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❄︎𝗛𝗼𝗹𝗹𝘆❄︎

Die folgende Woche besteht aus Langeweile und dunklen Gedanken. Ich lese ein Buch, doch nach einem Tag bin ich durch und habe keinen neuen Lesestoff mehr. Ich habe auch keine Lust die Krankenschwestern zu fragen, ob sie mir ein Buch aus der Bibliothek bringen können, denn ich würde von ihnen bestimmt nur einen Ratgeber um wieder glücklich zu werden, bekommen.

Mrs May kommt jeden Tag und bringt mir mein Essen. Doch sie tut noch so viel mehr als das. Sie erzählt mir ihr Leben und was in der Welt außerhalb der Klinik gerade passiert. Sie zeigt mir auf ihrem Handy Bilder von ihren Kindern und nimmt mich in den Arm, wenn ich aufgrund meiner Schuldzuweisung wieder weinen muss. Mrs May ist das pure Leben und ich der dunkle Tod. Es waren meine Hände am Lenkrad. Meine Schuld. Ich habe sie nicht verdient. Ich habe Summer nicht verdient. Ich habe niemanden verdient.

Niemanden außer den Tod.

Immer wenn sie mir auf ihrem Handy Bilder zeigt, wird mir bewusst, dass ich keines mehr habe. Es wurde mir zu Beginn abgenommen. Wie sehr ich den Anblick eines Bildschirmes manchmal noch vermisse, doch eigentlich habe ich auch kein Recht darauf. Ich habe auf gar nichts ein Recht, außer auf den Tod.

Wenn Mrs May verschwindet werde ich wieder traurig und in mich gekehrt. Alle Wärme scheint zu verschwinden und dann wirkt der Raum so kalt. So eiskalt, denn im Grunde sind Menschen auch nur angenehme Ablenkungen.
Doch ich weiß, dass es richtig so ist, denn ich habe das alles nicht verdient. Ich habe das Gefühl glücklich zu sein nicht verdient. Ich habe nur ein Anrecht auf diese emotionale Düsternis und die Leere und den Tod.

Mit diesen Gedanken schlafe ich ein und überlebe die Woche irgendwie. Manchmal wache ich schreiend auf, weil der tote Junge mich heimsuchen kommt. Dann weine ich und verabscheue mich gleich darauf wieder. Ich sollte nicht weinen. Es war meine Schuld. Es ist nur gerecht, dass er mich in meinen Träumen findet.

Nach einer Woche gehe ich das erste Mal wieder zu Mrs Clark. Sie schaut mich an. Stille befällt den Raum. Eine leere trostlose Stille. Dann beginnt Mrs Clark zu reden.《Weißt du, wieso ich diesen Job hier mache?》fragt sie fahrig. Ich bleibe stumm. Es war keine an mich gerichtete Frage. Vielmehr eine selbstgestellte Frage, auf die keine Antwort erwartet wird.

Ich sitze da und warte. Warte, dass sie fortfährt und mir erzählt, warum sie hier arbeitet. Warte auf die Standartantwort, dass sie Menschen wie mir doch nur helfen will. Doch das ist nie nur der Grund. Der Mensch an sich tut nie so etwas Selbstloses und hilft nur Anderen anstatt sich selbst. Der Mensch an sich ist nicht nur sozial, da ist noch diese andere Seite. Diese verdeckte egoistische Seite. Und wir verstecken diesen Teil von uns, weil es alle Anderen auch tun. Weil es der Wille der verdammten Gesellschaft ist.

Und wir malen uns weiß an, damit das Graue nicht durchschimmert. Damit wir den Schein der Perfektion wahren können. Doch die Wahrheit ist, dass wir alle unterschiedliche Schattierungen von grau annehmen, nur ich bin schwarz. Tiefschwarz. Kohlrabenschwarz. Schwarz.

Mrs Clark blickt immer noch in die Leere, wie als hätte sie die Antwort auf ihre Frage verloren. Wie als würde sie sie immer noch suchen. Leer und nachdenklich ist ihr Blick. Sie scheint in einer anderen Welt zu sein, vielleicht in ihrer Eigenen.

Ich werfe einen Blick auf die große an der Wand hängende Uhr. Leise tickt sie hin und her. Noch 45 Minuten, dann habe ich es geschafft.

Ich lausche dem Ticken, was soll ich auch sonst lauschen? Es tickt wie ein Herzschlag. Nur hört dieser Herzschlag nicht auf. Die Zeit wird auch noch ticken, wenn wir alle längst Asche und Staub sind, denn die Zeit ist endlos. Nicht so wie das Leben. Nicht so wie das Leben des kleinen Jungen.

Ein Schrei zerreißt die Luft. Ich springe auf. Da schreit jemand. Ich muss ihm helfen, doch die Tür ist verschlossen und Mrs Clark greift mich am Arm. 《Holly, wo wolltest du denn hin?》Ich löse meinen Griff von der Klinge. 《Haben sie es nicht auch gehört?》frage ich verwundert.《Was gehört?》erwidert sie. 《Den Schrei!》helfe ich ihr auf die Sprünge. Sie muss ihn doch gehört haben. Ich kann doch nicht die Einzige sein. 《Da war kein Schrei.》antwortet sie verwirrt und entschlossen zugleich.《Hattest du eine Halluzination?》fährt sie besorgt fort. Sie kommt mir näher, immer näher. Ich denke nach. Dann nicke ich.《Ja, ja vermutlich war es das.》bekräftige ich mich.

Ich seufze innerlich. Jetzt habe ich auch schon Halluzinationen. Es wird immer besser. Und wenn ich genauer darüber nachdenke, klang der Schrei nach dem kleinen Jungen. Es war eine Halluzination. Nur ein Trugbild.

Mrs Clark notiert sich etwas. Offenbar ist sie wieder im Psychologenrhythmus. Die folgende Stunde besteht aus Fragen über Fragen, doch diesmal werde ich nicht laut.

Ich lächele innerlich. Immerhin etwas. Meine Emotionen sind wieder kontrollierbarer.

Schließlich endet die Stunde und Mrs Clark entlässt mich lächelnd und erzählt mir, ich habe einen sehr kleinen Fortschritt gemacht. Dabei war es alles nur Schauspiel und nichtmal meine Therapeutin bemerkt es. Meine Therapeutin, die dafür ausgebildet wurde, Leute zu durchschauen. Leute wie mich. Doch sie kann es nicht. Mein Schauspiel war zu gut. Ein kleines Lächeln will auch meine Lippen umspielen, doch plötzlich zuckt es zurück. Ich habe dieses Lächeln nicht verdient.

Eine leere Maske weicht meiner kurzweiligen Glückseliglichkeit. Leer und mit hängenden Schultern gehe ich von dannen.

Ich bin ein hoffnungsloser Fall. Wirklich wertlos. Ein Nichts.

⌨︎A/N☕︎
Holly is kinda depressed and I'm feeling kinda sorry for her. Ihr auch?

Aber das ist ja auch erst das vierte Kapitel. Da wird sich im weiteren Verlauf langsam noch etwas ändern.

Im Moment muss leider noch jedes Kapitel traurig enden.

How to liveWhere stories live. Discover now