Kapitel 1

12.4K 523 57
                                    


Wie viele von euch schon angemerkt haben ist das hier eine von Mulan inspirierte Geschichte. Es hat mich dazu gebracht eine etwas andere Version daraus zu machen (und damit meine ich nicht nur den Werwolf-Teil) , aber lest selbst :) 


Enjoy!


...


12. Samstag der 9. Mondzählung:


Frischer Tau löste sich von den Blättern, die gerade erst zu wachsen begannen. Ich atmete die Waldluft ein, während eine morgendliche Brise um mich tanzte. Sonnenstrahlen zeigten sich zwischen den Stämmen und ließen die Vögel in den Bäumen aufgeregt zwitschern.

Endlich Frühling.

Die ersten Blumen wagten sich zurück auf die Lichtung zwischen die nassen Grashalme. Ich schloss die Augen und lauschte den Klängen des Waldes, die aus ihrem Winterschlaf erwacht waren. Trotz der Sonne bestand mein Atem aus kühlem Nebel.

In der Ferne konnte ich ein Rascheln hören und die Neugier gewann mich für sich. Ich schlich über den Blätterboden und meine Instinkte leiteten mich zu der Quelle.

Vorsichtig spinkste ich an einem der großen Bäume vorbei auf die Lichtung, die von Sonnenstrahlen geflutet war. Mittendrin, als wollte er sich präsentieren, stand ein Hirsch mit riesigem Geweih. Er genoss das saftige Gras, völlig unbekümmert von meiner Präsenz.

„So ein majestätisches Tier, nicht?"

Seine Stimme war sanft und sehr darauf bedacht, den Hirsch nicht zu verscheuchen. Ich drehte mich um. Vater hatte ein leichtes Glänzen in den Augen, die schneeweiß waren. Trotz seiner Erblindung konnte er jedes Tier nur an seinen Schritten und dem Geruch erkennen.

„Ja, man könnte beinahe meinen er wäre der Hüter", sagte ich lächelnd. Doch anstatt einer Beschwerde kamen nur alte Weisheiten über seine Lippen.

„Der Hirsch ist nicht der Hüter. Die Gazelle regiert schließlich auch nicht über die Savanne. So wie der Löwe der König der Wüste ist, so ist der Wolf der Herrscher über den Wald."

Ich blickte auf den Erdboden zwischen uns, unter dem das Wurzelreich der Bäume schlummerte. Hektisch erklangen dumpfe Pfoten, die in kurzer Entfernung darüber huschten.

Ein Hase.

„Ah, ich liebe den Frühling", sagte Vater, schloss seine Augen, durch die er sowieso nichts sehen konnte und streckte sein Gesicht in die Sonne. „Langsam erwacht wieder alles zu frischem Leben. Das Alte ist gestorben, damit das Neue wachsen kann."

Schritte nährten sich zusammen mit dem Geruch von frischen Kräutern.

„Hältst du schon wieder Reden?", fragte Mutter hinter mir und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Schatz, bringst du die Heilpflanzen für mich ins Dorf? Mit dem Geld kannst du neuen Stoff kaufen."

„Natürlich", sagte ich aufgeregt und nahm die lederne Tasche entgegen. Der Geruch von Kamille, Rosmarin und Brennnessel kamen mir entgegen, bevor ich sie fest verschnürte. Es war Ewigkeiten her, dass ich im Dorf war. Stoffe und Kleidung waren eine der wenigen Dinge, mit denen uns der Wald nicht versorgen konnte.

Dafür mit Kräutern und anderen Pflanzen, die zu Arznei verarbeitet werden konnten. Früher war Mutter selbst eine Heilerin gewesen, bevor sie sich in den westlichen Wald begeben hatte auf der Suche nach frischer Medizin.

So hatten sie sich kennengelernt.

„Dann mache ich mich jetzt auf den Weg", sagte ich und warf einen letzten Blick auf meine Eltern. Trotz seiner Blindheit kannte Vater jeden Zentimeter seines Waldes, jeden Baum, jede Wurzel und jedes Tier. Als Hüter der westlichen Länder musste er das wohl.

Die Auserwählte des KriegersWhere stories live. Discover now