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Anni

Es dauerte eine Ewigkeit bis ich meine Umwelt, zumindest schemenhaft, wieder wahrnahm. In zarten Wellen schwappte dieses Hochgefühl immer noch durch meinen Körper und es flaute auch nur sehr langsam ab. Ich blinzelte und betrachtete sein Gesicht, erstaunt, vielleicht auch ein wenig fassungslos. An seiner Stirn pulsierte eine hervorgetretene Ader, die mir zuvor noch nie aufgefallen war. Er atmete flach und abgehackt. Sanft legte ich meine Handfläche auf seine glühend heiße Wange. „Gleichmäßig atmen", flüsterte ich. Er öffnete die Augen und schaute mich an, so als könne er nicht glauben, was er sah. „Langsam ein..." mit einem verklärten Lächeln auf den Lippen, machte ich es ihm vor. „Und wieder aus." Ich war bis oben hin angefüllt mit Zärtlichkeit für ihn und war selber am Meisten überrascht davon, aber er hatte so etwas aufrichtiges, ja fast unschuldiges an sich, das mich stark rührte. Nicht, dass ich das was zwischen uns passiert war, als unschuldig bezeichnet hätte, aber jetzt in diesem Moment haftete eine undefinierbare Verletzlichkeit an ihm. Sie war so greifbar, dass ich den Drang ihn schützen und trösten zu wollen, kaum unterdrücken konnte. Ich wusste nicht vor was und warum und auch dass es komplett irrational war, aber ich fühlte es bis in die Zehenspitzen. Überhaupt war ich gerade vollkommen durchlässig für sämtliche Emotionen. Ich hätte weinen können, oder lachen, oder Dinge sagen, die ich sonst nie sagen würde...ich entschied mich erstmal dafür zu schweigen, bis meine Gedanken wieder klarer wurden. Er legte seine feuchte Stirn an meine. „Anni...ich...du" Er mühte sich ab, etwas zu sagen, Worte zu finden. „Schhh..., schon gut." Ich streichelte über seinen Rücken, wie bei einem kleinen Kind. Meine Fingerspitzen glitten sanft nach oben an seinen Hinterkopf, massierten seine Kopfhaut und seinen Nacken. Ich versuche seine Anspannung in den Muskeln dort zu lösen. Es dauerte nicht lange und sein Körper wurde weicher. Er ließ seinen Kopf kraftlos sinken und versteckte sein Gesicht an meinen Hals. Scheiße, Anni-dachte ich. Das ist nicht gut. Du fühlst zu viel. Viel zu viel. Vielleicht würde ja mit dem Abflauen der Euphorie, mit dem Abfallen meines Dopamin, Endorphin, Oxytocin...und was auch immer Spiegels, mein Hirn auch wieder halbwegs normal funktionieren. Im Grunde war mir diese mahnende Stimme aber ziemlich lästig. Ich hatte gar keine Lust auf sie zu hören und wollte diesen glücksseligen, schwerelosen Zustand so lange wie möglich ausdehnen. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie...und ich kriege immer noch keinen sinnvollen Satz zu Stande.", versuchte er es nochmal. Er schüttelte den Kopf und schlang dann seine Arme ganz eng um mich herum. Ich seufzte leise. Ich liebte es sofort, so von ihm gehalten zu werden. Ich liebte auch seine Stimme an meinem Ohr und wie er sich anfühlte. Selbst den kalten Schweißfilm auf seiner Haut fand ich rührend und irgendwie reizvoll. „Anni. Alles gut?" „Ja sicher ." Gedankenverloren kraulte ich seinen Haaransatz. „Ich neige in solchen Situation nur dazu, zielsicher was Falsches zu sagen. Also bin ich lieber still." Er streichelte mein Gesicht. „Wenn es nicht so schrecklich dumm klingen würde, würde ich nämlich am liebsten Danke sagen.", sagte ich dann. „Danke?" Er wirkte erwartbar irritiert. „Danke deshalb, weil du mir gerade eine echte Last genommen hast. Du hast mir gezeigt, dass es eben auch so sein kann, wenn alles stimmt. Ich hab sehr lange gedacht, dass ich nicht mehr so .... So und zack, schon bin ich kurz davor mich um Kopf und Kragen zu reden." Ich hatte das Gefühl Rot anzulaufen, etwas was mir selten bis nie passierte. „Du kannst mit mir über alles reden was dich beschäftigt, Anni. ", unterbrach er meinen Bedenken. Seine Stimme war butterweich und seine Finger zogen eine sanfte Linie über meinen Hals und meine Brust. „Was meinst du damit? Was wolltest du sagen?" „Du hast mich gerade befreit von dem Gedanken, dass ich mich in dieser Sache mit weniger zufrieden geben müsste, dass ich zu kritisch und zu verkopft bin und krampfhaft nach Fehlern suche, dass es an mir liegen muss. Mit dir.... Ich hab nicht eine Sekunde über sowas, ich hab an überhaupt nichts mehr gedacht. Vielleicht ist also doch noch nicht alles verloren bei mir." Ich lächelte schwach. „Vielleicht bin ich einfach nur ein Mensch der nur mit sehr wenigen anderen Menschen harmoniert und kompatibel ist." „Wir sind perfekt kompatibel, Anni." Er sagte es eine Spur zu ernst und ich hatte das Gefühl, dass er noch etwas hinzufügen wollte, es sich dann aber anders überlegte. Stattdessen drückte er mich so ruckartig und fest an seine Brust, dass mir einen ganz Anni-untypisches, erschrockenes Quieken entwich.

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