Kapitel 2

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:)


Komplett verdattert verließ ich den Marktplatz und machte mich auf den Weg durch die Geistergassen. Die Schriftrolle hielt ich verkrampft zwischen meinen Fingern. Alpha Udyr wollte eine Armee aus Kriegern, und was der Alpha wollte bekam er auch.

Einen Mann aus jeder Familie.

Die Worte sickerten langsam in mein Gehirn. Der einzige Mann war mein Vater. Mein Herz verkrampfte sich. Er konnte nicht zur Armee. Er war blind. Wie sollte er kämpfen auf fremden Territorium?

Er würde sterben.

Ein Stein drückte in meiner Kehle und machte das Atmen schwer. Das konnte ich nicht zulassen. Er konnte nicht gehen. Wir brauchten ihn, der Wald brauchte ihn. Ich versuchte zu Schlucken, doch mein verstopfter Hals ließ nichts durch.

Ich war entbehrlich.

Ich war kein Hüter und kein Heiler.

Ich blickte auf die Schriftrolle in meiner Hand. Wenn ich gehen würde...

Plötzlich spürte ich frische Tränen, die auf das weiße Papier platschten. Ein Teil von mir wollte sich wehren, doch ich wusste genau was ich zu tun hatte. Leise liefen die Tränen an meinen Wangen hinunter, als ich in den Himmel blickte. Mutter und Vater würden es ohne mich schaffen.

Ich musste es tun.

Meine Emotionen überrannten mich und plötzlich spürte ich meine Knochen brechen. Ich ließ die Schriftrolle fallen. Mein Kleid zerriss wie Papier, als meine Urinstinkte die Oberhand gewannen.

Meine Wölfin schnappte nach der Ledertasche und der Rolle, bevor sie zurück in den Wald sprintete. Das Paradis aus saftig grünem Laub und erdigem Geruch verschlang mich.

Vielleicht ein letztes Mal.

All das würde ich hinter mir lassen und vielleicht nie wiedersehen. Meine Heimat und mein zu Hause. Ich jaulte leise, während der Wind durch mein Fell floss.

Viel zu schnell erkannte kam das hölzerne Haus in Sicht, doch ich blieb nicht stehen. In Wolfsform stieß ich die Tür auf und tapste hoch in mein Zimmer. Sofort knacksten meine Knochen auf dem Weg in ihre menschliche Form.

Ich zog ein weißes Kleid an und betrachtete die lederne Tasche und Schriftrolle auf dem Boden. Vorsichtig entrollte ich das Pergament. Es stand genau das drauf, was Delta Ivan gesagt hatte. Die feierlich gedruckten Worte sollten den blutigen Inhalt verbergen. In der Mitte war in hastigen Buchstaben unser Familienname geschrieben worden.

Van Eschwald. Hüter des westlichen Waldes.

Der Armee war diese Aufgabe nichts wert. Jede Familie musste einen ihrer Männer entbehren: Väter, Söhne, Gefährten...

Meine Finger bohrten sich so fest zu einer Faust, dass es wehtat. Das würde ich nicht zulassen.

„Dana, bist du zurück?"

Mein Blick huschte zur Tür, während mein Herz Tempo aufnahm. Bis morgen um 10 Uhr musste ich am nördlichen Lager sein. Ich musste heute Abend aufbrechen, um es rechtzeitig zu schaffen.

Mein Kopf raste mit hunderten Gedanken. Wie sollte ich verstecken, dass ich eine Wölfin war und kein Mann? Sofort glitten meine Finger durch meine braunen Haare. Fast sehnsüchtig strich ich hindurch.

Sie mussten ab.

Ich blickte an dem weißen Kleid hinunter. Ich brauchte ein Hemd meines Vaters. Mein Atem stockte, als ich an meine tierische Seite dachte.

Die Auserwählte des KriegersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt