Kapitel 25

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„Ulf!"

Ich erkannte ihn kaum wieder. Ein dunkler Schatten lag unter seinen Augen. Jemand hatte ihn an einen Pfahl im Boden des Zeltes gekettet. Bevor ich auf ihn zulaufen konnte, hielt mich eine Hand zurück. Ich wandte mich um zu Astor, der mich an der Uniform festhielt. Für einen Moment funkelte ich ihn an, bis mir die anderen Krieger im Zelt auffielen, die mich bereits merkwürdig anstarrten.

Ich räusperte mich.

Ulf hob seine gequälten Augen. Sein Blick versetzte einen Stich in meine Brust und Astors Hand an meinem Rücken verwandelte sich in Halt, der mich auf den Beinen hielt. Hinter uns öffnete sich das Zelt und der Geruch einer Wölfin mischte sich hinein.

Ich weitete die Augen, als sie auf Ulf zulief. Ein Teil seines Leids verwandelte sich in Erleichterung, als er seine Gefährtin erkannte. Sie fiel vor ihm auf die Knie und schmiss ihre Arme um ihn. Durch die Fesseln an seinen Händen konnte er die Umarmung nicht erwidern, doch er schloss die Augen und atmete tief ein.

„Sie- sie haben Alice. Es tut mir so leid, ich konnte nichts tun!"

Schluchzer schüttelten den Körper der Wölfin. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich dabei zusah, wie sie ihr Herz vor Ulf ausschüttete mit aller Schuld, die sie fühlte. Astor ließ meinen Rücken los und stellte sich halb vor mich, sodass mich die anderen Krieger nicht mehr mustern konnten. Vielleicht hätten sie sonst meine gläsernen Augen gesehen.

„Es- es tut mir so leid."

Ihre Klage brach mir das Herz. Sie hatten ihr einziges Kind, Alice, an den Feind verloren, ohne zu Wissen, ob sie noch lebte. Ich packte von hinten Astors Unterarm, als könnte er mir Stabilität geben. Was war, wenn sie...

„Shh", raunte Ulf und ich konnte sehen, wie er seine eigene Trauer unterdrückte. „Es ist nicht deine Schuld. Du hast alles getan, um sie zu beschützen. Das weiß ich. Wir schaffen das. Wir werden sie zurückholen, versprochen."

Seine Stimme war sanft und die Schluchzer seiner Gefährtin beruhigten sich ein wenig. Langsam löste sie sich aus seiner Umarmung und wandte sich zu uns herum. Ihre Augen waren knallrot und frische Tränenpfade lagen auf ihren Wangen. Sie drehte sich zu Astor. Sofort ließ ich meinen Arm fallen und er trat einige Schritte vor.

„Macht ihn los", befahl er den Kriegern. „Wir werden alles tun, um sie zurückzuholen. Wir brauchen aber ein Bild und ihr Alter."

Die eisernen Ketten lösten sich um Ulfs Handgelenke und klirrten auf den Boden. Er schloss seine Gefährtin in eine richtige Umarmung, bevor er sich zu Astor wandte.

„Danke", sagte er mit rauer Stimme und zog das Bild aus seiner Brusttasche. „Das ist Alice Dohn. Sie ist vier Jahre alt."

Bei seinen Worten presste seine Gefährtin die Lippen aufeinander, als neue Tränen aus ihren Augen schossen. Astor nahm es entgegen und zum zweiten Mal warf ich einen Blick auf die Graphitzeichnung.

Ein Lächeln lag auf dem Gesicht des Mädchens.

Zu dem Zeitpunkt war die Welt noch in Ordnung. Astor starrte einige Sekunden auf das Bild, bevor er es an den Krieger mit langen Haaren, Lannis, weiterreichte.

„Wir brauchen noch etwas mit ihrem Geruch", sagte Astor und Ulfs Gefährtin trat hervor. Aus der Tasche ihres Kleides zog sie eine babyblaue Schleife. Sie wischte sich hastig die Tränen weg, bevor sie dem General das Haarband überreichte.

„Hier, die hat sie immer getragen. Das war ihre liebste..."

Ihre Stimme brach mitten im Satz ab. Ulf kam neben ihr zum Stehen und legte seine Arme um sie. Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Brust, während er beruhigend durch ihre Haare strich.

Die Auserwählte des KriegersWhere stories live. Discover now