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❄︎𝗛𝗼𝗹𝗹𝘆❄︎

Nach verlassen des Frühstückssaales wird mir wieder kalt und alle Wärme, die Summer verströmt hat, ist verschwunden. Mein Lächeln verblasst und macht einem leeren Ausdruck Platz. Die Krankenschwester, die mich schon hinein begleitet hat, reicht mir beim hinausgehen meinen neuen Stundenplan.

Ich seufze. Ab heute nehme ich an Gruppentherapie teil. Beziehungsweise zwingt man mich dazu. Als ob sie mir eine Wahl hier ließen. Nun ist der Part, in dem auf meinen introvertierten Charakter geachtet wird wohl endgültig vorbei. 《Sonntags ist Besuchstag.》teilt die Frau mir auf dem Weg in mein Zimmer mit. Ich nicke nur unfähig etwas zu sagen. Immer noch in Gedanken und meinen Stundenplan vertieft.

In meinem Zimmer angekommen, gehe ich zunächst duschen und kann mich dann endlich anziehen. Früher habe ich Stunden im Bad verbracht, hier kann es sich nur um Minuten handeln. Früher war ich stylisch, immer im Trend, doch hier ist es egal wie ich aussehe, da hier jeder fehlerhaft sein darf. Hier ist die Gesellschaft anders. Hier achtet niemand darauf wie ich aussehe. Hier darf ich mit dunklen Augenringen und blasser Haut herumlaufen. Hier achtet niemand auf den Schein der Perfektion. Hier kann ich wie eine psychisch Kranke aussehen, wie ich laut den Ärzten betitelt werden darf. Natürlich würden sie mich niemals so ansprechen.

Doch ist es wirklich so psychisch krank, sich von seiner Schuld befreien zu wollen? Ist es wirklich so falsch, sich selber ein Gefängnis zu erbauen, wenn das Gesetz es nicht tut? Ist es wirklich so gestört? Es war meine Schuld. Dieser ganze Unfall war meine Schuld und es ist nur eine Frage der Zeit, bis mich diese Schuld zerfrisst. Oder hat sie das nicht schon längst?

Verdammt, ich habe diesen kleinen Jungen umgebracht. Verdammt, ich bin eine Mörderin. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel gucke, sehe ich mich. Eine Mörderin. Eine junge Frau, die ein unschuldiges Kind überfahren hat. Blut klebt an ihren, nein an meinen Händen. Es klebt dort schon seit einer ganzen Weile. Es klebt an mir seit einem Jahr und 16 Tagen und es ist nicht getrocknet, es ist nicht verschwunden. Kein Wasser kann es abwaschen. Nichts hilft gegen den Schmutz auf den weißen Händen der Frau, nein mir. Ich bin die Frau, die nicht schuldig gesprochen wurde. Der man nachsagte, es sei ein Unfall gewesen. Doch es waren meine Hände am Lenkrad. Es war mein Reflex, der mich im Stich gelassen hat, als es darum ging die Bremse zu ziehen. Verdammt, ich hasse diese Frau. Verdammt, ich hasse mich selbst. Ich würde mir jetzt gerne wehtun und meinen Kopf gegen die Wand schlagen, doch hier sind Kameras. Ich würde mich nur noch tiefer in Schwierigkeiten bringen, als ich es eh schon bin.

Im Hoodie und Jeans verlasse ich mein Zimmer. Als erstes habe ich eine einsame Stunde mit meiner Therapeutin Mrs Clark. Kontrolle brauche ich nun. Ich darf nicht schon wieder rumschreien. Ansonsten klinge ich nur noch mehr nach der Irren, für die sie mich so oder so schon hält.

Wie erwartet sitzt sie schon an ihrem Tisch, mit den Fingern auf die Platte trommelnd. Ich bin ihr neues Projekt, ihr neuer ungelöster Fall, nur dass ich tatsächlich unlösbar bin. Sie richtet sich auf. 《Hallo Holly.》begrüßt sie mich freundlich. Ich murmele ein kurz angebundenes ebenfalls Hallo und setze mich. Ihre Freundlichkeit ist nicht echt. Es ist viel eher eine Höflichkeitsform, die mir kaltherzig erwiesen wird. Irgendwie werde ich diese 120 Minuten schon über mich bringen. 120 Minuten jeden verdammten Tag.

Die ganze Stunde über redet Mrs Clark. Sie diskutiert mit mir und hinterfragt jede meiner Antworten. Irgendwann endet das Ganze wie sonst auch. Ich werde immer lauter. Irgendwann schreie ich, weil sie mich nicht versteht und nicht verstehen will. Verdammt, ich wollte doch nicht schon wieder laut werden. Verdammt, wieso kann ich mich nicht kontrollieren? Verdammt, wieso sind meine Emotionen so offensichtlich seit ich in diesem viel zu hellen Raum auf einem viel zu bequemen Stuhl sitze und mein Leben mit unnötigen Fragen füllen lasse?

Geduldig wartet meine Therapeutin, deren einziges Ziel es ist mich zu reizen. Ist das ihr einziger Job? Dort die ganze Zeit rumzusitzen und depressive Leute zu fragen, warum sie so denken, wie sie denken? Wie traurig ihr Job doch ist. Wie oft sie doch denken muss, einen Fall gelöst zu haben um dann erneut enttäuscht zu werden. Und das werde ich für sie auch sein. Eine weitere Enttäuschung.

Sie hört mir zu und als ich zu heiser bin um noch irgendetwas zu erwidern, sagt sie ganz sachlich《Ich möchte, dass du Tagebuch schreibst, Holly, jeden zweiten Tag mindestens. Ich werde mir deine Einträge nicht durchlesen. Sie bleiben privat. Ich möchte nur, dass du es schreibst. Ich werde dir dafür auch eine Stunde mit mir streichen.》

Ich erhebe mich. Mein Kopf bewegt sich auf und ab und ich lasse mir von ihr ein kleines Büchlein geben, auf dem Diary steht. Früher hätte ich es wunderschön gefunden und in den Sternen meine Träume gesehen, doch heute ist es nur ein Sternenhimmel. Ich nehme das Buch an mich und verlasse den Raum. Ich bin entlassen.

Auf den Gängen fühle ich mich wieder leer. Nicht einmal traurig bin ich. Nur leer wie das Universum. Ich schaue auf meinen Stundenplan. Ich habe nun Pause für 15 Minuten. Ich will nach meinem Handy greifen um mir die Langeweile zu vertreiben und die Leere mit irgendetwas zu füllen, doch es ist nicht da. Sie haben es eingezogen um mich von der Außenwelt abzugrenzen, erklärten Sie. Sie ratterten es herunter, wie ein auswendig gelerntes Gedicht. Nur waren an die Stelle von Poesie und Romantik Regeln getreten.

Letztendlich beschließe ich zur Bibliothek zu gehen. Dort ist es immerhin still und ruhig und ich habe Bücher zur Ablenkung. Auf dem Weg in die Bibliothek höre ich plötzlich Schritte. Schnelle viele ungeduldige Schritte. Und Stimmen. Aufgeregte angespannte Stimmen. Weit weg sind sie, doch ich kann sie trotzdem hören. Sie hallen förmlich durch die Flure, sodass jeder im Umkreis von 100m sie hören kann.

《Ein Junge, 20 Jahre alt, schwer verletzt, er soll bald zu uns kommen. Hat offenbar versucht aus dem Fenster zu springen, ist jedoch gut aufgekommen, sodass er nicht gestorben ist.》Stille, dann《Wann kommt er zu uns?》fragt eine männliche Stimme. 《Er hat eine schwere Gehirnerschütterung und einige Prellungen und Platzwunden, also denke ich in einer Woche.》Aufgeregtes Flüstern, unverständliches Gemurmel《Wie ist sein Name?》fragt die tiefere Stimme.

《Noah, Noah Young.》erwidert die höhere Stimme.

Dann kommen die zwei Männer um die Ecke und ich tue schnell so wie als würde ich mir den Schuh binden. Die Männer scheinen mich gar nicht zu wahrzunehmen und laufen einfach an mir vorbei. Ich bin ein Niemand für sie. Nur eine weitere depressive junge Frau mit Suizidgedanken.

Ein Niemand.

⌨︎A/N☕︎
Wer Noah Young wohl ist?

Na kommt euch der Name aus den Aestetics noch bekannt vor?

Ich kann nur sagen, bald werde ich die beiden zusammenprallen lassen wie die Seiten eines Buches.

How to liveWhere stories live. Discover now