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Die Paartherapie verläuft gut. Uns werden ernste Fragen gestellt doch die Blickwechsel zwischen Noah und mir machen es wieder wett. Wir beantworten die Fragen aufrichtig und ich muss sehr zu meiner Freude feststellen, dass es mir wieder besser zu gehen scheint.

Ich atme ein und aus. Ich liebe Freitage. Kein Nachmittagsunterricht, nur Therapie und seit kurzer Zeit auch Paartherapie. Und dann herrscht für komplette zwei Tage Freiheit.

Wir stürmen fats schon aus unserer Sitzung als sie endlich ein Ende zu nehmen scheint und küssen uns im nächsten Gang fast schon animalisch. „Ich habe dich vermisst."seufzt er an meinen Lippen. Ich hebe die Augenbrauen. „Mich oder meine Lippen?"Er grinst „Meine Beziehung zu deinen Lippen natürlich" Ich schlage mir die Hand vor den Mund. „Achso du liebst nicht mich sondern meine Lippen" „Exactement" Er nickt französisch wirkend. Ich schüttele belustigt den Kopf „Ok mon amour"

Wir gehen ein bisschen den Gang entlang. Ich gebe Noah einen Stoß in die Seite. „Und wo gehen wir hin?" Er lächelt auf mich hinab. Volle Lippen. Eine Mischung aus rosa und rot. „Das, mein Santalein" „Bleibt ein Geheimnis" ergänze ich ihn seufzend. „Woher konntest du meine Gedanken lesen?" Er wirkt ernsthaft überrascht. Ich hake mich bei ihm unter. „Gedankenübertragung" „Oder" Er blickt mir sanft in meine nun so warmen blauen Gewässer von Augen „wir sind einfach Seelenverwandte" Ich zucke spielerisch achtlos mit den Schultern. „Oder das" Er entfernt seinen untergehakten Arm und weicht mit einem Lächeln in den Augen zurück. „Oder das? So tust du unsere übermächtige Seelenverwandtschaft ab?!" Ich mache Anstalten ihm einen Kuss auf seinen Mund zu geben doch komme nur an sein Kinn. Noah hebt mich mühelos hoch und wirbelt mich durch die Luft während ich versuche seine Lippen zu erreichen, bis ich es schaffe und es sich magischer als jeder andere Kuss anfühlt, denn jetzt sind wir Seelenverwandte.

Nach einer Weile lösen wir uns wieder voneinander und er legt mir eine Augenbinde um. Ich schrecke zurück, begreife dann aber. „Na dann entführ deine Prinzessin mal, mein Prinz" Ich nehme seine Hand und lasse mich einfach mitziehen.

Es ist seltsam sich in der Schwärze irgendeines Tuches zu bewegen doch seine Hand hält mich fest und ich lasse nicht los. Wie könnten wir uns auch loslassen, wenn die Liebe uns doch festhält?

Ich lausche auf die Geräusche um mich herum. An einer Stelle wird es lauter und ich höre viele verschiedene umherrennende Schuhe. Das muss die Mensa sein. Besteckgeklapper ertönt doch er zieht mich weiter. Dann also kein Mensadate. Dort wären mir so oder so zu viele Menschen gewesen um ihm meine Vergangenheit zu offenbaren.

Sofort werde ich wieder schwer. Emotional unstabil. Ein Gedanke. Ein Gedanke und doch verändert er alles. Ich drehe mich dahin wo ich Noahs Ohr vermute. „Können wir uns beeilen?" Er nickt oder so schließe ich es aus dem Auf-und Abgehen seines Ohres.

Mehrmals stolpere ich fast, aber ich wollte es so. Ich wollte, dass wir schneller gehen. Ich wollte es, weil ich mich vor mir selbst fürchte. Oder kenne ich mich einfach nur zu gut? Ich weiß, dass ich irgendwann einen Rückzieher gemacht hätte und irgendwann läge nicht in der Ferne.

Ein Luftzug zieht herein und füllt meinen Mund mit windiger Kälte. Noah lässt mich los und geht irgendwo hin. Ich höre ihn leise mit einem Krankenpfleger reden. Dann werde ich abgetastet und mir wird meine Winterjacke ausgehändigt. Ich streife sie über und bin über die wärmende Haut dankbar. Es wird zwar langsam März, aber es ist immer noch Februar und die Kälte entfaltet gerade ihr höchstes Ausmaß an Winter. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass ich vor einem halben Jahr nicht rausgehen wollte, weil es mir zu heiß war.

Noah nimmt mich bei der Hand. Sie ist warm und zärtlich und ich bin dankbar dafür. Und dann spazieren wir durch die Kälte während kalte Flocken auf mich hinabfallen. Es schneit anscheinend wieder. Noch machen meine Füße keine Geräusche auf dem noch schneearmen Boden doch spätestens in einer Stunde wird es soweit sein.

Ich strecke meine Zunge heraus und fange die Schneeflocken auf. Kalt und sanft liebkosen sie meine Zunge. Sie sind wie Noah, nur ist Noah warm und viel größer. Aber sie sind beide sanft.

Ich hingegen bin nur kalt und nur die Wärme anderer erhält mich am Leben. Ich bin wie das Eis auf dem See, auf dem ich sterben wollte. Eingefroren, kalt, hart. Gefühllos. Man kann mich schmelzen, man kann mein Herz erwärmen, aber es friert immer wieder ein, wenn die Wärme sich verzieht. Und so wird Noah es auch, wenn er erst die wahre Holly kennengelernt hat.

Wir bleiben stehen. Ruckartig zucke ich zusammen. Noah steht hinter mir. Das verrät mir sein heißer Atem an meinem entblößten Hals. Er gibt mir einen sanften Kuss auf diesen und nimmt mir dann langsam und genüsslich die Augenbinde ab.

Ich kneife die Augen zusammen als gleißendes Licht mich blendet und von der leichten Schneeschicht auf dem Boden reflektiert wird. „Wo ist meine Sonnenbrille?" frage ich als die schwarzen und weißen Flecken nicht aufhören wollen vor meinen Augen zu tanzen. Noah lacht und reicht mir leider keine Sonnenbrille.

Als die Flecken nach einer Weile zum Stillstand kommen und verblassen, betrachte ich die sich vor mir befindenden Aufmerksamkeiten verzückt.  „ Noah, das ist-" Ich will ihm in die Arme laufen doch er hebt einen Arm „Grauenvoll, ich weiß" Ich schaffe es schließlich doch ihn zu umarmen. „Ja, aber grauenvoll schön" raune ich ihm ins Ohr, immer noch überrascht.

Vor mir steht auf einer versteckten Lichtung in dem kleinen Parkwald eine Hollywoodschaukel, über die eine warm gelb leuchtende Lichterkette gespannt wurde. Daneben steht ein Grill, auf dem man Marshmallows erhitzen kann. Und darüber baumelt an einem Tannenzweig ein Korb voller Winterbeeren. Ich umarme ihn noch fester. „Noah, das ist wundervoll!" Er hebt die Augenbrauen. „Wirklich?" Ich schreie schon fast. „JA"  Er lächelt. „Nagut dann nehme ich das jetzt mal als Kompliment" Ich grinse ebenfalls. „Das solltest du auch. Ich meine, du hast sogar meinen Namen miteinbezogen." Er lacht. „Ich dachte, es wäre einmal schön Winterbeeren aufzuhängen und keine Santamütze." Und ich lache aus vollem Herzen.

Doch ist es dadurch nun einfacher geworden, ihm von meiner Vergangenheit zu erzählen? Ich kenne die Antwort und sie gefällt mir nicht.

How to liveWhere stories live. Discover now