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Noah

Sie ist gemein. Sie ist hinterhältig und verdammt, leider ist sie auch sehr schlagfertig. Schnell setze ich mich in meinen Stuhl um kein Wort mehr von ihr ertragen zu müssen. Ich will mich nicht mehr für mein Verhalten rechtfertigen.

Die Holly, die ich kennengelernt habe, ist nett und lieb gewesen. Eine traurige Schönheit, der etwas Schreckliches widerfahren ist. Doch dann hat sich meine Sicht auf sie geändert. Die Worte, die aus ihrem Mund kamen, sind keineswegs mehr liebevoll oder gar freundlich gewesen. Nein, sie waren angefüllt mit Hass und gerade als ich sie wirklich liebgewonnen hatte, stieß sie mich von sich.

Ich glaube, an jenem Tag habe ich eine andere Holly kennengelernt. Doch ist es die wahre Holly gewesen oder nur ein Schatten ihrer selbst, der aufgrund ihres Traumas die Macht über sie übernommen hat an besagtem Tag? Das habe ich mich noch nie gefragt. Damals reagierte ich so impulsiv und heute frage ich mich, ob es richtig war.

Holly wer bist du wirklich? Wenn sie wegschaut, gucke ich sie an. Was stehen da für Wörter in ihren Augen? Sind es Hass, Wut und Kälte oder doch viel eher Liebe, der Wunsch nach Geborgenheit und Wärme? Doch ich komme zu keiner Antwort, denn ihre Augen liegen auch nicht für einen Moment auf mir. Wenn sie mich doch kurz anschauen könnte, nur ganz kurz. Wenn sie nicht immer so demonstrativ geradeaus blicken würde, dann könnte ich sagen, wer Holly wäre. Doch leider komme ich zu keiner Antwort.

《Das hier ist eine ungewohnte Situation, ich weiß. Doch erzählt mal wie es überhaupt zu dem Streit kam.》wirft mein Therapeut die Frage in den Raum. Einfach so. Manchmal finde ich ihn wirklich unsensibel. Muss er denn gleich immer so direkt sein?

Holly neben mir bringt keinen Ton heraus. Also schweige ich mit ihr. Nach dem Verstreichen von etwa 20 Sekunden peinlicher Stille, fängt auch noch Hollys Therapeutin an, ihren Teil zur eher einseitigen Konversation beizutragen.《Wieso erzählt ihr uns denn nichts? Wieso seid ihr denn so still? Das hier ist ein sicherer Ort, das wisst ihr doch, oder? Ihr könnt hier alles sagen. Ich, ich meine, wir wollen euch doch nur helfen. Aber wie können wir das, wenn ihr nichts tut außer zu schweigen?》

Natürlich könnten wir alles sagen. Und gleichzeitig nichts. Denn wenn ich etwas sagen würde und damit meine ich alles, würden sie mich für den Rest meines Lebens hier wegsperren, weil ich mich umbringen könnte und das will ich nicht.

Holly neben mir holt tief Luft.《Es kam so》Verstört gucke ich sie an. Seit wann kooperiert sie lieber mit Marilyn und John als mit mir? Bin ich so tief bei ihr gesunken? Und was bringt ihr das Ganze? Marilyn schaut sie mit großen erwartungsvollen Augen an. Gespannt beugte John sich vor. Doch bevor Holly irgendetwas sagen kann, greife ich ein.

《Ich möchte auch etwas zu Johns Frage sagen.》entgeistert, sowie auch begeistert starrt John mich an. Holly hingegen wirft mir hasserfüllte Blicke zu.《Ich will aber auch etwas sagen.》《Du würdest die Geschichte aber verdrehen.》《Genauso wie du. Jeder nimmt die Sachen doch aus seiner eigenen Perspektive wahr. Außerdem habe ich zuerst etwas gesagt.》Verdammt, dagegen konnte man nichts erwidern.

Marilyn schaltet sich ein.《Da hat Holly Recht. Dann leg mal los.》Murrend gebe ich nach und lasse sie erzählen.《Es fing alles so an, dass Noah mich angesprochen hat. Das war in der Bibliothek.》Marilyn macht sich währenddessen Notizen. Ihr Stift kitzelt unaufhörlich auf dem kleinen Blatt Papier. Hat sie sich schon mal überlegt ihre Notizen digital aufzubewahren?《Und wann genau war das?》hakt John nun ein. Marilyn gibt ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen.《Lass sie doch erzählen John, du weißt gar nicht, wie besonders das ist.》Ich sehe wie Holly ein vorsichtiges Grinsen unterdrückt.

Seufzend fährt sie fort.《Irgendwann im Dezember glaube ich. Aber was tut das schon zur Sache?》Sie wirft John einen verständnislosen Blick zu. Ich grinste. Ich liebe es, wenn die Leute meinen Therapeuten ärgern.《Jedenfalls haben wir uns kennengelernt und sind Freunde geworden an besagtem Tag im Dezember. Doch dann brach Noah zusammen und zwei Wochen hörte ich nicht von ihm. Und dann plötzlich tauchte er wieder auf um mich davor zu bewahren mich selbst zu verletzen. Ich war so wütend. Ich habe ihm schreckliche Dinge gesagt und dann, dann habe ich begriffen, dass er mir nur helfen wollte und hatte ihm eigentlich schon in meinen Gedanken verziehen, doch dann sagte er all diese schrecklichen Dinge. Und dann dachte ich, ihn als Freund, nicht verdient zu haben. Und jetzt, jetzt sitze ich hier. Und die Freundschaft, die wir mal hatten, ist zerstört.》

Ich sitze da. Die ganze Zeit sitze ich wie versteinert da. Stumm wie ein Fisch höre ich zu und verstehe. Ich verstehe alles und dann hasse ich mich. Sie hat mir verziehen. Schon lange und ich habe es ruiniert, nachdem ich meinen ganzen Hass an ihr ausließ. Es ist alles ein verdammtes Missverständnis gewesen.Und jetzt sitzen wir hier. Jetzt sind wir hier und haben uns gegenseitig bombardiert und die Bomben scheinen uns auszugehen und es wird zu einer Art Waffenstillstand aifgerufen, indem man versucht den jeweils anderen zu verstehen und eine Lösung für das Problem zu finden.

Ich lasse die Worte sacken. Ihre Worte. Und wenn ich jetzt allein gewesen wäre, wären da Tränen in meinem Gesicht. Ich würde weinen, weil alles so dumm ist und Menschen sich manchmal ohne Grund zerstreiten. Wir sind auseinander gedriftet und jetzt sitzen wir hier und machen uns Vorwürfe. Will sie überhaupt noch mit mir befreundet sein, nach all den falschen Worten? Nach all den Bomben, die ich auf sie abgeschossen habe?

Ich bin schuld. Hätte ich ihr doch nur mehr Zeit gegeben. Hätte ich sie doch nur versucht zu verstehen. Hätte ich doch nie diese Worte gesagt. Hätte ich doch nur nachgedacht. Ich bin schuld und ich habe den Fehler gemacht zu denken, nur sie wäre es. Doch wir sind es beide, nur scheint mir mein Anteil höher. Ich bin schuldiger als sie nach allem.

Ich bin derjenige gewesen, der nicht erkannt hat, dass nur ein Abbild Hollys sprach, als sie mir all die Worte wie Bomben zugeworfen hat, damals vor langer Zeit in einem Krankenzimmer. Ich bin dumm, so dumm gewesen und jetzt wo ich es endlich erkenne, fühle ich mich noch schuldiger und dümmer als sonst.

Mein Therapeut durchbohrt mich mit Blicken und da fällt mir ein, dass ich irgendetwas erwidern muss. Da fällt mir auf, wie sehr ich gerade in meine Gedanken vertieft gewesen bin. Fahrig drehe ich mich zu Holly um.

《Es tut mir so schrecklich leid und wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich meine Worte ungeschehen machen. Aber das kann ich nicht und deshalb kann ich nur sagen, dass es mir leid tut. Es tut mir so leid. Meine Worte, mein fehlendes Verständnis für dich. Es tut mir alles so leid, dass ich nicht einmal erwarte, dass du meine Entschuldigung noch annimmst.》Verzweifelt werfe ich die Hände in die Luft.《Das alles ist meine Schuld. Ich habe verlernt dir zuzuhören und es tut mir leid.》

Mir einem Ausdruck von Überraschung schaut Holly mich an. 《Sollte ich mich nicht eher bei dir entschuldigen? Nach allem war ich doch diejenige, die das alles ausgelöst hat. Du hast es nur fortgeführt.》

How to liveWhere stories live. Discover now