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Anni

Die Scheibenwischer machten quietschende Geräusche, die meine innere Unruhe noch verstärkten. Die Welt da draußen verschwamm im Regengrau und zeigte sich ziemlich genau so, wie sie sich aktuell auch anfühlte. Bedrückend und schwer. Dabei hatte ich sonst nie was gegen Regen und ein strahlendblauer Himmel bei meiner Ankunft wäre mir in diesen Zeiten wahrscheinlich sogar unpassend erschienen. Zumindest hatte ich dieses Mal den richtigen Moment nicht verpasst und würde gerade noch rechtzeitig zu Hause ankommen. Nochmal so einen finsteren, trostlosen und einsamen Lockdown in London würde ich auch sicher nicht ertragen. London und ich, das war von Anfang an unter keinem guten Stern gestanden. Wer hätte auch ahnen können, dass zeitgleich mit meiner Anreise dort, eine weltweite Pandemie ausbrechen würde. Falsche Zeit, falscher Ort oder einfach nur eine Reihe falscher Entscheidungen? Wahrscheinlich von allem ein bisschen. Es hatte sich von Anfang an nicht gut angefühlt, trotz allem dort zu bleiben. Aber ich hatte ein paar Tage zu lange gezögert und dann wurde es immer schwieriger von A nach B und erst recht in ein anderes Land zu kommen. Also hatte ich dort ausgeharrt und gewartet. Was fühlte sich in diesen Tagen schon noch richtig an? Es war als hätte man versehentlich auf Repeat gedrückt und alles ging wieder von vorne los. Das Virus kam mit voller Wucht zurück und begann schon wieder die Welt lahmzulegen. Ein trügerischer, oberflächlich sorgloser Sommer lag hinter uns und nun mussten wir die Rechnung mit einem deprimierendem Herbst und Winter bezahlen? Social Distancing, Isolation und Abstand. Vor einem Jahr noch hätte ich wahrscheinlich laut geschrien, nur her damit. Ich hab keinen Bock mehr auf Menschen. Doch mittlerweile wusste ich wie hart das wirklich war und wie bitter die Realität und die ganzen Auswirkungen uns alles trafen. Ich hatte mich wahrscheinlich in meinem ganzen Leben noch nie so darauf gefreut meine Familie endlich wiederzusehen. Ich blinzelte, genoss den Anblick meiner Heimatberge, die vor mir auftauchten, immer größer und größer wurden und meine Stimmung änderte sich. Manchmal wenn ich länger fort war, registrierte ich erst wieder, wie beeindruckend die Landschaft hier war. Dann blickte ich auf die kargen schroffen Bergspitzen um mich herum und verstand, wie klein und unbedeutend ich und meine Sorgen im Angesicht dieser Riesen doch waren. Auch heute blieb dieses Gefühl nicht aus. So als würden die Berge mir zuflüstern. Ach Anni, das geht schon alles wieder vorbei. Schau uns an, was wir schon alles erlebt und gesehen haben und wir sind immer noch da. Diese Logik verfing bei mir erstaunlich gut. Natürlich würde es keine einfache Zeit werden. Meine Eltern mussten das Hotel schon wieder dicht machen. Keine Einnahmen, nur Kosten, Angestellte die heimgeschickt, irgendwelche Hilfen die beantragt werden mussten und nur spärlich und viel zu spät kamen, aber immerhin konnte ich ihnen dieses Mal zur Seite stehen. Seufzend bewunderte ich den Watzmann, der mit den grauen Nebelschwaden, die um ihn herumwaberten, sogar noch mystischer und imposanter wirkte, als sonst. In meinen Fingerspitzen begann es zu kribbeln. Daheim, endlich! , dachte ich als ich den Blinker setzte und die Abzweigung zum Leitnerhof nahm. Die Straße war steil, aber relativ gut ausgebaut. Die Gäste sollten ja schließlich bei jedem Wetter hier hochkommen. Aber was für Gäste denn? - schoss es mir durch den Kopf, als ich den großen, aber gähnend leeren Parkplatz vor mir sah. Ich querte die leeren Parkflächen, fuhr am Hotel vorbei und wollte den Mietwagen neben unserem Wohnhaus abstellen. Nur war gerade mein Parkplatz besetzt. Ein schwarzer SUV mit auswärtigem Kennzeichen. Keine Gäste und trotzdem ein Falschparker? Egal. Platz war ja mehr als genug. Ich setzte den Wagen zurück und stellte ihn woanders ab. Ich öffnete die Autotür und atmete die gute Heimatluft ein. Was für ein Gefühl. Am liebsten hätte ich mich sofort unter die Dusche gestellt um mir den imaginären Großstadtmief von der Haut zu schrubben. „Ja Anni? Ja wos machst du denn jetz scho da? Ich wollt dich doch erst in ner Stund vom Flughafen abholen?"

Ich drehte mich um und strahlte meinen Papa an. „Tada, Überraschung! Hab spontan einen Flug früher und dann einen Mietwagen genommen.", flötete ich und fiel ihm dann in die Arme. Es war nicht ganz die Wahrheit. Ich wollte von Anfang an nicht, dass mein Papa wegen mir bis nach München gurken musste. Normalerweise flogen wir über Salzburg, das lag viel näher, doch die Grenzkontrollen und das ganze Chaos war im Moment viel zu kompliziert und unsicher. Außerdem gab es nach wie vor kaum Flüge. „Mei, de Mama wird sich vielleicht freun." Papas Stimme klang ungewohnt zittrig. Er war niemand der üblicherweise seine Gefühle offen zeigte, aber die gegenwärtige Situation musste auch an ihm sehr nagen. Ich hatte das schon bei unseren gelegentlichen Videotelefonaten immer wieder gespürt. „Du hast ganz schön abgenommen, Papa? Muss ich mir Sorgen machen?" „Na, geh weider! I bin topfit. I war nur vui in de Berg unterwegs. Man muss ja irgendwas doa, damit ma ned ganz narrisch werd mit dem ganzen Schmarrn." Ich war nicht restlos überzeugt, ließ es aber so stehen. Papa wuchtete meinen Koffer aus dem Kofferraum, stellte ihn vor die Haustür und dann spazierten wir gemeinsam Richtung Hotel. „Und jetzt sind alle Gäste scho wieder weg?", fragte ich. „Fast. Zwei sind noch da. Die bleim a no." „Aber ist das nicht ab morgen wieder verboten?" „Nur wenn es sich um touristische Aufenthalte handelt." „Warum sollte man denn sonst zu uns kommen? Geschäftsreisende hier?" Papa zuckte mit den Schultern. „Der eine ist irgendein Hygienetechniker, der in der Molkerei zu tun hat und die meisten Hotels machen ja komplett dicht, also haben wir ihn aufgenommen. Der andere arbeitet von hier aus schon seit zwei Wochen. Hotel-Office sozusagen." „Nun ja, besser als nichts.", murmelte ich. „Mach dir keine Sorgen, Anni. Die letzten Monat, waren wir permanent ausgebucht."

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