Kapitel 27

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Plötzlich trat Beta Talon vor und sein schwerer Blick löste sich von mir. Ich atmete erleichtert auf. Ich blickte mich um. Die Schleife und das Bild von Alice waren herumgegangen, jedoch hatte ich alles von dem Plan verpasst...

„Danke General Astor. Jetzt wo der Plan steht, habe ich noch einige Worte zu überbringen", sagte er mit ruhiger Stimme, als hätte er dies schon hunderte Male getan. Er ließ uns einen Moment in völliger Stille stehen, bevor er fortsetzte. „Flussklaue hat eine Grenze überschritten, eine Grenze im wörtlichen und übertragenen Sinne. Sie sind in unser Rudel eingefallen nach wiederholten Provokationen. Sie haben eine der unseren verschleppt, ein hilfloses Mädchen, einen von unseren Welpen!"

Ich spürte, wie sie Ulf neben mir verspannte. Sein Wolf kämpfte wieder um die Kontrolle, während sich die Stimmung aufheizte und langsam den Sommertemperaturen anpasste. Doch Beta Talon war noch nicht fertig.

„Wir sind ein Rudel und wir beschützen einander!"

Laute Zustimmung brummte über den Raum hinweg. Er ging auf der Bühne auf und ab und musterte die Menge.

„Flussklaue hatte genügend Chancen, doch sie sind eine Gefahr für unser friedliches Zusammenleben! Ihr Alpha ist ein Barbar, mit dem nicht zu verhandeln ist! Wer so weit geht und hilflose Welpen aus anderen Rudeln verschleppt muss vernichtet werden, damit wieder Sicherheit herrschen kann und keine Angst!"

Meine Augen weiteten sich.

Vernichtet?

Ich blickte mich um. Die Überzeugung funkelte in den Augen der Krieger. Viele von ihnen hatten bestimmt eigene Welpen, an die sie gerade dachten. Ich sah zu Astor. Obwohl er im Schatten stand, konnte ich sehen, dass seine Mundwinkel nach unten gezogen waren.

Das konnte er nicht gutheißen, oder?

„Alice wird nächste Woche fünf Jahre alt. Ihr Vater ist hier unter uns. Holen wir sie nach Hause! Vereinen wir sie mit ihrer Familie und bestrafen wir Flussklaue für die Verbrechen, die sie an uns vollbracht haben. Dieses war das Letzte! Geht nun und macht euch bereit!"

Lauter Jubel brandete von den Wänden und die aufgeheizte Stimmung jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken. Beta Talons Blick zuckte zu mir und machte das Atmen schwer. Seine kalkulierenden Augen durchschauten mich.

Er wusste etwas.

Die Krieger begannen aus dem Raum ins Freie zu Strömen. Beta Talon nutzte den Moment und stieg von der Bühne. Er steuerte in gerader Linie auf mich zu. Ich taumelte gegen die Wand hinter mir, unfähig noch weiter zu fliehen.

„Ihr beiden könnt gehen", sagte er zu Ulf und Luke. Für einen Moment zögerten sie, als wollten sie mich nicht allein mit ihm lassen, doch ein Blick von Beta Talon reichte. Sie verbeugten sich tief und verließen als letzte den Raum. Die Tür knarrte ins Schloss, während mein Herz in unregelmäßigen Sprüngen gegen meinen Brustkorb donnerte.

Das Einzige, was mir einen Funken Sicherheit verschaffte war Astors Präsenz, die sich hinter Beta Talon aufbaute.

„Gibt es ein Problem?", fragte er und legte seinem Vater eine Hand auf die Schulter. Der Größenunterschied beruhigte mich ein Stück, doch das hielt ihn nicht ab.

„Wie heißt du?", fragte er mich mit zusammengekniffenen Augen.

„Dan van Eschwald", sagte ich so schnell ich konnte. Plötzlich schossen seine Lider zur Stirn, als hätte er das Rätsel gelöst.

„Natürlich! Jetzt weiß ich, woher ich deinen Geruch kenne", sagte er. Ein Lächeln entblößte seine Zähne, doch es erreichte nicht die Augen. „Als wir noch Kinder waren, war meine Schwester ein biestiges Stück."

Die Auserwählte des KriegersWhere stories live. Discover now