wesen", wiedersprach ich ihr bestimmt. "Hey!", beschwerte sich Trey neben mir und deutete mit dem rosafarbenen Schirmchen seines Cosmopolitans auf mich. Ich lehnte mich an ihn. "Du bist natürlich davon ausgenommen", versicherte ich ihm. Er wirkte zufrieden. "Aber weißt du Janie, die liebe El hat recht. Du solltest wirklich Knutschen." Ich schüttelte den Kopf. Dazu war ich nun wirklich nicht bereit. "Nächstes Jahr vielleicht", sagte ich und stocherte in meinem Drink herum. Meine unschöne Trennung von Tom war erst eine Woche her und ich hatte bisher noch keinen Tag verbracht an dem ich nicht an ihn gedacht hätte. Es tat lange nicht mehr so weh wie noch vor einer Woche aber nicht selten spürte ich einen Kloß im Hals wenn mir wieder etwas einfiel das wir geteilt hatten. Ich war momentan einfach noch nicht in der Verfassung dazu. "Nah schön", gab Trey nach als er mich eingehend betrachtet hatte. "Aber nächstes Jahr will ich Action sehen", zwinkerte er mir verschmitzt zu. "Einverstanden", bestätigte ich ihm. Als ich in seine Hand einschlug hätte ich eigentlich wissen müssen dass es keine gute Idee war. 

. . .

Brauchen wir nicht alle eine Eleanor und einen Trey?

©2020 by keeaty

let's play pretendWhere stories live. Discover now