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Anni

Die Spannung zwischen uns war einfach nicht mehr länger auszuhalten. Seine gequälten Atemzüge vermischten sich mit meinen. Seine Lippen waren überraschend weich und sanft. Er schmeckte nach Eukalyptus und Minze. Normalerweise verabscheute ich diese komischen grünen Bonbons, die er ständig mit sich herumschleppte. Aber jetzt konnte ich kaum genug davon kriegen. In meinem Kopf summte es und mein Körper fühlte sich an, als ob er immer wieder von Wellen aus warmen Licht durchflutet würde. Er küsste mich wieder, nahm mein Gesicht zwischen seine Hände und schüttelte irritiert den Kopf. „Anni ...was machst du denn mit mir?" Ich blinzelte ihn etwas hilflos an. Sein ganzer Körper war angespannt. „Ich hab nicht die leiseste Ahnung." Ich malte mit dem Daumen vorsichtig die Konturen seines Kinns nach und setzte die unsichtbare Linie bis über seinen Hals fort. Er schluckte. „Ich weiß es wirklich nicht.", wiederholte ich und legte meine Hände auf seine Brust. Er atmete ein paarmal tief ein und wieder aus, dann wurde seine Haltung weicher und entspannter. Mit einer zarten, liebevollen Geste strich er mir die Haare aus dem Gesicht. „Kannst du es trotzdem nochmal wiederholen?", sagte er leise. Seine Stimme klang rau, seine Worte vibrierten in meinem Ohr. Alle meine Sinne waren geschärft und auf ihn gerichtet. Ich hätte mir gerne eingeredet, dass ich mich nur rein körperlich von ihm angezogen fühlte, aber es war offensichtlich nicht so. „Ich kenne dich doch gar nicht.", sagte ich und küsste ihn nochmal.

„ Das fühlt sich aber nicht so an, oder?", meinte er ein wenig atemlos. Ich schüttelte den Kopf. Er schloss die Arme fester um mich. Er hatte vollkommen Recht. Das war nicht im Geringsten befremdlich oder falsch, sondern fühlte sich verdammt nach Himmel an. Dieser Cocktail aus Gefühlen und Empfindungen, der in meinem Inneren herumblubberte war berauschend. Mir wurde unfassbar warm. Ich begann förmlich zu glühen. Aber was erwartete er jetzt von mir? Wie würde ich aus dieser Situation wieder raus kommen? Und wollte ich das überhaupt? Und wenn nicht, wie weit war ich bereit zu gehen? Ich stand kurz vor einer kleinen Panikattacke. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?

„Was ist los Anni?" Er spürte scheinbar sofort, dass ich innerlich blockierte.

„Mir ist so warm." Ich glaube ich brauche frische Luft."

„Komm mit." Er nahm mich an der Hand und öffnete die Tür zum Balkon. Ich legte meine Hände über das Geländer und atmete die kalte Nachtluft ein. „Besser?", fragte er. Er stand ganz dicht hinter mir, berührte mich aber nicht. Ich nickte und dann lehnte ich mich zurück. Seine gleichmäßigen Atemzüge beruhigten mich. Er umarmte mich ganz vorsichtig und legte sein Kinn auf meiner Schulter ab. Sich so von ihm berühren zu lassen, war als würde ich in Zuckerwatte fallen. Weich, süß und...Du magst doch gar keine Zuckerwatte, Anni. Die ist dir zu klebrig und viel zu süß „Vielleicht sollte ich gehen. Ich..." „Willst du das denn, gehen?" Seine Stimme an meinem Ohr, sein Atem an meinem Hals, selbst meine Fußsohlen kribbelten. Aber sie riecht doch immer so unwiderstehlich und sie schmilzt auf der Zunge, ging es mir durch den Kopf. „Nein, eigentlich will ich das nicht.", sagte ich dann.

„Dann bleib. Vielleicht denkst du wieder zu viel, Anni."

„Du meinst, so wie beim Klavierspielen?" Ich konnte spüren, wie er lächelte. „Ja, genau wie beim Klavierspielen. Du denkst einen Schritt zu weit und legst den Focus darauf, was schiefgehen könnte.. Es ist einfach nur wunderschön, dich hier zu haben. Und ich bin mindestens genauso verwirrt und unsicher. Ich meine, du bist wie so eine Art Wirbelsturm und ich dagegen nur so ein laues Lüftchen. Ich drehte mich zu ihm, sah ihm in die Augen. „Ein laues Lüftchen? Niemals!" Ich runzelte die Stirn. „Du bist eher sowas wie die Bora. Das ist ein gefürchteter Fallwind an der Adria, der manchmal auch Orkanstärke erreichen kann. Er hat zwar auch ein milderes, sommerliches Gesicht. Doch selbst dann, harmlos ist es sicher nie." „Magst du ihn denn, diesen Wind?" „ Mmm. Er ist faszinierend. Ich hab es selbst erlebt und bin tagelang auf einer Insel festgesessen, wegen ihm. Ziemlich krass und beeindruckend, kann ich dir sagen." Er blinzelte mich an. „Erzähl mir mehr. Das klingt spannend." Er setzte sich auf das große Balkonbett und streckte die Hand nach mir aus. „Hier?" „Möchtest du lieber wieder reingehen?" „Nein. Ist schon ok." Ich sah mich suchend um, ging in die Knie, zog eine Schublade auf und holte eine warme Decke heraus. „Wie praktisch, wenn man die Hotelchefin an der Seite hat. Diese Schublade ist mir noch nie aufgefallen." Er kratzte sich am Kopf. Ich spürte jede Sekunde mehr, wie sehr ich ihn eigentlich mochte. Wenn mein unterbewusster Plan gewesen war, herzukommen ein paar Stunden, oder eine Nacht mit ihm zu verbringen, nur um ihn danach wieder aus dem Kopf zu kriegen, dann war ich krachend gescheitert. Ich wusste doch eigentlich, wie mies ich in sowas war. An Typen die mich emotional kalt ließen, hatte ich noch nie Interesse gehabt. Wahrscheinlich hatte ich geglaubt, das hier könnte anders laufen, weil ich so heftig auf ihn reagierte. Warum hatte ich eigentlich nie richtig in Erwägung gezogen, dass da mehr als diese physische Anziehungskraft zwischen uns sein könnte? Er reagierte überhaupt nicht wie ein Mann, der es darauf anlegte. Weil du sowas nicht sehen willst, Anni.

Wo wir frei sindWhere stories live. Discover now