Prolog

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❄︎𝗛𝗼𝗹𝗹𝘆❄︎

2 Wochen zuvor

Ich sitze auf dem kalten Eis. Mein Blick wandert hinab. Es geht tief hinunter. Wirklich sehr tief. Das Loch ist wirklich sehr groß. Vor mir liegen Lichter. Viele Lichter mit einer falschen Hoffnung. Die Menschen hinter diesen Fenstern. Alle mit ihrem Optimismus und dem aufgesetzten Lächeln im Gesicht. Doch was nützt uns Optimismus, wenn unsere eigene kleine Welt in Stücke zerbricht? Was nützt uns da noch positives Denken? Was nützt es uns, immer nur das Gute in Dingen zu sehen, wenn es nichts Sehenswertes mehr gibt?

Meine Welt ist schon vor langer Zeit in viele kleine Stücke zerbrochen. Vor einem Jahr und einem Tag um genau zu sein. Ich kann die Bilder noch immer vor mir sehen. Ein Junge,  ein wirklich kleiner Junge und Blut, soviel Blut und junge Eltern, junge schreiende Eltern und Ich, Ich in einem Auto, an dessen Reifen Blut klebt. Ich schüttele mich. Ich kann es nicht mehr sehen und dennoch habe ich es verdient, von diesen Bildern in meinen Träumen heimgesucht zu werden. Ich habe es verdammt noch einmal verdient.

Ich schaue wieder hinunter. Wie kalt das Wasser wohl sein mag? Ob es wehtun wird? Ob es schnell gehen wird? Ob ich es wirklich tun soll?

Nein, tue es nicht! schreit die Stimme der Vernunft. Doch ist sie wirklich so vernünftig wie sie immer vorgibt zu sein? Soll ich wirklich noch für einen Tag länger auf sie hören, wenn dieser eine Tag mehr ein erneutes durchleben der Dinge bedeutet? Ich kann nicht mehr und ich will auch nicht mehr. Ja tue es. Ruft die andere viel größere Stimme in meinem Kopf. Fast nie habe ich auf sie gehört. Immer habe ich sie ignoriert und nun stehe ich hier und erkenne, dass nicht immer die Stimme der Vernunft die richtige Wahl im Leben ist. Manchmal ist es auch diese andere von Impulsen geleitete Stimme.

Ich erhebe mich und trete an die Kante. Meine Wahl steht fest. Heute werde ich, Holly Evans, sterben. Zwei Schritte trennen mich nun noch vor dem sicheren Tod oder ist es nicht viel eher die Erlösung von allem Leid?

Noch einmal schaue ich diese Welt vor mir an. So fern liegt sie und doch so nah. Nur einen Sprung ist sie entfernt und doch unerreichbar. Wie fremd mir diese Welt doch geworden ist, obwohl ich mich mittendrin befinde. Die Gesellschaft hier ist wie ein Strom, doch ich habe verlernt in ihr zu schwimmen.

Es sind 19 Jahre hier gewesen, Welt. Doch nun muss ich leider gehen. Ich trete noch einen Schritt vor. Danach noch einen und dann stehe ich am Rand des Eiswassers. Nichts trennt mich mehr von der Freiheit, die mich dort unten erwartet. Ich werde keine schöne Leiche abgeben. Was wohl nach dem Tod kommen wird? Ob dort überhaupt noch irgendetwas ist?

Der Wind umtost meine rabenschwarzen Haare ein letztes Mal wie ein Abschiedskuss. Ich atme ein und wieder aus und dann lasse ich mich einfach nach vorne fallen. Tschüss Welt.

How to liveWhere stories live. Discover now