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❄︎𝗛𝗼𝗹𝗹𝘆❄︎

Eine weitere Woche zieht sich in die Länge und als sie vorbei ist, kann ich gar nicht glauben, dass sie so schnell zu Ende gegangen ist. Es ist seltsam, diese Zeit. Jeden zweiten Tag drücke ich meine nicht vorhandenen Emotionen in meinem Tagebuch aus und gehe zur Einzeltherapie.

Heute ist Montag, der 14. Dezember, was heißt, dass nun eine erneute Rückführung ins soziale Leben starten wird. Diesmal bin ich angezogen und geduscht. Nie wieder möchte ich mich so blamieren. Niemals mehr darf so etwas passieren. Ich werde nicht noch einmal im Schlafanzug in der Mensa stehen. Es klopft. Eine namenlose  Pflegerin betritt den Raum. Mrs May sei krank, erzählt sie mir.

Bedrückt lasse ich den Kopf hängen und denke doch gleichzeitig, dass es nur gerecht so ist. Ich habe Mrs May nicht verdient. Doch Mrs May hat es genauso wenig verdient krank zu sein. Das Schicksal ist unfair, genauso wie das Leben.

Ich folge ihr leise aus der Tür, die ich bedacht schließe. Wir laufen Gänge über Gänge entlang. Man könnte es auch ein Labyrinth nennen. Jeder Gang enthält unterschiedlich viele Abzweigungen und sieht gleich aus. So grau sind die Flure hier. So grau. Alles ist so grau hier. Sogar der Rasen vor dem Gebäude wirkt grau.

Schließlich kommen wir im Speisesaal an. Ich schaue mich um. Ich suche alle Tische nacheinander ab. Wo ist Summer? Doch so sehr ich meine Augen auch anstrenge, ich kann sie nirgendwo finden. Enttäuscht reihe ich mich in die lange Schlage vor der Essensausgabe ein. Summer wo bist du?

Plötzlich legt sich das Geplänkel von Geschirr im Raum und die Leute beginnen zu wispern. 《Da ist ein Neuer. Guck da.》vernehme ich von einem pinkhaarigem Mädchen vor mir.

Ich drehe mich um und mir stockt der Atem.

Das erste, was ich wahrnehme sind grüne Augen. Grüne Augen, die den Raum abscannen. Grüne Augen, die gleichzeitig leer und voll sind. Grüne Augen, die so angefüllt mit neuen Eindrücken und Emotionen sind und doch der Leere eines schwarzen Loches gleichen. Grüne Augen, die so viel mehr aussagen, als Worte es jemals vermögen und gleichzeitig so unergründlich und groß wie das Universum sind.

Wenn ich in seine Augen blicke, sehe ich ein Mysterium, das ich näher ergründen möchte. Ich möchte wissen, wieso diese Augen das Licht der Welt nicht mehr länger ertragen konnten. Ich möchte wissen, wieso er hier ist. Ich möchte wissen, wieso er einer von uns ist und wieso auch nicht.

Und dann verschwinden die grünen Augen. Sie blinzeln für einen Moment. Dann sind sie wieder da und bewegen sich. Sie reihen sich in die Essensschlange ein, gucken über Köpfe hinweg und sehen dann mich. Einen Augenblick verharren sie dort und weiten sich kurz wie als würden sie etwas an mir erkennen. Habe ich mir das eingebildet? Oder war es echt?

Es war keine Realität. Nein, es kann keine Realität gewesen sein. Seine Augen kennen mich nicht. Das können sie gar nicht. Ich kenne ihn nämlich nicht. Und doch wirken seine Augen vertrauensvoll. Und doch kommt er mir bekannt vor.

Mein Blick fängt seinen ein und bleibt dort. Blaue Augen starren in Grüne. Dann sind die Augen fort. Wieder bei einer anderen Person.
Ja, es war Einbildung. Eindeutig Einbildung.

Wahllos nehme ich mir ein Croissant und Porridge zusammen mit einem schwarzen Tee. Ich setze mich an irgendeinen Tisch und löffele leicht abwesend mein Frühstück. Irgendwann setzt sich jemand zu mir. Ich schaue kurz auf, doch es ist nicht Summer. Nur irgendein wortkarger Junge, der genauso wenig wie ich reden will. Schweigend starren wir uns an und essen unser Brot.

Schließlich verlasse ich den Raum. Das Gelächter verschwindet und man hört nur noch meine Schritte und die der Pflegerin vor mir. Ich gehe in mein Zimmer und putze mir die Zähne.

How to liveWhere stories live. Discover now