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Es klingelt. Mittagspause, wie jeden verdammten Tag, den ich auf dieser Erde zubringe. Menschen strömen den Saal und besetzen irgendwelche Tische.  Ich bleibe an meinem Platz sitzen und warte. Ich weiß gar nicht, auf was ich warte, während sich alle anderen ohne zu zögern in die Essensschlange einreihen. Oder warte ich gar nicht auf etwas, sondern auf jemanden?

Doch wer auch immer dieser Jemand sein mag, er kommt nicht. Verdammt, ich warte grundlos auf jemanden, der nie kommen wird und weiß nicht einmal an welchen Jemand ich meine Mittagspause verschwende. Soll es mir doch recht sein. Zeit ist mir sowieso gleichgültig.

Menschen strömen an mir vorbei. Manche haben sich zu Grüppchen zusammengeschlossen, manche sind traurig und alleine wie ich. Noah stolziert gekonnt ignorant an mir vorbei. Keinen Blick vergönnt er mir. Keinen einzigen Blick. Dann ist er weg, irgendwo in der mir so endlos erscheinenden Schlange. Doch das ist mir egal. Das ist mir doch alles gleichgültig. Ich verdiene ihn sowieso nicht und verdammt, ich habe es verbockt. Verdammt, ich habe nicht einmal gecheckt, dass er mir nur helfen wollte, als er in mein Badezimmer stürmte. Nicht einmal das kann ich. Er wollte mich nur retten. Er wollte mir ein Seil zuwerfen, doch damals habe ich es noch nicht gewollt. Stattdessen habe ich es weggeworfen und zerschnitten, wie all die Fotos von meinem Exfreund und mir. Ich habe es nicht angenommen und das war mein Fehler. Ich habe ihn angeschrien und um mich geschlagen wie ein Monster. Denn das bin ich doch, ein Monster.

Ich muss mir einreden, dass er mir egal ist, denn wenn ich das nicht tue, dann zerstöre ich wieder alles und ich will nicht das Monster sein, dass Noah zerstört. Der kleine Junge reicht schon. Dass ich Noah angeschrien habe, ist genug.

Ein Mädchen fragt, ob sie sich an meinen Tisch setzen kann. Es scheint kein anderer Platz mehr frei zu sein. Ich nicke nur und gehe mir ebenfalls einen Teller holen und belade ihn nach stundenlangem Anstehen schließlich mit Essen. Zu guter letzt sind Falafel, Kartoffelbrei und ein bisschen Buttergemüse auf meinem Teller. Das Mädchen guckt flüchtig auf und lächelt mich an. Es ist ein vorsichtiges Lächeln. Ich lächle zurück und verharre. Irgendetwas an ihrem Gesicht kommt mir bekannt vor. Die goldbraunen Augen, die so wunderschön geschwungene Nase, der etwas dunklere Taint und die dicken schwarzbraunen Haare. Ich gucke sie ein weiteres Mal an. 《Bist du nicht emma.stelone von Instagram? Die, die bevor ich hier eingewiesen wurde, eine Millionen auf Instagram geknackt hat?》Überrrascht blickt sie auf. 《Du kennst meine Videos?》Ich nicke.《Ja, du weißt gar nicht, was für ein großer Fan ich von deinen Videos bin. Aber》Ich gucke sie verdutzt an.《Was machst du denn hier? Du wirktest immer so glücklich in deinen Videos. Du hast immer so viel positivity verbreitet. Was ist passiert?》Sie beugt sich rüber zu mir. 《Mein Freund.》Sie macht eine Pause und korrigiert sich《Exfreund.》《Was aber ihr habt immer so verliebt in euren Videos gewirkt!?》Sie setzt sich aufrechter hin.《Das sagen sie alle, aber gut, ich kann dich auch verstehen, ich werde versuchen, es dir zu erklären.》Sie sagt es mehr zu sich selbst, als zu mir. Gespannt beuge ich mich vor.

《Ich habe mich von ihm getrennt, weil er versucht hat mit mir Sex zu haben und mich dann auch gegen meinen Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen hat. Und dann hat er mich verlassen und in einem Video Lügen über mich verbreitet.》Beim Zuhören werden meine Augen immer größer. Ich will schreien, will irgendjemanden anschreien, am besten ihren Exfreund. Wie hieß er noch gleich? Stimmt Jake. Und ich will sie umarmen. Emma hat das nicht verdient. Ich hätte es, wenn schon.

Sie fährt etwas zitternd fort. Ich lege meine Hand beruhigend auf ihren Arm.《Dann kam der Shitstorm. So viele Hassnachrichten und dann haben sich meine Eltern getrennt und dann habe ich es einfach getan. Sie, die Hater haben geschrieben, ich solle mich erhängen. Also habe ich das. Zumindest habe ich es versucht. Doch irgendwer hat mich gefunden. Ich glaube, es war meine Mum, die mich vor dem sicheren Tod bewahrt und mich dann hier eingewiesen hat. Der Hass, die Streitereien meiner Eltern, ich kann es nicht mehr ertragen. 》

Sie macht eine kurze Pause.《Die Videos, das war ein Schein. 》Tränen rollen ihre Wangen hinab.《Es war alles nur ein Schein, um euch Glauben zu machen, mir ginge es gut, weil ich euch nicht traurig machen wollte. Ich wollte euch nicht auch noch mit meinen Problemen nerven. Ihr habt schon genug andere. Doch jetzt sitze ich hier und du hast mich gefragt und verdammt, ich hätte dir nicht antworten sollen. Du brauchst mein Problem doch nicht auch noch. Doch es tut so gut darüber zu reden. Endlich jemandem die Wahrheit zu erzählen. Es tut so gut. Und ich gehe jetzt. Du brauchst mich nicht auch noch an der Backe.》Ich halte sie fest. 《Hey Emma, ich bin für dich da. Jetzt hast du mir doch dein Problem erzählt. Ich helfe dir.》Verzweifelt schaut sie mich an.《Wie willst du mir denn helfen? Das kannst du doch gar nicht. Bitte, du verdienst es nicht auch noch, mich an der Backe zu haben. Ich tu dir nicht gut.》Sie reißt sich aus meinem Griff heraus und verlässt die Halle. Gerade da schellt die Klingel und ich erhebe mich mit gesenkten Kopf.

Sie hat Recht. Ich kann ihr nicht helfen. Weder habe ich das therapeutische Fachwissen, noch die nötige Followeranzahl um ihren Exfreund Jake auffliegen zu lassen. Ich kann ihr nicht helfen und das macht mich traurig. Ich fühle mich machtlos. Machtlos gegen die Ungerechtigkeit. Ich bin machtlos gegen das Leben.

Ich folge dem Strom aus Menschen durch die Halle. Manche lachen über irgendeinen Witz. Wie könnt ihr lachen, wenn ich traurig bin? Wie könnt ihr dann glücklich sein? Oder ist das meine Strafe? Bin ich vom Universum dazu verdammt auf Lebenszeit traurig zu sein?

Ich bin schuld. Der kleine Junge starb wegen mir, weil ich verdammt nochmal nicht aufs Bremspedal getreten bin. Ich bin zur Traurigkeit verdammt und wenn es Himmel und Hölle gebe und ich damals nicht aus dem Eis gerettet worden wäre, dann wäre ich jetzt beim Teufel. Wenn es Karma gebe, wenn ich an Schicksal glauben würde, dann säße ich jetzt im Rollstuhl. Doch leider existiert das nicht. Es wäre so einfach gewesen. Ich töte versehentlich jemanden. Ich werde bestraft. Doch leider funktioniert das so nicht. Leider gibt es kein Karma. Also musste ich mir mein eigenes Karma erschaffen. Also habe ich mich selbst bestraft. Also bin ich ins Eiswasser gestiegen.

A/N

Yay, a new chapter, hope u enjoyed reading it and have a nice day und ich weiß nicht, was ich noch schreiben soll, auf jeden Fall bedanke ich mich einfach mal dafür, dass ihr mein Buch noch lest

How to liveDär berättelser lever. Upptäck nu